Das Vermächtnis des 20. Juli. Ein Ereignis in unserer Geschichte, das dem deutschen Volk zur Ehre gereicht
Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Kai-Uwe von Hassel
Das Vermächtnis des 20. Juli. Ein Ereignis in unserer Geschichte, das dem deutschen Volk zur Ehre gereicht
Gedenkrede des Bundesministers der Verteidigung Kai-Uwe von Hassel am 20. Juli 1964 anlässlich der Einweihung eines Denkmals für Claus Schenk Graf von Stauffenberg in Sigmaringen
Vor nunmehr zwanzig Jahren zerriss die Detonation einer Bombe wie ein greller Blitz die dunklen Wolken, die Deutschland vor aller Welt verhüllten. Nur wenige Menschen konnten in jenen Julitagen des Jahres 1944 ahnen, dass hier durch die Tat aufrechter Männer eine Tür aufgestoßen wurde zu einem künftigen ehrenhaften Weiterleben des deutschen Volkes. Wir verneigen uns am Gedenktag des 20. Juli in Ehrfurcht vor jenen Toten und Lebenden, die den Mut und die seelische Kraft hatten, dem menschenverachtenden nationalsozialistischen System die Stirn zu bieten, die bereit waren, ihr Leben zu opfern, um das Verhängnis abzuwenden, das Hitler heraufbeschworen.
Jedoch mit einem alljährlichen Gedenken und mit einem Versuch der Deutung dieses Geschehens darf es nicht sein Bewenden haben. In unserer schnelllebigen, rastlosen Zeit würde dieses Gedenken schon bald zu einer pietätvollen Feier verflachen. Wir müssen den Geist und das Pflichtbewusstsein jener Männer in uns spüren, wo immer wir mit Unmenschlichkeit, Unfreiheit und Menschenverachtung konfrontiert werden.
Aus unserer heutigen Sicht kann man die Bedeutung des 20. Juli 1944 für unsere jüngste Geschichte noch besser verstehen, wenn man den 17. Juni 1953 mit in die Betrachtung einbezieht. Beide gehören zusammen als Aufstand des Freiheitswillens gegen den Feind im eigenen Volk. Gemeinsam ist beiden geschichtlichen Ereignissen das Aufbäumen gegen die Macht ohne Gesetz und Recht. Sie zeigten uns und der Welt, dass die Fama vom Untertanengeist der Deutschen nicht richtig ist. Stand am 17. Juni 1953 in der SBZ spontan das Volk auf, um ohne Planung und Vorbereitung in einer Woge der Erbitterung und Empörung gegen ein unmenschliches System, gegen Missachtung von Recht und Menschenwürde zu protestieren, so war das Attentat gegen Hitler die äußerste Konsequenz einer moralischen und politischen Opposition, der geistigen Elite der Nation.
Trotz aller Verschiedenheit der Herkunft fanden sich verantwortungsbewusste Persönlichkeiten zu einer gemeinsamen Aktion. Sie fanden sich in dem Bestreben, das Bild des Menschen in ihrem Volke wieder aufzurichten. Sie wollten der Welt beweisen, dass Ehre, Anstand, Recht und Freiheitsliebe nicht erloschen waren, neben Arbeiterführern, Politikern aller demokratischen Richtungen, Geistlichen beider Konfessionen, Beamten und Gelehrten standen Soldaten an der vordersten Front des Kampfes. Ihr Beispiel ermöglicht dem Soldaten der Bundeswehr eine Bindung zur echten Tradition, zu den guten Überlieferungen deutschen Soldatentums und zu den Grundlagen unserer christlich-abendländischen Kultur.
Wir können heute nur den Konflikt ahnen, den die Soldaten des 20. Juli, die Gehorsam und Treue nach Überlieferung und Erziehung als Berufsethos anerkannten, in ihrem Herzen ausfechten mussten. Sie rangen sich zu der Erkenntnis durch, dass nur der Anspruch auf Treue und Eidespflicht erheben darf, der seinerseits Treue und Eidespflicht hält. Sie wogen ab zwischen soldatischem Gehorsam und ihrer Verpflichtung vor Gott und vor ihrem Volk.
Sie handelten nach ihrem Gewissen aus ihrem Wissen um begangenes Unrecht. Sie gaben schließlich im Bewusstsein ihrer Verantwortung ihr Leben hin, damit Deutschland weiter lebe.
Es darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass sich für die Mehrzahl der Soldaten - vom General bis zum Grenadier - die Frage des Widerstands aus der Sicht ihres überschaubaren Bereichs nicht stellen konnte. Auch sie, die im guten Glauben und in gutem Gewissen an allen Fronten kämpften, haben Anspruch auf die Achtung ihres Volkes, die sich mit der Trauer um alle Gefallenen verbinden muss, die glaubten, für eine gute Sache einzustehen.
Kann die Widerstandshaltung des 20. Juli auch keine Norm setzen, weil eine geschichtliche Ausnahmesituation zu keiner Norm werden kann, so ist doch die Verweigerung sinnloser, unvollziehbarer oder ungesetzlicher Befehle gute deutsche Soldatentradition. Sie setzte voraus, dass jeder einzelne die Verantwortung für sein Handeln und seine Folgen trägt. Deshalb wird auch heute noch die Erinnerung an den General von der Marwitz in der Truppe gepflegt, der seinem König die Ausführung eines Plünderungsbefehls verweigerte. So gesehen gilt auch für den Soldaten der Bundeswehr, dass das Gewissen über dem Befehl stehen muss. Neben den Rechten, die er als Staatsbürger in Uniform genießt, bleiben für ihn bindend seine Bürgerpflichten mit allen Konsequenzen der persönlichen Mitverantwortung.
Das ist eines der Vermächtnisse der Männer des 20. Juli, das als stets lebendige Überlieferung in den neuen deutschen Streitkräften wirken soll. Es findet sichtbaren Ausdruck in der Benennung von Kasernen der Bundeswehr nach Männern wie Stauffenberg, Tresckow, Pater Delp, Leber und Rommel, in der Errichtung eines Ehrenmals für den Grafen Stauffenberg, das nicht zuletzt auf Wunsch und mit Spenden der Soldaten der Bundeswehr entstanden ist.
Es war für viele von uns ein langer Weg, um mit voller Klarheit zu erkennen, was Winston Churchill bereits zwei Jahre nach dem Attentat auf Hitler vor dem britischen Unterhaus angesprochen hat: „In Deutschland lebte eine Opposition, die durch ihre Opfer und eine entnervende internationale Politik immer schwächer wurde, aber zu dem Edelsten gehört, was in der politischen Geschichte aller Völker hervorgebracht wurde. Diese Männer kämpften ohne Hilfe von innen oder außen - einzig getrieben von der Unruhe des Gewissens. Solange sie lebten, waren sie für uns unsichtbar und unerkennbar, weil sie sich tarnen mussten. Aber an den Toten ist der Widerstand sichtbar geworden. Diese Toten vermögen nicht alles zu rechtfertigen, was in Deutschland geschah. Aber ihre Taten und Opfer sind das Fundament eines neuen Aufbaus.“
In diesem Sinne gedenken wir des 20. Juli 1944 als eines Ereignisses in unserer Geschichte, das dem deutschen Volk zur Ehre gereicht, das uns Verpflichtung und Mahnung ist, das uns das Recht und die Hoffnung gibt, ein neues demokratisches Deutschland im Kreise aller freiheitlichen und friedliebenden Völker aufzubauen.
Kai-Uwe von Hassel
Das Vermächtnis des 20. Juli. Ein Ereignis in unserer Geschichte, das dem deutschen Volk zur Ehre gereicht
Gedenkrede des Bundesministers der Verteidigung Kai-Uwe von Hassel am 20. Juli 1964 anlässlich der Einweihung eines Denkmals für Claus Schenk Graf von Stauffenberg in Sigmaringen
Vor nunmehr zwanzig Jahren zerriss die Detonation einer Bombe wie ein greller Blitz die dunklen Wolken, die Deutschland vor aller Welt verhüllten. Nur wenige Menschen konnten in jenen Julitagen des Jahres 1944 ahnen, dass hier durch die Tat aufrechter Männer eine Tür aufgestoßen wurde zu einem künftigen ehrenhaften Weiterleben des deutschen Volkes. Wir verneigen uns am Gedenktag des 20. Juli in Ehrfurcht vor jenen Toten und Lebenden, die den Mut und die seelische Kraft hatten, dem menschenverachtenden nationalsozialistischen System die Stirn zu bieten, die bereit waren, ihr Leben zu opfern, um das Verhängnis abzuwenden, das Hitler heraufbeschworen.
Jedoch mit einem alljährlichen Gedenken und mit einem Versuch der Deutung dieses Geschehens darf es nicht sein Bewenden haben. In unserer schnelllebigen, rastlosen Zeit würde dieses Gedenken schon bald zu einer pietätvollen Feier verflachen. Wir müssen den Geist und das Pflichtbewusstsein jener Männer in uns spüren, wo immer wir mit Unmenschlichkeit, Unfreiheit und Menschenverachtung konfrontiert werden.
Aus unserer heutigen Sicht kann man die Bedeutung des 20. Juli 1944 für unsere jüngste Geschichte noch besser verstehen, wenn man den 17. Juni 1953 mit in die Betrachtung einbezieht. Beide gehören zusammen als Aufstand des Freiheitswillens gegen den Feind im eigenen Volk. Gemeinsam ist beiden geschichtlichen Ereignissen das Aufbäumen gegen die Macht ohne Gesetz und Recht. Sie zeigten uns und der Welt, dass die Fama vom Untertanengeist der Deutschen nicht richtig ist. Stand am 17. Juni 1953 in der SBZ spontan das Volk auf, um ohne Planung und Vorbereitung in einer Woge der Erbitterung und Empörung gegen ein unmenschliches System, gegen Missachtung von Recht und Menschenwürde zu protestieren, so war das Attentat gegen Hitler die äußerste Konsequenz einer moralischen und politischen Opposition, der geistigen Elite der Nation.
Trotz aller Verschiedenheit der Herkunft fanden sich verantwortungsbewusste Persönlichkeiten zu einer gemeinsamen Aktion. Sie fanden sich in dem Bestreben, das Bild des Menschen in ihrem Volke wieder aufzurichten. Sie wollten der Welt beweisen, dass Ehre, Anstand, Recht und Freiheitsliebe nicht erloschen waren, neben Arbeiterführern, Politikern aller demokratischen Richtungen, Geistlichen beider Konfessionen, Beamten und Gelehrten standen Soldaten an der vordersten Front des Kampfes. Ihr Beispiel ermöglicht dem Soldaten der Bundeswehr eine Bindung zur echten Tradition, zu den guten Überlieferungen deutschen Soldatentums und zu den Grundlagen unserer christlich-abendländischen Kultur.
Wir können heute nur den Konflikt ahnen, den die Soldaten des 20. Juli, die Gehorsam und Treue nach Überlieferung und Erziehung als Berufsethos anerkannten, in ihrem Herzen ausfechten mussten. Sie rangen sich zu der Erkenntnis durch, dass nur der Anspruch auf Treue und Eidespflicht erheben darf, der seinerseits Treue und Eidespflicht hält. Sie wogen ab zwischen soldatischem Gehorsam und ihrer Verpflichtung vor Gott und vor ihrem Volk.
Sie handelten nach ihrem Gewissen aus ihrem Wissen um begangenes Unrecht. Sie gaben schließlich im Bewusstsein ihrer Verantwortung ihr Leben hin, damit Deutschland weiter lebe.
Es darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass sich für die Mehrzahl der Soldaten - vom General bis zum Grenadier - die Frage des Widerstands aus der Sicht ihres überschaubaren Bereichs nicht stellen konnte. Auch sie, die im guten Glauben und in gutem Gewissen an allen Fronten kämpften, haben Anspruch auf die Achtung ihres Volkes, die sich mit der Trauer um alle Gefallenen verbinden muss, die glaubten, für eine gute Sache einzustehen.
Kann die Widerstandshaltung des 20. Juli auch keine Norm setzen, weil eine geschichtliche Ausnahmesituation zu keiner Norm werden kann, so ist doch die Verweigerung sinnloser, unvollziehbarer oder ungesetzlicher Befehle gute deutsche Soldatentradition. Sie setzte voraus, dass jeder einzelne die Verantwortung für sein Handeln und seine Folgen trägt. Deshalb wird auch heute noch die Erinnerung an den General von der Marwitz in der Truppe gepflegt, der seinem König die Ausführung eines Plünderungsbefehls verweigerte. So gesehen gilt auch für den Soldaten der Bundeswehr, dass das Gewissen über dem Befehl stehen muss. Neben den Rechten, die er als Staatsbürger in Uniform genießt, bleiben für ihn bindend seine Bürgerpflichten mit allen Konsequenzen der persönlichen Mitverantwortung.
Das ist eines der Vermächtnisse der Männer des 20. Juli, das als stets lebendige Überlieferung in den neuen deutschen Streitkräften wirken soll. Es findet sichtbaren Ausdruck in der Benennung von Kasernen der Bundeswehr nach Männern wie Stauffenberg, Tresckow, Pater Delp, Leber und Rommel, in der Errichtung eines Ehrenmals für den Grafen Stauffenberg, das nicht zuletzt auf Wunsch und mit Spenden der Soldaten der Bundeswehr entstanden ist.
Es war für viele von uns ein langer Weg, um mit voller Klarheit zu erkennen, was Winston Churchill bereits zwei Jahre nach dem Attentat auf Hitler vor dem britischen Unterhaus angesprochen hat: „In Deutschland lebte eine Opposition, die durch ihre Opfer und eine entnervende internationale Politik immer schwächer wurde, aber zu dem Edelsten gehört, was in der politischen Geschichte aller Völker hervorgebracht wurde. Diese Männer kämpften ohne Hilfe von innen oder außen - einzig getrieben von der Unruhe des Gewissens. Solange sie lebten, waren sie für uns unsichtbar und unerkennbar, weil sie sich tarnen mussten. Aber an den Toten ist der Widerstand sichtbar geworden. Diese Toten vermögen nicht alles zu rechtfertigen, was in Deutschland geschah. Aber ihre Taten und Opfer sind das Fundament eines neuen Aufbaus.“
In diesem Sinne gedenken wir des 20. Juli 1944 als eines Ereignisses in unserer Geschichte, das dem deutschen Volk zur Ehre gereicht, das uns Verpflichtung und Mahnung ist, das uns das Recht und die Hoffnung gibt, ein neues demokratisches Deutschland im Kreise aller freiheitlichen und friedliebenden Völker aufzubauen.