Gedanken in die Zukunft
Begrüßung
- Sr. Mirjam Fuchs OCD -
Verehrte Gäste,
ich darf sie herzlich willkommen heißen, im Namen meiner Mitschwestern und unseres Kirchenrektors Monsignore Dr. Hansjörg Günther.
Seien Sie alle herzlich willkommen am Abend dieses 20. Juli 2024, Sie, die Kinder, Enkel, Urenkel und Ururenkel der Menschen, denen diese Kirche gewidmet ist. Die Gedenkkirche der deutschen Katholiken, vor 61 Jahren erbaut.
Jedes Jahr haben Sie am und um den 20. Juli ein volles und anstrengendes Programm. Jedes Jahr beginnt dieser denkwürdige Tag mit einem Gottesdienst in ökumenischer Gemeinschaft in der Gedenkstätte Plötzensee. Seit der Gründung unseres Klosters 1982 hier neben dieser Kirche, dürfen wir Schwestern am Morgen des 20. Juli in Plötzensee dabei sein.
Sehr bald nach 1982 sind Sie unserer Einladung gefolgt, diesen schweren Tag mit seinen Erinnerungen und Schmerzen hier in unserer Kirche mit einem Abendgebet und anschl. Begegnung zu beenden. Wir Schwestern vom Karmel Regina Martyrum sind dankbar für eine 40jährige Tradition und Verbundenheit.
Durch die Begegnungen mit Ihnen mit ihren Angehörigen, mit ihren Müttern, Großmüttern und Urgroßmüttern kamen uns Schwestern die Biografien der Menschen im Widerstand sehr nahe. Es gibt viel großartige Literatur - aber einem Menschen begegnen zu dürfen, der diese Zeit erlebt hat, der Ehefrau, dem Sohn, der Tochter, das ist ein besonderes Geschenk.
Wie oft durfte ich mit Ihrer Mutter sprechen, lieber Herr Smend, liebe Frau Jagow. Wie oft erzählte mir Ihre Mutter von Ihrem Vater, von der schweren Zeit im und nach dem Krieg.
Viele andere Namen und Gesichter ihrer Angehörigen habe ich vor mir. Gesichter, Geschichten. Sie haben diesem Ort ein Gesicht gegeben.
Für mich, für uns, war und ist das sehr bewegend. Ein Schatz, der mitgeht, ein Schatz, der mein Leben an und mit diesem Ort im Schatten von Plötzensee geprägt hat.
Diese Begegnungen haben mich an diesen Ort gebunden.
DANKE, dass Sie die Verbundenheit mit diesem Ort über so viele Jahre aufrechterhalten haben, mit dem Ort, der mit der ev. Gedenkkirche Plötzensee und dem Pfad der Erinnerung immer an diese wunderbaren Menschen erinnern wird.
Diese Kirche ist ein Ort der Erinnerung und des Gedenkens, der Mahnung auf dem Weg in die Zukunft.
Für Sie, die sie ein großes Erbe weiter tragen, möge er ein Ort des Segens sein und bleiben.
Abschiedsbriefe
- vorgetragen von Gunter Schoß, Schauspieler -
Hilde Coppi
geboren am 30. Mai 1909, zusammen mit ihrem Mann Hans Coppi wegen Zugehörigkeit zu einer sozialistischen Widerstandsgruppe im September 1942 verhaftet. Am 27. November 1942 wird im Gefängnis ihr Sohn Hans geboren. Hilde Coppi wird in Berlin-Plötzensee am 5. August 1943 hingerichtet.
„Meine Mutter, meine herzgeliebte Mutti!
Nun ist es bald soweit, daß wir Abschied nehmen müssen für immer. Das Schwerste, die Trennung von meinem kleinen Hans, habe ich hinter mir. Wie glücklich hat er mich gemacht! Ich weiß ihn gut aufgehoben in Deinen treuen, lieben Mutterhänden, und um meinetwillen, Mutti, versprich es mir, bleibe tapfer. Ich weiß, daß Dir das Herz brechen möchte, aber nimm es fest, ganz fest in Deine beiden Hände. Du wirst es schaffen, wie Du es immer geschafft hast, mit dem Schwersten fertig zu werden, nicht wahr, Mutti? Der Gedanke an Dich und das Herzeleid, das ich Dir zufügen muß, war und ist mir der unerträglichste; daß ich Dich allein lassen muß, in dem Alter, wo Du mich am nötigsten brauchst. Kannst Du mir das je, jemals verzeihen? Als Kind, weißt Du, wenn ich immer so lange wach lag, beseelte mich der eine Gedanke: vor Dir sterben zu dürfen. Und später hatte ich den einen Wunsch, der mich ständig bewußt und unbewußt begleitete: ich wollte nicht, ohne ein Kind zur Welt gebracht zu haben, sterben. Siehst Du, diese beiden großen Wünsche haben sich erfüllt, also somit mein Leben. Ich gehe nun zu meinem großen Hans. Der kleine Hans hat – so hoffe ich – das Beste von uns als Erbe mitbekommen. Und wenn Du ihn an Dein Herz drückst, ist dein Kind immer bei Dir, viel näher, als ich Dir jemals sein kann. Der kleine Hans – so wünsche ich – soll hart und stark werden, mit einem offenen, warmherzigen, hilfsbereiten Herzen und dem grundanständigen Charakter seines Vaters. Wir haben uns sehr, sehr lieb gehabt. Liebe leitete unser Tun. „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“
Meine Mutter, meine einzige gute Mutter und mein kleines Hänschen, all meine Liebe ist immer ständig um Euch, sei tapfer, wie ich es auch sein will.
Immer
Deine Tochter Hilde
Julius Fucik
geboren 23. Februar 1903, gehörte zu den Führern der kommunistischen Widerstandsbewegung in der Tschechoslowakei, am 24. April 1942 von der Gestapo verhaftet, am 8. September 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Über eine Konfrontation mit seiner Frau unter den Augen der Gestapo berichtet er:
„Es war während des Standrechtes. Mitte Juni des vorigen Jahres. Sie sah mich zum erstenmal seit unserer Verhaftung, nach sechs leidvollen Wochen, die sie allein in der Zelle verbracht hatte, grübelnd über die Nachrichten, die ihr meinen Tod verkündeten. Man rief sie, um mich weich zu machen.
‚Reden Sie ihm zu’, sagte der Chef der Abteilung bei der Konfrontation mit mir, ‚reden Sie ihm zu, daß er vernünftig sein soll. Wenn er schon nicht an sich selbst denkt, daß er wenigstens an Sie denkt. Sie haben eine Stunde Bedenkzeit. Wenn er auch dann hart bleibt, werden Sie heute abend erschossen. Beide.’
Sie streichelte mich mit ihrem Blick und antwortete einfach: ‚Herr Kommissar, das ist keine Drohung für mich, das ist meine letzte Bitte: Wenn Sie ihn umbringen, bringen Sie mich auch um.’“
Unter dem unmittelbaren Eindruck des Urteilsspruchs schreibt er an seine Eltern und Schwestern:
Meine Lieben!
Wie Ihr wohl schon wißt, ändere ich meinen Wohnort. Am 23. August in Bautzen erwartete ich gerade Euren Brief und erhielt stattdessen eine Einladung nach Berlin. Am 24. 8. Früh war die Gerichtsverhandlung und zu Mittag war schon alles fertig. Es fiel nach Erwarten aus. Jetzt sitze ich noch mit einem Kameraden in der Zelle in Plötzensee, wir kleben Tüten, singen uns eins und warten, wann die Reihe an uns kommt. Es bleiben uns noch einige Wochen, manchmal sind es auch Monate. Die Hoffnungen fallen leise und weich ab, wie welke Blätter. Lyrische Seelen, die das anschauen, verfallen manchmal der Sehnsucht. Der Winter bereitet sich den Menschen vor wie einen Baum. Glaubt mir: Nichts, gar nichts hat mir das von meiner Freude genommen, die in mir ist und sich täglich mit irgendeinem Motiv von Beethoven meldet. Der Mensch wird nicht kleiner, auch wenn er um einen Kopf kürzer ist. Und ich wünsche mir brennend, daß Ihr, wenn alles vorbei ist, Euch meiner nicht in Trauer erinnert, sondern mit der gleichen Freude, mit der ich immer lebte.
An die Überlebenden
Jeder, der treu für die Zukunft gelebt hat und für sie gefallen ist, ist eine in Stein gehauene Gestalt. (...)
Um eines bitte ich: Ihr, die Ihr diese Zeit überlebt, vergeßt nicht. Vergeßt die Guten nicht und nicht die Schlechten. Sammelt geduldig die Zeugnisse über die Gefallenen. Eines Tages wird das Heute Vergangenheit sein, wird man von der großen Zeit und von den namenlosen Helden sprechen, die Geschichte gemacht haben. Ich möchte, daß man weiß: daß es keinen namenlosen Helden gegeben hat, daß es Menschen waren, die ihren Namen, ihr Gesicht, ihre Sehnsucht und ihre Hoffnungen hatten, und daß deshalb der Schmerz auch des letzten unter ihnen nicht kleiner war als der Schmerz des ersten, dessen Name erhalten bleibt. Ich möchte, daß sie Euch alle immer nahe bleiben, wie Bekannte, wie Verwandte, wie Ihr selbst.
Ja, ich möchte, daß man jene nicht vergesse, die treu und standhaft gekämpft haben, draußen und hier, und die gefallen sind. Aber ich möchte auch, daß die Lebenden nicht vergessen werden, die uns nicht weniger treu und nicht weniger standhaft unter den schwersten Bedingungen geholfen haben. Nicht zu ihrem Ruhm. Aber als Beispiel für andere. Denn die Menschenpflicht endet nicht mit diesem Kampf, und ein Mensch zu sein wird auch weiterhin ein heldenhaftes Herz erfordern, solange die Menschen nicht ganz Menschen sind.“
Kurt Huber
geboren am 24. Oktober 1894, hingerichtet in Berlin-Plötzensee am 13. Juli 1943
Als Professor für Philosophie und Psychologie war er Mittelpunkt und Berater der „Weißen Rose“, der Studenten um die Geschwister Scholl, Probst und Schmorell.
Schlusswort des Angeklagten
„Als deutscher Staatsbürger, als deutscher Hochschullehrer und als politischer Mensch erachte ich es als Recht nicht nur, sondern als sittliche Pflicht, an der Gestaltung der deutschen Geschichte mitzuarbeiten, offenkundige Schäden aufzudecken und zu bekämpfen. (...) Was ich bezweckte, war die Weckung der studentischen Kreise nicht durch eine Organisation, sondern durch das schlichte Wort, nicht zu irgendeinem Akt der Gewalt, sondern zur sittlichen Einsicht in bestehende schwere Schäden des politischen Lebens. Rückkehr zu klaren sittlichen Grundsätzen, zum Rechtsstaat, zu gegenseitigem Vertrauen von Mensch zu Mensch, das ist nicht illegal, sondern umgekehrt die Wiederherstellung der Legalität. (...)
Es gibt für alle äußere Legalität eine letzte Grenze, wo sie unwahrhaftig und unsittlich wird. Dann nämlich, wenn sie zum Deckmantel einer Feigheit wird, die sich nicht getraut gegen offenkundige Rechtsverletzung aufzutreten. Ein Staat, der jegliche freie Meinungsäußerung unterbindet und jede sittlich berechtigte Kritik, jeden Verbesserungsvorschlag als „Vorbereitung zum Hochverrat“ unter die furchtbarsten Strafen stellt, bricht ein ungeschriebenes Recht, das ‚im gesunden Volksempfinden’ noch immer lebendig war und lebendig bleiben muß.
Ich habe das eine Ziel erreicht, diese Warnung und Mahnung nicht in einem privaten, kleinen Diskutierklub, sondern an verantwortlicher, an höchster richterlicher Stelle vorzubringen. Ich setze für diese Mahnung, für diese beschwörende Bitte zur Rückkehr, mein Leben ein. Ich fordere die Freiheit für unser deutsches Volk zurück. Wir wollen nicht an Sklavenketten unser kurzes Leben dahinfristen, und wären es goldene Ketten eines materiellen Überflusses.
Sie haben mir den rang und die Rechte des Professors und den ‚summa cum laude“ erarbeiteten Doktorhut genommen und mich dem niedrigsten Verbrecher gleichgestellt. Die innere Würde des Hochschullehrers, des offenen, mutigen Bekenners seiner Welt- und Staatsanschauung, kann mir kein Hochverratsverfahren rauben. Mein Handeln und Wollen wird der eherne Gang der Geschichte rechtfertigen; darauf vertraue ich felsenfest. Ich hoffe zu Gott, daß die geistigen Kräfte, die es rechtfertigen, rechtzeitig aus meinem eigenen Volk sich entbinden mögen. Ich habe gehandelt, wie ich aus einer inneren Stimme heraus handeln mußte. Ich nehme die Folgen auf mich nach dem schönen Wort Johann Gottlieb Fichtes:
‚Und handeln sollst Du so,
Als hinge von Dir und Deinem Tun allein
Das Schicksal ab der deutschen Dinge,
Und die Verantwortung wär’ dein.’“
Pater Alfred Delp
geboren am 15. September 1907, gehörte zu den einflussreichen Vordenkern für ein erneuertes Nachkriegsdeutschland um Helmut James Graf Moltke und den „Kreisauer Kreises“, hingerichtet in Berlin-Plötzensee am 2. Februar 1945
Brief vom 18. Dezember 1944
Also es ist jetzt sicher, daß nächste Woche am Dienstag und Mittwoch die Entscheidung fällt. Das Wunde muß darin bestehen, das fertige Todesurteil, das die Herren in der Tasche mitbringen, umzustoßen. Wenn nicht, sind wir am Mittwoch vor den Augen und, wenn Gott gnädig ist, im Lichte Gottes.
Ich habe auch jetzt nicht das Gefühl, einen Abschiedsbrief zu schreiben. Immer, wenn die Entscheidung hart auf hart kommt, erscheint diese ruhige Sicherheit. Ich hab’ die ganze Zeit nie das Gefühl gehabt, verloren zu sein, so oft man es mir auch gesagt hat. Irgendwo war die ganze schemenhafte Angelegenheit eine unwirkliche Sache, die mich nichts anging. Es kamen auch wieder die Stunden, in denen Petrus den Wind ernst nahm und die Wellen und anfing zu zagen. Daß Gott sich so anstrengen mußte, um mir den Blick auf den Gipfel freizumachen, hatte ich mir nicht gedacht.
Jetzt ist alles in Gottes Hand. Ich werde mich wehren, so gut es geht. Hoffentlich geht es physisch einigermaßen. Schade, daß wir vorher hier wegkommen. Drüben beginnt das Hungern wieder. Und das ist etwas ganz Schuftiges, hungrig und müde in dieser Wucht und Wut der Angriffe zu stehen. Daß ein Stück Brot eine große Gnade ist, habe ich früher manchmal gesagt. Heute weiß ich es aus bitterer Erfahrung.
Wie es nun weitergeht, weiß ich nicht. Ich habe bis jetzt nur das Gefühl durchzukommen. Obwohl ich dafür noch keine reale Grundlage sehe.
Ach. Ich wollte, ich könnte auf eine Stunde zu Euch kommen. Nicht wegen mir. Ich glaube, ich werde vrohe Weihnachten feiern. Aber um bei Euch zu sein und Euch ein wenig Weihnachten in die Seelen geben zu können, dürfen. Ich werde Euch einen großen Segen schicken und das Kind, das große Geheimnis der Welt bitten, bei Euch zu sein.
Jetzt heißt es halt weiter warten und aushalten. Ich habe Gott sehr um ein Weihnachtslicht gebeten. Vielleicht hat er wieder eine seiner guten Überraschungen. Ach, er hat so viele Möglichkeiten, um aufzurichten und ein Stück weiter zu führen. Wie oft habe ich das schon erfahren in diesen langen und bangen Wochen. Ich bin guter Zuversicht. Es ist so tröstlich, das gebet und die Treue der Freunde hinter sich zu wissen. Das sind andere Realitäten und mit ihnen werden wir es schaffen. Gott gegen die Macht; Gott, gerufen von der Treue und der Liebe und der Zuversicht.
Ich möchte Euch einige Lichter anzünden, Ihr Freunde. Ihr seid so weit mitgegangen in meine Nacht und habt Eure eigene auch noch zu bestehen. Wir tragen alles gemeinsam, gelt? Zusammen packen wir es wieder ein Stück, und mitten in der Nacht wird das Licht erscheinen. Es wird schon. Helfen wir einander. (...)
Peter Graf Yorck von Wartenburg
geboren 13. November 1904, enger Weggefährte Moltkes, der gleichzeitig in das nahe Umfeld Stauffenbergs gehörte, hingerichtet in Berlin-Plötzensee am 8. August 1944
An seine Frau
... Wir stehen wohl am Ende unseres schönen, reichen, gemeinsamen Lebens. Denn morgen will der Volksgerichtshof über mich und die anderen zu Gericht sitzen. Ich höre, das Heer hat uns ausgestoßen; das Kleid kann man uns nehmen, aber nicht den Geist, in dem wir handelten. Und in ihm fühle ich mich den Vätern und Brüdern und auch den Kameraden verbunden. Daß Gott es so geführt hat, wie es gekommen ist, gehört zu der Unerforschlichkeit Seiner Ratschlüsse, die ich demutsvoll annehme. Ich glaube mich durch das Gefühl der alle niederbeugenden Schuld getrieben und reinen Herzens. Ich hoffe deshalb auch zuversichtlich, in Gott einen gnädigen Richter zu finden. ... Als wir vom letzten Abendmahl hinweggingen, da fühlte ich eine fast unheimliche Erhabenheit, ich möchte es eigentlich Christusnähe nennen. Rückblickend scheint sie mir als ein Ruf.
.... Mein Tod, er wird hoffentlich angenommen als Sühne aller meiner Sünden und als Sühneopfer für das, was wir alle gemeinschaftlich tragen. Die Gottesferne unserer Zeit möge auch zu einem Quäntchen durch ihn verringert werden. Auch für meinen Teil sterbe ich den Tod fürs Vaterland. Wenn der Anschein auch sehr ruhmlos, ja schmachvoll ist, - ich gehe aufrecht und ungebeugt diesen letzten Gang, und ich hoffe nur, daß Du darin nicht Hochmut und Verblendung siehst. - Des Lebens Fackel wollten wir entzünden, ein Flammenmeer umgibt uns, welch ein Feuer!“
Quelle:
„Du hast mich heimgesucht bei Nacht. Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 bis 1945“. Herausgegeben von Helmut Gollwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider, Gütersloher Taschenbücher 1985.
Axel Smend: Gedanken in die Zukunft
Die verlesenen fünf Briefe stehen für alle damals im Angesicht des Todes verfassten Briefe, so auch für jene unserer Väter und Großväter. Nichts von Hass und Vergeltung! Nein, ihre Sprache atmet eher die Luft der Freiheit, im Gegensatz zur damaligen Sprache draußen, die von Lügen geprägt war. Sie sagen frei aus, was die Männer und Frauen, dem Tod ins Auge blickend, gedacht haben.
Sie alle verbindet ihr Glaube an die Zukunft: „Man muss es“, wie Berthold Stauffenberg formuliert hat, „für unser Land und unsere Kinder tun“, denn, so Dietrich Bonhoeffer: „Die letzte verantwortliche Frage ist nicht, wie ich mich heroisch aus der Affäre ziehe, sondern wie eine kommende Generation weiterleben soll.“
Sie alle haben alleine oder auch gemeinsam mit ihren Gesinnungsfreunden ihr Leben, häufig auch das ihrer Familien, riskiert, für Rechtsstaatlichkeit und Freiheit in Deutschland. Dabei haben sie, jeder für sich, auf ihre innere Stimme gehört, die ihnen sagte: „Nimm es nicht mehr hin! Auch wenn alle es tun, ich nicht!“ Diese Stimme ist für mich Grundlage widerständigen Handelns. Sie gibt, wie Hans von Dohnanyi formuliert hat, „zwangsläufig den Gang eines anständigen Menschen“ vor, also die Haltung, für die ich stehe, aber auch einstehe, mit allen Nachteilen. Diese Haltung ist das Erbe, das uns die Lebenswege, die Gedanken und die Taten von Carl Goerdeler, Georg Elser, Liane Berkowitz, Helmuth James von Moltke, Ludwig Beck, Sophie Scholl und von allen anderen aus dem Widerstand hinterlassen haben.
Ein Erbe kann man ausschlagen, aber auch annehmen. Wir müssen es annehmen! Auch wenn, nein, gerade weil dieses Erbe einer zeitlosen, permanenten Einlösungspflicht bedarf! Denn, so Fritz Bauer: „Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.“ Lasst uns daher täglich bereit sein, unserer inneren Stimme zu folgen und für den Fortbestand von Freiheit und Menschenwürde eintreten! Horcht auf diese Stimme! Sie weist Euch Eure Haltung zu. Verbindet sie mit Eigeninitiative und couragiertem Engagement, auch wenn es Mühe und Zeit kostet und Risiken mit sich bringt! Traut Euch! Beim Sport, beim Kicken in der Fußballmannschaft, in der Schule, in der Uni, in der Familie, im Beruf, im Ehrenamt, in der Gemeinde, in Vereinen, am Stammtisch, in den Medien, in politischen, sozialen und kirchlichen Gruppierungen, auch wenn Ihr Nachteile oder Einbußen in Kauf zu nehmen habt!
Der Einsatz unserer Väter, Großväter und Urgroßväter lehrt: Freiheit und Demokratie sind von Haus aus nicht garantiert; Gefahren von außen und innen drohen auch unserer Demokratie, in der wir jetzt leben. Für ihren Erhalt müssen wir uns einsetzen!
FÜRBITTEN
Allmächtiger Gott
Ihr Mut im Angesicht des Todes und die Klarheit ihres Geistes seien uns Vermächtnis. Sie haben den Grundstein gelegt für unser Leben in Demokratie und Freiheit.
Dafür danken wir.
Und bitten Gott: Möge uns Kraft und Segen gegeben werden, um ihrem Beispiel zu folgen, um diese Werte auch in Zukunft zu erhalten.
Mögen wir eine Insel sein für die, die nach einer Insel suchen.
Mögen wir eine Leuchte sein für die, die sich nach Licht sehnen.
Mögen wir eine Zuflucht sein für die, die eine Zuflucht brauchen.
Mögen wir Quelle sein für alles, was das Leben erfordert.
Amen.
(Text Helmtrud de Roo von Hagen, Tochter von Albrecht von Hagen)
Allmächtiger Gott
In einer Welt, in der wir Menschen so weit auseinanderdriften, dass wir Gefahr laufen, die Menschlichkeit und Würde in unserem Gegenüber aus den Augen zu verlieren, gib uns Haltung und Stärke.
Haltung und Stärke, damit wir auf festem Grund stehen und den inneren und äußeren Kräften, die uns auseinandertreiben, widerstehen; so wie Brückenpfeiler Stürmen und Gezeiten standhalten.
Gib uns Mut, um auf den Pfeilern Brücken zu bauen. Brücken zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, zwischen verschiedenen Lebenserfahrungen, -hintergründen und -einstellungen. So dass wir uns begegnen und das Gemeinsame finden können.
Brücken zwischen uns Menschen.
Amen.
(Text Moritz Hayessen, Enkel von Egbert Hayessen)
Allmächtiger Gott
Die Männer und Frauen des 20. Juli 1944 haben sich für die Freiheit von Diktatur und Unterdrückung eingesetzt und dafür sogar das eigene Leben aufs Spiel gesetzt.
Sie taten dies für ihre damals lebende Generation, aber auch für die nachfolgenden.
Herr, unser Gott, gib uns die Kraft, Vorbild zu sein und diesen Kampf für Freiheit und gegen jedwede Bevormundung und Intoleranz fortzusetzen. Lass ihren Kampf für die Rechtstaatlichkeit damals, auch in unserer Zeit, nicht umsonst gewesen sein.
Hilf uns, das heutige Datum für immer in Erinnerung zu behalten und an all jene zu denken, die ein so großes Risiko eingegangen sind und mit ihrem Leben bezahlt haben.
Herr, wir bitten Dich Gib uns Kraft, uns nicht einschüchtern zu lassen, von denen, die Unrecht und Gewalt wollen.
Hilf uns, unsere Liebe, unseren Mut und unser Wissen weiterzugeben mit der Kraft des Glaubens an Dich.
Wir bitten Dich, schenk uns Stärke in herausfordernden Situationen, schenk uns Mut und Zuversicht in Gefahr, schenk uns Vertrauen in einsamen Momenten und Liebe, die wir teilen müssen, um sie zu vermehren.
Wir erbitten Deine Hilfe - Wir werden sie auch in Zukunft immer brauchen.
Amen.
(Text Pia von Stülpnagel, Urenkelin von Carl-Heinrich von Stülpnagel)
Allmächtiger Gott
Jeden Tag hören wir von Menschen, die auf rechte Parolen und extreme Manipulation hereinfallen.
Bitte, gib jedem von uns die Einsicht, wie wichtig umfassende Information ist und genügend Mut, sich deutlich zu äußern und auch andere Sichten zu vertreten!
Amen.
(Text Marco Goerdeler, Ururenkel von Carl Friedrich Goerdeler)
Allmächtiger Gott
Jeden Tag gibt es im Fernsehen Berichte über Gewalt und Machtkämpfe.
Bitte, bewege alle Politiker zu Friedensverhandlungen, denn wir Kinder wollen in einer guten Welt aufwachsen!
Amen.
(Text Lena Goerdeler, Ururenkelin von Carl Friedrich Goerdeler)