Ein Opfer von ganz seltenem Rang

Johannes Adolph
Ein Opfer von ganz seltenem Rang
Predigt von Prälat Johannes Adolph am 20. Juli 1955 im Gefängnis Lehrter Straße, Berlin



Wir haben hier an dieser Stätte, an der Männer des Widerstandes ihre Kreuzwegstationen durchliefen, den Altar aufgebaut und feiern im Gedenken all dieser Männer das heilige Opfer.


Das Wort „Opfer“ und der Vorgang des Opferns scheint mir der richtige Anknüpfungspunkt zu sein, um hier einige Worte an Sie zu richten: Es ist ein Gesetz unseres menschlichen Lebens, dass wir alle von dem Opfer der anderen leben und wehe dem Menschen, dem die Kräfte und der Segen des Opfers, das andere für ihn bringen, versagt bleiben. Dieses heilige Opfer gilt für die Familie, das Kind, für die Gemeinde, gilt für das Volk. – Wir wollen bei dem Wort „Opfer“ uns darüber klar sein über die Rangordnung des Opfers, dieser Rang entscheidet sich bei der Antwort: warum und wozu. Sehen Sie, wenn wir diese Frage auf die Männer anwenden, zu deren Gedächtnis wir dieses Opfer feiern, dann wissen wir, es handelt sich um ein Opfer ganz von seltenem Rang.


Gewiss hatten die Nazis, wie alle Menschen, die im politischen Leben wirken, politische, sie hatten militärische, sie hatten wirtschaftliche Nazis. Aber ihren Auftrag und die letzte Ursache und den letzten Grund sahen sie doch darin, dass ihnen Weltkräfte überantwortet waren, die sie in hellem, bei uns nie gekannten Widerspruch zu Gottes Gesetz, zu Gottes Gebot, ins Verderben führten und dazu bin ich berufen, wenn auch unter furchtbar ungünstigen und widerwärtigen Umständen, wieder den Gesetzen Gottes, den Geboten Gottes, den Weg zu bereiten und Anerkennung zu schaffen.


Man hat manchmal den Versuch unternommen, durch Kritik an den Nazis das Wirken und den Wert der Männer des Widerstandes zu mindern. Wer sie von da aus nur sieht und beurteilt, sieht vollkommen an ihrer Aufgabe und an ihrem Auftrag, den sie für sich gegeben haben, vorbei. Ihr tiefstes Anliegen war: wieder Recht, Würde und Freiheit als Ausdruck möglichen Wollens in der Gemeinschaft unseres Volkes herzustellen und daher verbindet sich mit dem Gedenken an sie das Gefühl tiefer bleibender christlicher Dankbarkeit. Dieses Opfer, das sie gebracht haben, ist als bleibender, unantastbarer Wert eingeflochten in die Geschichte unseres Volkes.


Sehen Sie, man macht heutzutage oft zu viel her vom Versagen der Gesetze. Mit einer gewissen Freude breiten Philosophen und Dichter das menschlich Dunkle vor uns aus. Solange wir zur Geschichte unseres Volkes diese Opfertaten der Männer des 20. Juli und der anderen Tage rechnen dürfen, sollen wir dankbar sein und sollen uns glücklich preisen. Und sehen Sie, so wie jede böse Tat, die ihr Dunkel ausbreitet und ihre niederträchtige Nachkommenschaft hat, so aber wirkt auch jede gute Tat objektiv in sich. Da sollte es uns nicht beunruhigen, dass vielleicht, wenn ich den Ausdruck gebrauchen soll, in der Durchschnittsmasse dieses Bewusstsein nicht so lebendig ist, nicht so stark verwurzelt ist!


Sehen Sie, die Lichter auf dem Jahrmarkt des Lebens sind viele und kurz nur für Stunden. Das Licht aber des Leuchtturms, das über gefährliche Tiefen und Untiefen und an den Riffen vorbei den Weg weist, leuchtet immer. Es leuchtet Einsamen und die sich für die Verantwortung bewusst sind, die die Hand am Steuer haben, richten sich nicht nach den Lichtern des Jahrmarkts, sondern richten sich nach den Lichtern der Landstraße. Und solches Leuchtturmlicht, das uns den Weg weist, ist uns durch den Opfergang dieser Männer gegeben.


Lassen Sie mich zum Schluss den ganz katholischen Gedanken noch unterstreichen: Sie sind uns ja nicht genommen, sondern sie sind in unserer Familie geblieben. Sie sind in der Familie Gottes gegenwärtig und, wenn überhaupt menschliches Urteil vorweg begründet ist, so doch in diesem Falle, dass sie als Freunde Gottes im Lichte Gottes jetzt die Herrlichkeit und den Frieden schauen. Und das ist sicher für Sie persönlich zunächst eine Quelle des Trostes und der Freude, aber auch der Hilfe. Denn sie sind jetzt unsere Freude mit dem Preis der Liebe und der Hilfe Gottes auf unserem Lebensweg. Aber über dieses familienhafte Band hinaus glaube ich, sollten wir in diesen Männern, die jetzt als Freunde Gottes am Throne Gottes den Frieden haben, auf den Anwalt von dem Fürsprecher unseres Volkes sehen. Wie hat die Liebe zu unserem deutschen Volk in diesen Herzen in der dunklen Nacht gebrannt als heilige Aufgabe und als heiliges Vermächtnis, und wie sind sie menschlich gesehen, gescheitert als sie in letzter Stunde das Volk vom Abgrund zurückreißen wollten. Das mussten wir ja bis zur Neige auskosten, und die Aufgaben, die sie sich gestellt haben, sind noch längst nicht erfüllt und gerade in diesen Tagen, wo die Mächtigen der Welt beraten, um das wieder gutzumachen, in Ordnung zu bringen, was sie durch eigene Initiative wollten, sollten wir uns im Vertrauen auch an sie wenden mit ihrer Fürsprache und mit ihrem Eintreten bei Gott für unser liebes, deutsches Vaterland.


Sehen Sie, natürlich stehen bei allen Mitbetrachtungen immer militärische, wirtschaftliche, politische Fragen im Vordergrund, und es wäre unsinnig und auch völlig unangebracht, die Bedeutung und das Schwergewicht dieser Fragen auch nur um ein Milligramm zu mindern.


Aber denken Sie an das Psalmwort: Wenn der Herr das Haus nicht baut, bauen die Bauleute vergeblich, und wenn der Herr nicht die Stadt bewacht, wachen die Wächter vergeblich, und so müssen wir diese kurze Gedenkansprache mit der Anregung und Bitte schließen, dass jene Männer, die jetzt als Freunde Gottes am Throne Gottes sind, ihre Fürsprache und ihre Fürbitte bei Gott einlegen können, dass unser Volk den rechten Weg einschlage, dass unser Volk auf dem rechten Wege bleibt, dass unserem Volk das Verständnis, die Kraft und die Sicherheit gegeben werden möge, durch Gottes Gnade, Recht und Würde, Freiheit, Achtung in seinen Reihen zu bewahren und den Weg des Friedens mit sich selbst und den Weg des Friedens mit den anderen Völkern zu gehen.


Amen.