Herrschaft der Gerechten. Zum 58. Jahrestag des 20. Juli 1944

Gedenkrede von Lord Ralf Dahrendorf am 20. Juli 2002 im Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin
Zum zweiten Mal in meinem Leben bin ich heute der Einladung gefolgt, etwas zum 20. Juli 1944 zu sagen. Das erste Mal liegt weit, nämlich 57 Jahre zurück. Es war am 1. Jahrestag des Aufstandes gegen Hitler, also am 20. Juli 1945. Ich war 16. Das Zehlendorfer Gymnasium hier in Berlin hatte erst vor kurzem den Unterricht wieder aufgenommen. In der Prima, der Abiturklasse, saßen wir mit unseren diversen Erfahrungen. Einem war nach dem Angriff auf die Stellung, in der er als Flakhelfer diente, ein Bein amputiert worden; ein anderer zeigte uns sein als Volkssturmkind erworbenes Eisernes Kreuz; alle hatten Geschichten von Ausbombung, Flucht, Leid und Tod zu erzählen.
Ich war Opfer des Faschismus, wie es damals hieß, denn ich war im Gefängnis und dann im Lager gewesen wegen meiner Mitwirkung an einer kleinen Organisation mit dem großen Namen „Freiheitsverband Höherer Schüler Deutschlands“. Und mein Vater war gerade aus dem Zuchthaus gekommen, einer der wenigen Überlebenden der Freisler-Prozesse vor dem Volksgerichtshof gegen die „Verschwörer“ des 20. Juli, zu denen er als Sozialdemokrat gehört hatte.
Also musste ich die Rede halten, übrigens meine erste öffentliche Rede überhaupt. Ich habe den Text noch, und ich lese ihn heute nicht ohne Überraschung. „Ist nicht eigentlich unser ganzes deutsches Land ein einziges Opfer des Faschismus?“ Von dieser Frage ging ich aus, und in der Frage lag eine Aussage, die alle einzuschließen suchte, den mit dem amputierten Bein ebenso wie den mit dem Eisernen Kreuz. War es vielleicht in jenem Jahr Null noch leichter so etwas zu sagen als ein halbes Jahrhundert später, wo moralische Urteile über Vergangenes so wohlfeil geworden sind?
Allerdings war das 1945 nicht mein letztes Wort. Ich sprach auch vom Opfermut der Attentäter und ihrer Freunde und dem Sinn ihres Opfers. Sie haben, sagte ich, die Flamme der Freiheit und der Menschlichkeit in und für Deutschland hochgehalten. Das sahen schon damals nicht alle so. Kürzlich schickte mir ein amerikanischer Bekannter zwei Dokumente vom Herbst 1945, die schon lange nicht mehr der Geheimhaltung unterliegen und daher vermutlich der Forschung wohlbekannt sind. (Ich sah sie allerdings zum ersten Mal.) Beide Texte stammen aus Quellen des US-Geheimdienstes - Intelligence, wie es im Englischen weniger unheimlich heißt - und beide befassen sich mit der politischen Bedeutung des 20. Juli.
Beide kommen auch, nach der für den damaligen Kenntnisstand informativen Darstellung der Ereignisse, zu einem ähnlichen Schluss. Der Bericht der Field Intelligence Study vom 15. Oktober 1945 endet mit einer praktischen Folgerung:
„Wenngleich sie dramatisch war und obwohl sie einen Verlust bedeutete für eine potentiell wertvolle Führung Nachkriegsdeutschlands, kann man nicht davon ausgehen, dass die Verschwörung allen mit ihr Verbundenen ein besonderes Maß an politischer Verlässlichkeit und moralischer Qualität gegeben hat.“
Der andere Bericht, der auf der Befragung von Beteiligten in Berlin beruht (Consolidated Interrogation Report vom 10. September 1945), kommt zu noch härteren Schlüssen. In ihm wird vor allem argumentiert, dass das Scheitern des 20. Juli gut für Deutschland und die Welt war, weil nur die totale Niederlage das Wiederaufleben eines deutschen Nationalismus verhindern konnte.
„Eine Quelle nennt die Männer, die die Revolte planten, „Männer von gestern“. Zweifellos waren sie in ihrer überwiegenden Mehrheit ehrliche, ehrenhafte und anständige Männer. Aber weder die Welt noch Deutschland selbst würde in ihnen den wahren demokratischen Geist oder die Vitalität und den Eifer gefunden haben, die doch Voraussetzung für die Führer des geographischen Zentrums Europas in einer demokratischen Welt sind.“
Darüber ist zu reden. In der Tat ist schon viel darüber geredet worden, immer wieder auch aus Anlass der Jahrestage des 20. Juli hier in Berlin. Insofern habe ich nichts Neues zu sagen, sondern kann nur bekannten Thesen einen wenn nicht originellen, so doch zeitgenössischen Dreh geben.
In der Tat glaube ich auch, dass die Mehrzahl der Männer (und der wenigen Frauen) des 20. Juli nicht im emphatischen Sinn der streitbaren und parteiischen Tagespolitik von Westminster oder vom Capitol Hill Demokraten waren. (Sie waren es wohl noch weniger im egalitären Sinn von Tocquevilles Demokratie in Amerika, aber das steht auf einem anderen Blatt.) Manche kamen einem westlichen Verständnis von Demokratie durchaus nahe. Ich übertreibe, glaube ich, nicht, wenn ich meinen Vater dazu rechne, der nicht zufällig nach dem Krieg zum Beispiel für das Mehrheitswahlrecht nach britischem Muster eintrat.
Aber auch einem Sozialdemokraten wie Julius Leber war die kraftvolle Autorität des Staates wichtiger als die immer kritische Opposition, geschweige denn der Parteienstreit. An Überlebenden der - wie soll ich es sagen? - preußischen Abteilung des 20. Juli konnte man noch deutlicher ablesen, worum es ging. Die im letzten Jahr leider von uns gegangene Marion Gräfin Dönhoff war im Sinne der lautstarken und grobschlächtigen politischen Auseinandersetzung nie so recht Demokratin. Die Parteien mochte sie allesamt nicht sonderlich; bedeutende politische Führer waren ihr wichtiger, und die mussten vor allem anständig sein. Die Tugend der Führenden war für sie die erste Voraussetzung eines guten Gemeinwesens.
Amerikanern ist dieses Denken eher fremd (auch wenn manche, von George Kennan bis zu Henry Kissinger, die die Gräfin gerade wegen ihrer beharrlich vertretenen Position verehrten). Es ist wichtig daran zu erinnern, dass die zitierten Texte amerikanische Texte sind. In der amerikanischen Verfassung geht es eher um die Bändigung der Interessen als um die Herrschaft des Rechts. Einer ihrer Väter, Alexander Hamilton, hat das Recht immer für prekär gehalten. Nach dem Motto „Wie viele Divisionen hat der Papst?“ hat er gefragt, wie denn die Urteile der Richter durchgesetzt werden können. Selbst der konservativere James Madison verließ sich lieber auf aktive Minderheiten als auf Gerichte. Und jene Demokratie, von der Tocqueville sprach, also die bürgerliche Gleichheit, hat dafür gesorgt, dass die Bäume der Führenden auch dann nicht in den Himmel wachsen, wenn sie ansehnlich sind. Amerika hat nicht viele große Präsidenten gehabt oder auch nur gewollt; die weit überwiegende Zahl bestand aus normalem politischem Durchschnitt.
Hinter diesen Anmerkungen steckt eine These, die für das Verständnis Amerikas ebenso wichtig ist wie für das des 20. Juli 1944. In ihrer einfachsten Form besagt sie: Rechtsstaat und Demokratie sind nicht dasselbe. Nur im Glücksfall erscheinen sie beide zusammen, und auch dann speisen sie sich aus unterschiedlichen Quellen. Die USA waren von Anbeginn vor allem demokratisch. Mit dem Recht als Leitfaden des öffentlichen Handelns - zum Unterschied von der Justiz als Instrument privater Auseinandersetzungen - haben sie sich immer schwer getan.
Das Gegenstück zu den USA ist die preußische Tradition. In ihr stand das Recht in all seiner herben Härte im Zentrum; aber von Demokratie war nur ansatzweise die Rede. Die Amerikaner, die die Männer vom 20. Juli so skeptisch sahen, haben also ihre Maßstäbe angelegt. Wer wollte es ihnen verübeln? In der Tat sind das heute auch deutsche Maßstäbe. Jedoch wird man dem 20. Juli nur gerecht, wenn man in ihm den Aufstand des besten an der preußisch-deutschen Tradition gegen die Willkür des NS-Regimes sieht. Es ging um Recht und Anstand, nicht in erster Linie um Demokratie.
Da ist indes noch ein Wort nötig zu dem schwierigen deutschen Begriff des Rechtsstaates. Es ist bedauerlich und doch auch charakteristisch, dass in Deutschland der Bürger zum Staatsbürger und das Recht zum Rechtsstaat geworden ist. Für den Liberalen zumindest ist der Bürger eben nicht eine Kreatur des Staates, und die Tatsache dass der Staat auch Böses tun kann - und nie als solcher für gut gehalten werden sollte - macht es wünschenswert, das Recht von ihm zu trennen. Der Unrechtsstaat Hitlers beruhte ja durchaus auf geschriebenen Texten mit der formalen Qualität des Rechts, angefangen vom Ermächtigungsgesetz von 1933. Ich wollte, es gäbe eine gute Übersetzung des angelsächsischen Begriffs der rule of law, also der Geltung und Herrschaft des Rechts, nicht seiner Usurpation durch den Staat. Da gehört dann immer ein Begriff von Gerechtigkeit dazu wie er im englischen Recht als natural justice lebt. Es widerspricht der „natürlichen Gerechtigkeit“, dem Angeklagten keinen Verteidiger seiner Wahl zuzugestehen und vielleicht auch, dem Anwalt des Staates einen prinzipiellen Informationsvorteil zu geben.
Weit mehr, ja unvergleichlich viel ernster noch widerspricht es jeder natural justice, wenn Menschen von Staats wegen umgebracht werden, weil sie bestimmten Kategorien angehören, also Juden sind oder Zigeuner. Jeder Sinn für Gerechtigkeit, Recht und Anstand wird verletzt, wenn ein einzelner sich willkürlich zum Führer erklärt, der allein das Volk repräsentiert und ohne den es daher kein Deutschland mehr geben darf. Antony Beevor hat uns in seinem Buch über die Eroberung Berlins an diesen Aspekt des Nazi-Regimes erinnert: „Hitler hatte sich so völlig mit dem deutschen Volk identifiziert, dass er glaubte, dass jeder, der sich ihm entgegenstellt“ - who opposed him, heißt es im englischen Text, also jeder, der gegen ihn ist, Opposition übt - „sich gegen das deutsche Volk als ganzes stellt; und dass wenn er sterben würde, das deutsche Volk ohne ihn nicht überleben könnte.“ So wurde der Zusammenbruch von 1945 zum gigantischen Selbstmord eines Wahnsinnigen, ein ins Unermessliche gesteigertes Jonestown, jenem Ort in Guyana, an dem der sogenannte Reverend Jones seine fanatische Gemeinde mit sich in den kollektiven Selbstmord nahm.
Nicht ohne Grund erinnere ich im Zusammenhang mit der rule of law an diesen Sachverhalt. Ich bin sicher nicht der einzige, der sich zuweilen gefragt hat, warum sich die Offiziere des 20. Juli so schwer damit taten, den Fahneneid zu brechen. Man könnte nun sagen: weil sie im Inneren den Weg vom Rechtsstaat zur rule of law, also vom positiven, immerhin geltenden Recht zu dessen tieferem Sinn, zum Geist der Gesetze, zur Gerechtigkeit gehen mussten. Der erste Schritt dieses Weges war sozusagen der der Sekundärtugenden, die niemand gering schätzen sollte: wer Recht herstellen will, beginnt nicht mit einem Rechtsbruch. Der zweite Schritt erst führt in das Gelände der tieferen Tugenden, das indes keine Wegweiser und Landkarten kennt: die Repräsentanten des Staates selber haben das Recht gebrochen. Es ist nötig, gegen sie das Recht wieder herzustellen.
Sollte das plausibel klingen, so ist doch sogleich eine Warnung anzuschließen. Der Hinweis auf die fehlenden Wegweiser war ebenso ernst gemeint wie der auf die Sekundärtugenden, die niemand gering schätzen sollte. Der 20. Juli war (um Annedore Lebers schönes Buch zu zitieren) ein „Aufstand des Gewissens“; das Gewissen aber ist schonend zu behandeln. Wer es immerfort anruft, verdirbt die Kraft der Gerechtigkeit bald. Die völlige Dissoziation von Staat und Recht ist die Ausnahme, nicht der Normalfall. Es verlangt eine besondere Sensibilität zu erkennen, wann dies geschehen ist und damit zugleich zu wissen, wann es noch möglich ist, die Herrschaft des Rechts innerhalb des Verfassungsrahmens durchzusetzen.
Ich verachte die vielen, die in demokratischen Gemeinwesen immerfort ihr Gewissen vor sich hertragen und eine höhere Gerechtigkeit gegen das geltende Recht anrufen. Ich verachte sie gerade weil ich die Männer des 20. Juli verehre. Nicht dass der 20. Juli 1944 die einzige Situation im vergangenen Jahrhundert gewesen wäre, in der es nötig war, die Herrschaft des Rechts gegen die vom Staat gesetzten Ansprüche anzurufen und in den Widerstand zu gehen oder das Land zu verlassen. Vielleicht darf ich aus diesem Anlass noch einmal meinen Vater erwähnen, der, durch die Erfahrung des Widerstandes gegen Hitler gewitzigt, genau den Zeitpunkt begriff, an dem Nachgeben in einen neuen Unrechtsstaat führt, als er sich im Februar 1946 der Zwangsvereinigung von Kommunisten und Sozialdemokraten widersetzte. Auch da wurden Grenzen sichtbar zwischen - um zum 20. Juli zurückzukehren - einem Keitel und einem Beck, zwischen dem Gehorsam der Ungerechten und dem Ungehorsam der Gerechten.
Die Verachtung für die Dauer-Gewissenstäter ist auch darum so groß, weil ihr Tun so folgenlos bleibt für sie. Das war zum Beispiel nicht der Fall für die Dissidenten der kommunistischen Welt. Wenn sie nicht in Gefängnissen saßen, arbeiteten sie auf dem Bau oder in der Landwirtschaft. Jedes Treffen war heimlich, jeder Brief gefährlich. Auch galt das nicht nur auf Zeit. Wer konnte schon 1989 vorhersehen? Widerstand im Namen des Rechts mit dem Einsatz des Lebens ist ein großes und seltenes Opfer. Es ist eine jener moralischen Taten, die man von anderen nicht fordern kann, sondern nur von sich selbst. Es ist daher auch große Zurückhaltung am Platze, bevor man anderen vorwirft, keinen Widerstand geleistet zu haben.
Ich sehe außer meinem Vater vor allem Julius Leber vor mir, wenn ich so etwas sage. In seinem elsässischen Bauernschädel hatten viele Widersprüche Platz. Er liebte seine schöne, klarsichtige Frau und seine beiden Kinder, Katharina und Matthias. Aber er folgte auch einem unbestechlichen Kompass des Gewissens. Dass ihm in dem Prozess am 20. Oktober 1944 das Todesurteil sicher war, wusste er. Zum Unterschied von anderen wurde er indes nicht sofort hingerichtet. In der Tat versuchte ein hochgestellter Nazi mit ihm ein Überlebensgeschäft zu machen. Ich bin sicher, ich wäre darauf eingegangen, um mich selbst zu retten, ohne den anderen wirklich retten zu wollen. Muss man gegenüber gewissenlosen Mördern sein Wort halten? Auch das indes war für Leber noch Teil seines moralischen Kurses. So wurde er am 5. Januar 1945 hingerichtet.
Am 20. Juli 1944 ging es also vor allem um die Herrschaft des Rechts und wohl auch die Herrschaft der Gerechten. Das Verlangen paarte sich mit einer tiefen Verpflichtung gegenüber den in solchen Begriffen definierbaren deutschen Traditionen. Beides war auch im Juli 1944 noch von fundamentaler Bedeutung. Ich würde der These entschieden widersprechen, dass das Scheitern des mit dieser Bendlerstraße so eng verknüpften Planes in irgendeinem Sinne zu begrüßen ist. Millionen hätten ihr Leben nicht in Gaskammern, in Lagern, auf der Flucht, in Kriegshandlungen verloren. Zudem wäre ein Staat in Deutschland entstanden, der mindestens Recht und Gerechtigkeit etabliert hätte.
Der Weg von der rule of law zur Demokratie ist überdies leichter als der umgekehrte. Manche lateinamerikanischen Länder haben immer wieder demokratische Erfahrungen gehabt, die dann durch Patronage und Korruption zunichte wurden. In Afrika gibt es hier und da noch immer Parlamente, die das Westminster-Spiel spielen, aber durch die Willkür der Handelnden unterminiert werden. Natürlich sollen die Länder des Balkans demokratisch werden, aber mein Rat an die Hohen Vertreter der Völkergemeinschaft, die mich befragt haben, war durchweg: seht zu, dass die Herrschaft des Rechts etabliert wird. Wenn es zwei Dutzend nicht-korrupte Richter gibt, ist schon ein großer Schritt getan.
Das scheint nun weit weg vom 20. Juli, ist es jedoch nicht. Deutschlands Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg ist eine demokratische Erfolgsgeschichte, die kaum ihresgleichen hat. Da sind glückliche Umstände und bedeutende Personen zusammengekommen. Sowohl der Parlamentarische Rat als auch der Wirtschaftsrat - also die Vorgänger des Bundestages - waren mit politischen Führern gesegnet, die die auch vorhandene demokratische Tradition Deutschlands beim zweiten Versuch fester verankert haben als beim ersten.
Dabei gab es Klippen und Untiefen. In meinem Buch über „Gesellschaft und Demokratie in Deutschland“ habe ich dem grundsätzlichen Optimismus auch ein paar liberale Fragezeichen angefügt; und 1968-69 ging es mir bei meinem öffentlichen Wirken darum, den demokratischen Wechsel ohne Gewalt herbeizuführen. Fragezeichen gibt es auch heute; es wird sie immer geben; aber Deutschland ist ein demokratisches Land.
Es ist auch ein Rechtsstaat. Mehr noch, der Sinn für Recht und Gerechtigkeit - insoweit die Herrschaft des Rechts - ist ausgeprägt. In den Urteilen und Urteilsbegründungen des Bundesverfassungsgerichts hat das vielfach Ausdruck gefunden. Auch hier sind Fragezeichen am Platze. Manchmal wünsche ich mir zum Beispiel, dass es dem Gericht möglich wäre, sich nicht mit Ansinnen zu befassen, politische Mehrheiten durch rechtliche Anfechtung zu konterkarieren.
Auch sollte nicht alles, das wünschenswert ist, in die Verfassung gepackt werden. Aber hier ist nicht von Tagespolitik die Rede. Nimmt man eine weite Perspektive, dann gehört Deutschland zu den wenigen Ländern, die Demokratie und Recht verlässlich verbinden.
Dafür gibt es viele Gründe. Einer davon bleibt mit dem Namen Auschwitz verbunden, also für die äußerste und nicht zu vergessende Verletzung der Grundsätze von Recht und Anstand. Auch wenn indes Auschwitz ein Schlüsselereignis der deutschen Geschichte bleiben wird, reicht diese Geschichte nicht nur weiter zurück, sondern kennt sie auch andere Zeichen. Die Welt, aus der Theodor Heuss kam, also das gebildete liberale Bürgertum des deutschen Südwestens, ist ein Beispiel. Die Welt, aus der mein Vater kam, also Hamburg und die Arbeiterbewegung, ist ein anderes. Diese und andere weisen zurück in kraftvolle Traditionen der deutschen Geschichte, an denen sich festmachen lässt, was Bestand haben soll. In ein solches Verständnis deutscher Geschichte gehört der 20. Juli mitten hinein, als Exempel der Verteidigung der Herrschaft des Rechts und zugleich des Kampfes für die Herrschaft der Gerechten.

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