Er schien zu wanken...
Josef Wirmer wurde als Rechtsanwalt und junger Zentrumspolitiker früh zu einem Gegner Hitlers und dessen Politik. Schon ab Mitte der 1930er Jahre knüpfte er Kontakte zu kirchlichen Kreisen sowie oppositionellen Gewerkschaftsvertretern. Später bereitete er mit den Weg für eine Zusammenarbeit dieser Gruppe mit Carl Friedrich Goerdeler und seinem liberal-konservativen Widerstandskreis. Im Vordergrund stand für Josef Wirmer der Kampf gegen das Unrechtssystem, das jede Form von Verbrechen ermöglicht hatte.
Zusammen mit seiner Ehefrau Hedwig und seinen drei Kindern lebte er in Berlin. Maria, die Älteste, damals gerade 15 Jahre alt, hat das damalige Geschehen teilweise hautnah miterlebt. An den Abend des 20. Juli 1944 etwa erinnert sie sich noch gut:
„Als mein Vater am Abend nach Hause kam und ich von den neuesten Radiomeldungen berichtete, wurde ihm sofort die ganze Tragweite der Situation klar. Er blieb wie angewurzelt stehen, schien zu wanken und wurde kreidebleich“.
Der Tag der Festnahme des Vaters ist Maria ebenfalls noch präsent: Zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Johanna war sie während des Krieges in der Schule bei den Ursulinen Schwestern in Neustadt an der Dosse, wo es neben einer Schule für behinderte Kinder ein kleines Internat gab. Für den 4. August hatte Maria mit ihrer Mutter einen kurzen Besuch zuhause verabredet. „Als ich bei uns in Berlin Lichterfelde ankam, merkte ich sofort, dass etwas nicht stimmte“, erzählt sie. „Die Türen standen offen, im Haus herrschte große Unordnung und meine Mutter war nicht da.“ In der Küche traf Maria schließlich auf die heulende Haushaltshilfe Lisbeth. Diese berichtete, der Herr Rechtsanwalt sei in der Frühe abgeholt worden – von der Gestapo. Sie hätten alles durchsucht und seien dann mit beiden Eltern weggefahren. So wartete Maria bis die Mutter am Abend zurückkam.
Am 8. September wird Josef Wirmer in Plötzensee durch den Strang ermordet. „Nach dem Tod unseres Vaters wurde unser Haus beschlagnahmt. Wir zwei Schwestern blieben in den nächsten Monaten bei den Ursulinen in Neustadt, wo wir auch Weihnachten verbrachten. Unsere Mutter war untergetaucht und wir hörten lange nichts von ihr. Unser kleiner Bruder Anton war schon früh zu einem Onkel in Langförden in Südoldenburg gebracht worden.“
Maria erinnert sich, dass eines Tages die Nachricht kam, die beiden Schwestern sollten die Schule verlassen und auch nach Langförden fahren. Man rechnete mit dem weiteren Vorrücken der Russen. „Am 1. März 1945 setzen uns die Nonnen in den Zug. Wir erhielten einen selbstgenähten Rucksack aus Betttüchern, in dem das Notwendigste war. Außerdem nahm ich mein Akkordeon in die eine und einen Koffer in die andere Hand. Mit uns war niemand, den wir kannten.“ Ein mitreisender junger Offizier habe den Mädchen sehr geholfen. „Als einmal der Zug wegen Tieffliegern stoppen musste, sorgte er dafür, dass wir auf der richtigen Seite aus dem Zug sprangen und uns flach an die Böschung legten. Auf der anderen Seite des Zuges hatten leider viele den Angriff der Tiefflieger nicht überlebt.“
Aus den planmäßig sieben Stunden der Reise wurden zwei Tage, bis Maria und Johanna in der ersten Anlaufstation Langförden ankamen. An den liebevollen Empfang erinnert sich Maria bis heute: „Unvergesslich waren die weichen Betten, die auf uns warteten Das Akkordeon hat mich auch weiter in meinem Leben begleitet“.
Eine Kurzbiographie von Josef Wirmer und weitere Literaturhinweise finden Sie hier.