Das Andenken an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus lebendig halten

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Axel Smend

Das Andenken an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus lebendig halten

Ansprache des Vorsitzenden des Vorstands der „Stiftung 20. Juli 1944“ Dr. Axel Smend am 19. Juli 2007 im Berliner Rathaus

Sehr geehrter Herr Bürgermeister von Berlin,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

Herr Bürgermeister Wolf, für Ihre sensiblen und eindrucksvollen Worte und Ausführungen danke ich Ihnen sehr, im Namen der Stiftung 20. Juli 1944 wie auch des Zentralverbandes demokratischer Widerstandskämpfer und Verfolgtenorganisationen, sonst immer hier vertreten von Frau Annemarie Renger, die heute Abend nicht hier sein kann. Herr Bürgermeister, von unseren persönlichen Begegnungen weiß ich, dass Sie sich nicht nur offiziell mit dem „Deutschen Widerstand“ befassen, sondern sich auch persönlich mit dieser Thematik auseinandersetzen. Danke nochmals für Ihre Überlegungen.

In der Satzung unserer Stiftung, der Stiftung 20. Juli 1944, ist u.a. ein enges Zusammenwirken mit der Regierung des Landes Berlin fest verankert, wenn es um die Erfüllung unserer Aufgaben geht. Zu Recht, wie die Geschichte lehrt. Berlin war nicht nur die Hauptstadt des nationalsozialistischen Deutschlands, sondern sie war auch die Hauptstadt des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus.

In keiner anderen Stadt Deutschlands hat man sich so sehr um die Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus bemüht wie in Berlin. Gewiss, es war eine Anregung aus unserem Kreis, aus dem Kreis der Angehörigen des 20. Juli 1944, eine erste Gedenktafel und ein Denkmal im Hof des Bendlerblocks zu errichten, aber diese Anregung wurde vom damaligen Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter sofort aufgenommen und bereits 1952/53 in die Tat umgesetzt.

Zur selben Zeit wurde in Plötzensee eine Gedenkstätte errichtet, die an die mehr als 2.800 dort Ermordeten aus allen Teilen Europas erinnert und an die vielen Widerstandskämpfer, die dort ihr Leben lassen mussten.

Ernst Reuter und Theodor Heuss waren es, die Anfang der 1950er Jahre maßgeblich an den ersten Versuchen beteiligt waren, den 20. Juli vom Odium des Landesverrats zu befreien. Nicht umsonst haben die Gedenkfeiern hier in Berlin heute eine Tradition von mehr als 50 Jahren.

Das Land Berlin war es auch, das mit den ersten Plänen für die spätere Gedenkstätte Deutscher Widerstand Mitte der 1960er Jahre das ehemalige Oberkommando des Heeres, den historischen Ort in der Stauffenbergstraße, nutzte, um hier umfassend und dokumentarisch an den Widerstand zu erinnern. Es war konsequent, dass der damalige Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker 1983 den Auftrag gab, hier die ganze weltanschauliche Breite und soziale Vielfalt des Widerstandes gegen die Hitler-Diktatur darzustellen. Obwohl sich seit 1994 die Bundesrepublik an der Gedenkstätte Deutscher Widerstand beteiligt, ist doch das Land Berlin ein Motor gewesen, das Andenken an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus lebendig zu halten.

Helmut James Graf von Moltke wäre im März diesen Jahres 100 Jahre alt geworden. In würdigen Veranstaltungen ist seiner gedacht worden, auch hier in Berlin, zusammen mit seiner in den USA lebenden Frau Freya.

Der Kreisauer Kreis, dessen Kopf Moltke war, hat seine Arbeit 1940 hier in Berlin angefangen, nicht in Kreisau. Die erste bedeutende Zusammenkunft in Kreisau war erst Pfingsten 1942.

In zweier, dreier und vierer Gruppen haben sie sich hier in Berlin getroffen, bei Yorcks in der Hortensienstraße, aber auch bei Moltkes in der heutigen Stauffenbergstraße und auch bei anderen.

Drei Dinge faszinieren mich immer wieder am Kreisauer Kreis:

1940, auf dem Höhepunkt des Erfolges Hitlers, haben sich Yorck und Moltke zum Widerstand entschlossen, und zwar gerade wegen des Erfolges. Keiner hat sich damals blenden lassen.

Hier haben sich Menschen verschiedenster Couleur zusammengetan: Beamte, Landwirte, Aristokraten, Gewerkschaftler, Anwälte, später dann Kirchenleute und Diplomaten. Sie haben sich von Beginn an getroffen in geistiger Geschlossenheit, im Interesse einer gemeinsamen Sache, um nachzudenken und zu handeln – und dieses in schwierigster Zeit. Nachzudenken und zu handeln für die „Zeit danach“.

Im übrigen waren sie abenteuerlich jung: Moltke war 33 Jahre alt, Yorck 36 und Delp 33.

Ihr Denken war in die Zukunft gerichtet. Nicht restaurieren, sondern das Schaffen einer neuen Zivilgesellschaft war ihr Ziel, verbunden mit der Vision einer Europaregierung.

Auch die Kreisauer haben uns Kernbotschaften und Aufträge hinterlassen; ein Vermächtnis sollte sicherlich sein, allen Jugendlichen zu vermitteln, dass Zivilcourage, Solidarität und Toleranz die schützenswerten Kernelemente unserer demokratischen Gesellschaft sind. Diesen Idealen stand die totalitäre Unkultur des NS-Systems gegenüber. Das herauszustellen ist u.a. Ziel der Erinnerungsarbeit der Stiftung 20. Juli 1944: in Schulen, in Universitäten, in Kasernen. Mit Vorträgen, Diskussionsrunden, Symposien und Ausstellungen geht die Stiftung 20. Juli 1944 in die gesellschaftlich relevanten Institutionen und an die Öffentlichkeit, vor allem auch hier in Berlin.

In einer Zeit, als andernorts Widerstand gegen den Nationalsozialismus noch als Verrat galt, war es das Land Berlin, das sich der Erinnerung an eben diesen Widerstand als einer patriotischen Tat annahm. Heute erscheint dies als eine Selbstverständlichkeit; wir Angehörige der Stiftung 20. Juli 1944 aber wissen, dass dies in den 50er-Jahren grundsätzlich anders war.

Lassen Sie mich daher an dieser Stelle den hier versammelten Repräsentantinnen und Repräsentanten des Landes Berlin danken, dass Berlin in so vielfältiger Form an den Widerstand erinnert und dies auch heute Abend mit diesem Zusammentreffen dokumentiert.







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