"Der Widerstand in Deutschland gegen Hitler ist gescheitert, aber er ist politisch weder wirkungs- noch folgenlos geblieben."

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Axel Smend

"Der Widerstand in Deutschland gegen Hitler ist gescheitert, aber er ist politisch weder wirkungs- noch folgenlos geblieben."

Ansprache des Vorsitzenden des Vorstands der „Stiftung 20. Juli 1944“ Dr. Axel Smend am 19. Juli 2008 im Berliner Rathaus

Heute hätte hier, so wie andere Male auch, Annemarie Renger gesprochen, im Namen der Stiftung 20. Juli 1944 und des Zentralverbandes demokratischer Widerstandskämpfer. Frau Renger ist im März dieses Jahres verstorben. Ich denke gern an ihre häufig am Vorabend des 20. Juli im Berliner Rathaus vorgetragenen Worte zurück: stets geprägt von Leidenschaft und Klarheit.

Wir alle vermissen Frau Renger auch heute Abend.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister von Berlin,

meine sehr verehrten Damen, meine Herren,

Ihnen Herr Bürgermeister Wolf danke ich für Ihre eindrucksvollen und sensiblen Überlegungen.

Berlin war immer die Hauptstadt des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. In keiner anderen Stadt Deutschlands hat man sich so sehr um die Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus bemüht wie in Berlin. Es war der damalige Regierende Bürgermeister Ernst Reuter, der die Anregung, eine Gedenktafel und ein Denkmal im Hof des Bendlerblocks in Erinnerung an den Widerstand anzubringen, sofort aufgenommen und 1953 in die Tat umgesetzt hat. Er sagte damals: "Der Senat von Berlin wird nicht ruhen, die Taten des deutschen Widerstandes immer wieder in das Bewusstsein der deutschen und der Weltöffentlichkeit zu heben." Der Senat von Berlin hat Wort gehalten.

Die Gedenkfeiern in Berlin haben heute eine Tradition von weit mehr als 50 Jahren.

Das Land Berlin war es auch, das mit den ersten Plänen für die spätere Gedenkstätte Deutscher Widerstand Mitte der 1960er Jahre das ehemalige OKH, den historischen Ort in der Stauffenbergstraße, nutzte, um hier umfassend und dokumentarisch an den Widerstand zu erinnern. Der damalige Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker hat 1983 den Auftrag gegeben, hier die ganze weltanschauliche Breite und soziale Vielfalt des Widerstandes gegen die Hitlerdiktatur darzustellen. Alleine im letzten Jahr haben mehr als 100.000 Personen diese Gedenkstätte besucht. So ist das Land Berlin immer ein Motor gewesen, das Andenken an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus lebendig zu halten.

Das zum Glück unverändert hohe, 64 Jahre nach den Ereignissen eher zunehmende öffentliche Interesse – auch das der Jugendlichen – am deutschen Widerstand gegen Hitler darf nicht voreilig als Nachweis seiner unangefochtenen Bedeutung und Wertschätzung interpretiert werden. Über viele Jahrzehnte hinweg ist der Widerstand direkt oder indirekt des Vaterlandsverrates verdächtigt worden. Joachim Fest hat in seiner Rede zur Verleihung des Eugen Bolz Preises vom „verschmähten Vermächtnis“ gesprochen, das bis heute nicht zum selbstverständlichen nationalen Besitz geworden ist:

"Der 20. Juli ist immer ein Gedenktag dritter Klasse geblieben. Wann je wäre eine Nation, die auf sich hält, ähnlich geringschätzig mit einem Datum und einer Personengruppe umgegangen, in deren moralischer Pflicht sie steht?"

Tatsächlich ist bei aller Unterschiedlichkeit des politischen Kontextes der Unterschied zu Frankreich auffällig, wo die Résistance wesentlicher Bestandteil des nationalen Selbstbewusstseins ist.

Der Widerstand in Deutschland gegen Hitler ist gescheitert, aber er ist politisch weder wirkungs- noch folgenlos geblieben. So gibt es für mich vier nachhaltige Wirkungen des politischen Widerstandes gegen das nationalsozialistische Terrorregime:

Der Widerstand war Voraussetzung und Grundlage für die Wiederherstellung des Ansehens Deutschlands in der Welt. So sagte Churchill 1946:

"In Deutschland lebte eine Opposition, die zum Edelsten und Größten gehört, was in der politischen Geschichte aller Völker hervorgebracht wurde. Diese Menschen kämpften ohne Hilfe von innen und außen – einzig getrieben von der Unruhe des Gewissens. Solange sie lebten, waren sie für uns unsichtbar, weil sie sich tarnen mussten. Aber an den Toten ist der Widerstand sichtbar geworden. Diese Toten vermögen nicht alles zu rechtfertigen, was in Deutschland geschah. Aber ihre Taten und Opfer sind das unzerstörbare Fundament des neuen Aufbaus."

Der Widerstand war und bleibt die Dokumentation eines besonderen Patriotismus, nämlich eines Patriotismus, der Deutschland nicht in Abgrenzung zu anderen Ländern definiert, und der schon gar nicht bereit ist, Volk, Staat oder Nation für wichtiger zu halten als Person, Menschenwürde und Recht.

Der Widerstand hat entscheidend zur Wiederentdeckung des Rechtsstaates als Grundlage für Freiheit und Gerechtigkeit beigetragen. Er wirkt als dauerhafte Orientierung für den Umgang mit Extremismus.



Die Auflehnung gegen staatliches Unrecht hat ihren Niederschlag im Grundgesetz gefunden. Im zeitlichen Kontext der Debatte um die so genannten Notstandsgesetze ist im Art. 20, Abs. 4 das Recht auf Widerstand verankert "gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen (…), wenn andere Abhilfe nicht möglich ist".

Man mag darüber streiten, ob sich ein Recht auf Widerstand überhaupt kodifizieren lässt. Dass unsere Verfassung, solchen Bedenken zum Trotz, ausdrücklich ein Recht auf Widerstand integriert, um diese Verfassung gegen ihre mutwillige Zerstörung zu schützen, zeigt die Nachwirkung des im Scheitern erfolgreichen deutschen Widerstandes.

Vicco von Bülow alias Loriot, der als Oberleutnant der Wehrmacht drei Jahre im Russlandfeldzug war, hat in einem Interview aus Anlass seines 80. Geburtstages seine Rolle als Soldat mit der Tradition seiner Familie begründet, die seit Jahrhunderten nicht infrage gestellt worden sei. Auf die Frage, ob er ein guter Soldat gewesen sei, gab er die Antwort:

"Nicht gut genug, sonst hätte ich am 20. Juli 1944 zum Widerstand gehört. Aber für den schauerlichen deutschen Beitrag zur Weltgeschichte werde ich mich schämen bis an mein Lebensende."

Dies ist das doppelte Vermächtnis des 20. Juli 1944: einerseits die Scham über eine beispiellose Verirrung und andererseits das Selbstbewusstsein über ein neues demokratisches Deutschland, das es dem heldenhaften Einsatz derer verdankt, die im Scheitern erfolgreich gewesen sind.

Und dieses Vermächtnis systematisch weiter zu tragen, ist heute eine der wesentlichsten Aufgaben und Pflichten der Stiftung 20. Juli 1944, die ich hier vertrete, weiter zu tragen nach draußen, speziell an die Jugend, die Soldaten in der Bundeswehr und ins Ausland.

Es war das Land Berlin, das sich der Erinnerung an den gescheiterten Widerstand als einer patriotischen Tat aktiv annahm. Heute erscheint dies als eine Selbstverständlichkeit; wir aber wissen, dass dies in den fünfziger Jahren grundsätzlich anders war.

Lassen Sie mich daher an dieser Stelle den hier versammelten Repräsentantinnen und Repräsentanten des Landes Berlin danken, dass Berlin in so vielfältiger Form an den Widerstand erinnert und dies auch heute Abend mit diesem Zusammentreffen dokumentiert.







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