Begrüßung
Feierstunde der Bundesregierung und der Stiftung 20. Juli 1944
am 20. Juli 2024 um 11:00 Uhr im Ehrenhof des Bendlerblocks, Berlin, anlässlich des 80. Jahrestages des 20. Juli 1944
- Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück, Vorsitzender des Vorstands der Stiftung 20. Juli 1944 -
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin,
sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
sehr geehrte Frau Bundesratspräsidentin,
sehr geehrter Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichts,
besonders möchte ich die über 1000 Angehörigen begrüßen, die hier im Ehrenhof und gegenüber im Hotel versammelt sind,
Exzellenzen,
sehr geehrte Repräsentanten des Bundes und der Länder,
sehr geehrte Damen und Herren
zur Feierstunde der Bundesregierung und der Stiftung 20. Juli 1944 zum 80. Jahrestag des 20. Juli begrüße ich Sie alle – auch die Schülerinnen und Schüler unserer Partnerschulen.
Willkommen heiße ich auch das diplomatische Korps und stellvertretend für alle Gäste aus dem In- und Ausland den früheren polnischen Botschafter Janusz Reiter, der hier bei der Feierstunde vor 12 Jahren eine wichtige Rede gehalten hat. Und natürlich sind uns all diejenigen willkommen, die diese Feierstunde live im Fernsehen und im Stream verfolgen.
Erstmals 1952 kam sie auf Anregung und unter Mitwirkung der Angehörigen der Frauen und Männer aus dem deutschen Widerstand zustande. Großen Anteil daran hatte und hat bis heute der Senat von Berlin. Deshalb begrüße ich für das Land Berlin den Regierenden Bürgermeister – wir freuen uns, dass Sie gleich zu uns sprechen werden - und die Präsidentin des Abgeordnetenhauses.
Unter den Angehörigen möchte ich besonders diejenigen der sog. „Kindergeneration“ hervorheben, diejenigen also, deren Väter und Mütter von den Nationalsozialisten ermordet worden sind – und stellvertretend für sie Axel Smend, den Ehrenvorsitzenden unseres Kuratoriums. Für die Familien der Angehörigen ist dieser runde Jahrestag auch deshalb ein so besonderer, weil wir ihn trotz der langen Zeitdauer von 80 Jahren noch einmal mit so vielen von Euch und Ihnen als Zeitzeuginnen und Zeitzeugen begehen können. Auch deshalb haben wir für diese Feierstunde und alle Veranstaltungen zum 80. Jahrestag ein Interesse und einen Zuspruch erlebt, wie es ihn noch nie zuvor gegeben hat.
Viele von Ihnen und Euch waren als Kinder nach dem 20. Juli mit Euren Müttern in Sippenhaft. In den 50’er und 60’er Jahren der alten Bundesrepublik seid Ihr als Kinder von „Verrätern“ aufgewachsen. Die Bundesrepublik tat sich schwer mit der Anerkennung des Handelns der Widerständler. Die sog. Rechtsprechung der Nationalsozialisten galt in vollem Umfang weiter. Deshalb gab es z.B. auch keine Renten für die Witwen der wegen Hochverrrats hingerichteten Ehemänner.
In diesen Kontext fällt auch die Gründung der Stiftung 20. Juli 1944. Ilse Lotte v. Hofacker, die Ehefrau von Cäsar von Hofacker schreibt im Oktober 1945: „Ich hoffe und glaube, dass den Männern des 20. Juli einmal in der Geschichte der richtige Platz zuteil wird“. Es sollte ein langer Weg werden. Ein Weg, der einen großen Teil der Lebensspanne Eurer Generation gedauert hat. So konnte sich etwa der Deutsche Bundestag erst im Jahr 1998 dazu entschließen, die Urteile des sog. „Volksgerichtshofs“ und der Sondergerichte aufzuheben. Doch bei aller berechtigten Kritik möchten wir mit ausdrücklichem Dank feststellen, dass Deutschland an (selbst-)kritischer Aufarbeitung viel in den vergangenen 80 Jahren geleistet hat. Darauf können wir stolz sein.
Wir freuen uns außerordentlich, dass Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident bei uns sind und dass Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler heute zu uns sprechen. Sie beide führen damit eine wichtige Tradition unserer Gedenkkultur fort, die Theodor Heuss durch seine anerkennenden Worte 1954, vor 70 Jahren hier begründet hat. Teil dieser Tradition ist die gemeinsame Kranzniederlegung am Ende der Feierstunde mit Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesminister Pistorius und Ihnen, sehr geehrter Herr Generalinspekteur.
Es war und ist – im Grunde bis heute – ein Kampf gegen Narrative, die von den Nationalsozialisten geprägt wurden, so etwa der Mythos, am Umsturzversuch sei nur eine „ganz kleine Clique“ von Militärs beteiligt gewesen. Tatsächlich hat diesen Umsturzversuch ein Netzwerk getragen, zu dem Offiziere genauso gehörten wie Zivilisten, aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, Berufen und Weltanschauungen, von Kommunisten und Sozialdemokraten, über Gewerkschafter bis zu Konservativen. Deshalb ist es uns auch ein so großes Anliegen, immer wieder die Breite des Widerstands hervorzuheben und aus Anlass des 20. Juli auch an den gesamten Widerstand gegen das NS-Regime zu erinnern. also auch an Georg Elser und die Geschwister Scholl, den Kreisauer Kreis, die „Rote Kapelle“, das kommunistische Netzwerk um Anton Saefkow, den Widerstand aus der Arbeiterbewegung ebenso wie den bürgerlichen, den christlichen und den militärischen Widerstand und die vielen auch weniger bekannten Männer und Frauen im Widerstand.
Ein weiteres Teilstück des erwähnten NS- Narrativs war, dass die „ganz kleine Clique“ nur aus Männern bestand. Deshalb ist es so wichtig, dass mit diesem Jahrestag endlich auch dieser Teil des Narrativs angegangen wird: der Deutsche Bundestag hat 2019 ausdrücklich den Widerstand der Frauen anerkannt und dafür danken wir Ihnen, Frau Präsidentin Bas, ausdrücklich. Zurückgehend darauf hat die Gedenkstätte Deutscher Widerstand unter der Leitung von Professor Johannes Tuchel hier vor wenigen Tagen die Ausstellung über Frauen im Widerstand eröffnet. In ihrem Zentrum stehen Lebensbilder von Frauen im Widerstand in ihrer sozialen Breite und weltanschaulichen Vielfalt.
An diesem 80. Jahrestag möchten wir uns zusammen mit den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aber vor allem der Gegenwart und Zukunft zuwenden. Was lernen wir für sie aus dem Widerstand? Auch hier sind die Wege lang und die Herausforderungen bleiben. Lassen Sie mich dazu ein Zitat vortragen, leider ein ekelhaftes Zitat. Es lautet: „Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen, dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt.“ Man könnte meinen, es stammt aus der NS-Zeit – leider ist es viel schlimmer. Es ist aus der Gegenwart und kommt von einem Politiker aus Thüringen, dessen Partei, die AfD, ihn ungeniert die Sprache der Nationalsozialisten sprechen lässt. Es waren die Nationalsozialisten die die Frauen und Männer des Widerstands haben ermorden lassen. Wer ihre Sprache spricht oder sprechen lässt, kann sich niemals auf den Widerstand berufen oder ihn gar ehren, denn der Widerstand steht für Rechtsstaat, Menschlichkeit und Toleranz.
Zu Beginn dieses Jahres haben die Angehörigen Ruggero Schleicher-Tappeser, Tobias Korenke und Gemma Pörzgen den Aufruf mit dem Titel: „Aus der Geschichte lernen, die Demokratie stärken!“ initiiert. Dieser Aufruf ist auf ein großes öffentliches Echo gestoßen und fiel mit den großen Demonstrationen zusammen, mit denen die Mitte der deutschen Zivilgesellschaft ihre Stimme gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus erhoben hat.
Zum 80. Jahrestag möchte die Stiftung 20. Juli 1944 daran anknüpfen und mit unserem am vergangenen Mittwoch veröffentlichten Manifest zum 80. Jahrestag deutlich machen, dass der 20. Juli uns alle angeht. Wir freuen uns, dass so viele Angehörige dieses Manifest mittragen, ebenso wie zahlreiche Unterstützer, deren Namen Sie auf unserer Website finden. Wir stellen uns damit ausdrücklich auch gegen den Missbrauch des Widerstands durch rechte wie linke Extremisten und Populisten. Diesen Missbrauch gibt es übrigens nicht nur hier bei uns in Deutschland. So hat etwa in den USA die evangelikale und religiöse Rechte ausgerechnet Dietrich Bonhoeffer für sich entdeckt. Sie beruft sich in ihren Verschwörungserzählungen auf ihn, wenn sie zum bewaffneten Widerstand gegen den angeblich totalitären Staat aufruft.
Die Überwindung ideologischer Differenzen ist aber gerade eine der großen Errungenschaften des deutschen Widerstands. Bei der heute so notwendigen Überwindung der Gräben in unserer Gesellschaft können wir uns daran ein Vorbild nehmen. Der Widerstand muss für unser demokratisches Selbstverständnis traditionsstiftend sein und nicht dagegen. Er mahnt jeden von uns, Verantwortung in Staat und Gesellschaft zu übernehmen.
Lassen Sie mich mit einem Zitat schließen. Es ist unserer Kampagne entlehnt, mit der wir in letzten 80 Tagen vor dem heutigen 80. Jahrestag täglich eine Frau oder einen Mann aus dem Widerstand auf unserer Website und auf LinkedIn haben zu Wort kommen lassen. Sie endet am heutigen Tag mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Eines der Zitate stammt von Willy Brandt. Es lautet: Wo die Zivilcourage keine Heimat hat, reicht die Freiheit nicht weit“.
Bleiben wir also couragiert!