Gedenken an Erwin von Witzleben
Rede
Gedenken anlässlich des Todestages von GFM Erwin von Witzleben am 08.08.2022 auf dem Invalidenfriedhof in Berlin
- Brigadegeneral Olaf Rohde –
Sehr geehrter Herr Dr. von Voss, (sehr geehrter Herr Dr. von Witzleben),
liebe Angehörige der Familie von Witzleben,
sehr geehrter Herr Domprediger Kösling,
sehr geehrter Herr General Uchtmann,
sehr geehrte Damen und Herren!
Ich freue mich, dass Sie alle auch in diesem Jahr hierhergekommen sind und sich die Zeit nehmen, um einem besonderen Menschen und Offizier zu gedenken und die Ehre zu erweisen.
Doch im Unterschied zum vergangenen Jahr sind die Rahmenbedingungen andere. Wir haben Krieg in Europa. Einen Krieg zwischen souveränen Staaten. Wir erleben russische Aggression, Zerstörung und Leid und wir erfahren, dass ein Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand tatsächlich schnell zu Ende sein kann.
Aber so schlimm der Krieg in der Ukraine ist, so sehr bestärkt er uns Soldatinnen und Soldaten doch darin, dass es eine gute und richtige Entscheidung war, sich in der Bundeswehr für unser Land zu engagieren.
Denn es war schon immer so, nun ist es aber klar und eindeutig. Wir müssen jederzeit bereit sein, Frieden und unsere Freiheit zu verteidigen. Wir müssen vorbereitet sein, nicht nur handwerklich und körperlich, sondern auch mental.
Und das gilt für die, die Führungsverantwortung übernehmen, also für Offiziere, in besonderem Maße.
Was mich als Soldat und Offizier sehr erstaunt (vielleicht auch erschreckt), ist die Art und Weise, wie der Krieg geführt wird.
Wir erleben ein brutales und menschenverachtendes Vorgehen mit Angriffen auf Wohnviertel, auf Kultureinrichtungen und Zivilisten sowie die Zerstörung und das „unbewohnbar machen“ ganzer Landstriche, Russifizierung und vieles mehr.
Da stellt sich für mich schon die Frage, wer so etwas über alle Ebenen hinweg anordnet und wer wofür auf welcher Ebene Verantwortung trägt und Verantwortung wahrnimmt.
Denn es gibt auch im Krieg Regeln, um Wehrlose zu schützen. Es stellt sich die Frage, welches schräge Menschenbild die Entscheider haben, ob sie einem Menschenleben überhaupt einen Wert beimessen und was sie eigentlich antreibt.
Ich kann alle diese Fragen nicht abschließend beantworten. Aber ein Teil der Antwort hat etwas mit den Inhalten der Ausbildung, der Prägung und der Erziehung sowie dem Denken der Entscheider und Führungskräfte zu tun.
Und da sage ich: Wir machen das anders. Und wir machen es besser. Davon bin ich überzeugt. Aber nur bei dieser Feststellung stehen zu bleiben, reicht nicht aus. Gerade heute, an diesem Ort, zu diesem Anlass.
Denn bei der Frage, was unsere Offiziere leiten sollte und was Ihnen Orientierung gibt, geht es um eine regelmäßige gedankliche Justierung und das Besinnen auf unsere Wurzeln.
Die Ausbildung an der Offizierschule des Heeres hat zum Ziel Offiziere so auszubilden, dass sie gute Führer, Ausbilder und Erzieher werden und bleiben. Und dass sie für unser Land erfolgreich sind und auch unter höchster Belastung als Führer im Gefecht bestehen können.
Diese große Verantwortung von militärischen Führerinnen und Führern für Leib und Leben anderer erfordert eine besondere Ausbildung.
Deshalb ist sie umfassend und fordernd. Deshalb behält sie zusätzlich zu dem militärfachlichen Können und der körperlichen Leistungsfähigkeit vor allem die wertebasierte geistige Fitness und Flexibilität der Offiziere im Blick, um eine ethisch-moralische Bewertungs- und Urteilsfähigkeit sowie eine Haltung auszuprägen.
Denn erst moralische und charakterliche Integrität verschafft uns Offizieren die Festigkeit, die wir Grenzsituationen brauchen, um als Persönlichkeit und als Führerin und Führer zu bestehen.
Genau deshalb ist unsere Ausbildung wertegebunden. Wir müssen auf einer festen Basis von Werten und Tugenden stehen. Und gerade in der Ausbildung an der OSH liegt da ein Schwerpunkt.
Denn wer andere führen und für eine gute Sache eintreten will, muss selbst einen klaren Kompass haben, der auch unter Belastung und in schweren Zeiten Halt und Orientierung gibt.
Unser Fundament besteht aus den Werten unseres Grundgesetzes. Im Besonderen: Menschenwürde, Freiheit und Demokratie.
Wir können als Soldatinnen und Soldaten doch nicht für die Menschenwürde und unsere Werte eintreten und diese dabei missachten. Wer Menschenwürde verteidigt, muss sich dabei auch menschenwürdig verhalten.
Den damit verbundenen hohen Anspruch an die Aus- und Weiterbildung sowie die Prägung unserer Führungskräfte können wir auch weiterhin erfüllen. Davon bin ich fest überzeugt.
Insbesondere dann, wenn alle Vorgesetzten und Ausbilder diesen Anspruch selbst vorleben und dadurch prägen und motivieren.
Und, indem wir uns mit dem, was in der Vergangenheit geschah, beschäftigen und Lehren daraus ziehen. Und wir uns die Vorbilder aus der Geschichte bewahren, die als Menschen untadelig waren und uns damit Beispiel gegeben.
Und genau hier schließt sich der Kreis. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit der Erwin von Witzleben Gesellschaft und der Auseinandersetzung mit dem Deutschen Widerstand so wichtig, not-wendig und richtig.
Es geht darum, an das Vorbildliche aus der Vergangenheit zu erinnern, es zu bewahren und weiterzutragen und damit unsere Offizieranwärterinnen und -anwärter und jungen Offiziere bestmöglich auf ihre Aufgaben vorzubereiten.
Die damit verbundenen Anstrengungen in der Ausbildung sind eine kostbare und notwendige Aussaat, deren Früchte wir mit zu-künftigen Generationen an guten Führerinnen und Führern ernten werden. Und das ist gut für die Bundeswehr und für unser Land.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wir sehen uns dem ethisch-moralischen Vermächtnis der Männer und Frauen im Widerstand verpflichtet. Denn sie gaben uns klare Hinweise über das Bewusstsein über die Frage, was uns leitet und was uns Orientierung geben sollte.
Sie hatten einen justierten ethisch-moralischen Kompass. Sie folgten ihrem Gewissen und übernahmen Verantwortung für ihr Land, als andere wegsahen.
Sie haben der Welt gezeigt, dass es auch ein anderes Deutschland gab. Sie waren dazu bereit, ihr eigenes Leben zu geben, um anderen das Leben zu ermöglichen. Sie stehen für alle Menschen, die für Frieden, Recht und Freiheit kämpfen.
Die Verbindung der Offizierschule des Heeres mit der Erwin von Witzleben Gesellschaft ist eine wunderbare Verbindung, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbindet.
Erwin von Witzleben vereinigt in seiner Person neben höchster militärischer Kompetenz den Teil der Wehrmacht, der sich frühzeitig und unabhängig von den Anfangserfolgen des Nationalsozialismus in die strikte Opposition zu Hitler begab.
Er hielt diese nur von Wenigen mitgetragene Haltung weiterhin uneingeschränkt - und auch ungeachtet aller militärischen Er-folge des „Dritten Reiches“ - bis zum Ende durch.
Er übernahm ohne jede Einschränkung die volle Verantwortung für sein Handeln und bezahlte ungebrochen seinen Widerstand mit dem Tod am Galgen in Plötzensee.
Erwin von Witzleben besitzt damit als Soldat, als Mensch und Staatsbürger in seiner Zeit und weit darüber hinaus eine überragende Vorbildfunktion. Er wirkt beispielgebend und sinnstiftend bis in die Gegenwart hinein.
Erwin von Witzleben steht aus meiner Sicht aber auch als Beispiel für zwei weitere, übergreifende Aspekte.
Das es am Ende um Haltung und Charakter geht – auch dann, wenn es ganz eng wird. Das ist einfach gesagt und manchmal doch so schwer. Er hat es bewiesen. Er wurde vom Regime gedemütigt und getötet. Er ließ sich aber als Mensch und Persönlichkeit bis zum bitteren Ende nicht brechen.
Und er zeigt uns, dass Vorgesetzte aller Ebenen sich in erster Linie nicht durch ihren Dienstgrad auszeichnen, sondern durch Können, Haltung und innere Einstellung, die durch gute Führung und vorbildliches Verhalten und Taten sichtbar werden. Und das gilt nicht nur für die Bundeswehr.
Im Namen aller Angehörigen der Offizierschule des Heeres verneige ich mich mit tiefem Respekt und Anerkennung vor Erwin von Witzleben.
Wir werden sein ethisch-moralisches Vermächtnis und das des Widerstandes bewahren und an unsere jungen Offiziere weitergeben. Wir werden dabei nicht müde werden und dem Vergessen auch weiterhin entschlossen entgegentreten.
Der Widerstand des 20. Juli gegen den NS-Staat erinnert uns an unsere Pflicht, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Werte des Grundgesetzes aktiv einzustehen, wie es unser Eid fordert. Nicht nur im Dienst, sondern überall und jederzeit.
Wir. Dienen. Deutschland.
Ich danke Ihnen.