Pro patria per orbis concordiam

Hans Speidel

Pro patria per orbis concordiam

Ansprache von General a.D. Dr. Hans Speidel am 20. Juli 1966 im Ehrenhof des Bendlerblocks in der Stauffenbergstraße, Berlin

Es ist mir eine tief bewegende Ehre und schmerzliche Genugtuung, heute an dieser geweihten Stätte Worte des Gedenkens sprechen zu dürfen, die allen unseren Vorkämpfern für die Freiheit unserer Heimat gelten sollen. Hier erklang der verpflichtende Anruf unseres Claus von Stauffenberg: „Es lebe unser heiliges Deutschland!“ Er mahnt uns, unser Land als Einheit anzustreben und das Vaterland als Aufgabe im weiteren europäischen Rahmen zu betrachten.

„Es lebe unser heiliges Deutschland!“ Nach allem, was durch Deutsche geschehen, nach aller missbräuchlichen Berufung Unwürdiger auf unser Vaterland dieses Wort! Es mutet an wie ein trotziges „Dennoch“ und ist doch alles andere als nationalistische Übersteigerung. Denn das Wort Stauffenbergs ist ein Bekenntnis zu dem „anderen Deutschland“, dem Deutschland des ethischen Strebens und des Maßes, dem Vaterland, das nichts gemein haben soll mit der Hybria der Macht und den Verbrechen jener unglückseligen Epoche unserer Geschichte. Stauffenberg wollte bekunden: Hier und jetzt wird durch unseren Opfergang die reinigende Tat vollzogen, die Katharsis, die uns das Recht gibt, wieder von unserem Vaterland zu sprechen. Sein Ruf ist ein Symbol der Abkehr vom Bösen, der Wiederherstellung sittlicher Ordnungen, der Hoffnung für die Zukunft.

Sie werden verstehen, wenn ich als alter Soldat hier im Hofe des ehemaligen Reichskriegsministeriums zwei exemplarische Gestalten deutschen Soldatentums, denen ich im Leben nahe treten durfte, Ihnen ins Gedächtnis rufe: Ludwig Beck und Erwin Rommel. Sie stehen im soldatischen Bezirke stellvertretend für alle unsere Freunde, deren Angehörige ich hier in Ehrfurcht grüße! Eng in Geist und Wille mit jenen tapferen Männern verbunden, verkörpern auch diese Soldaten eine gesunde und echte Tradition, Freiheit in Führung und Gewissen. Zwei Verhaltensweisen gegenüber der Gewaltherrschaft werden offenbar, die nicht nur durch die verschiedene Laufbahn von Beck und Rommel bedingt waren, sondern vielmehr dadurch, dass beide einen entgegengesetzten Typus nach Herkunft, Veranlagung und Werdegang darstellen. In beiden Schicksalen liegt die Tragik eines Geschichte gestaltenden Berufes beschlossen – Symbol eines Soldatentums, das geistig-sittlicher Verantwortung verpflichtet ist. So weisen sie gemeinsam mit den Männern des 20. Juli durch ihren Tod über sich hinaus.

Generaloberst Ludwig Beck wurde nicht ohne Absicht von den Herausgebern des Werkes „Die großen Deutschen“ (Hermann Heimpel, Theodor Heuss und Benno Reifenberg) als Schlussstein gesetzt: nicht als Feldherr, an dessen Namen sich wie bei Erwin Rommel Schlachtenruhm bindet, vielmehr als einer, der als Mensch durch Gesinnung und Haltung Geschichtswürde auf sich zieht.

Wer war nun dieser General, der hundert Jahre nach Clausewitz geboren, ihm und Moltke artverwandt, am 29. Juni 86 Jahre alt geworden wäre? Becks menschliche Erscheinung mit dem durchgeistigten, schmalen Kopf, nach unserem verewigten Eduard Spranger – dem „eines Denkers, den sein Berufsweg auf den besonderen Zweig strategischen Denkens geführt hat“, war der Typus eines wahren Generalstabschefs. Geist und Willen waren in einer Einheit aufgegangen, die den Zügen des Lebenden etwas von einer großartig durchseelten Plastik gab. Ein besonderer Zauber ging von diesem klaren Geist, seinem menschlichen gereiften Wesen aus: eine ausgeglichene, harmonische Persönlichkeit. Die große Ruhe, der seine Beherrschtheit entsprach, paarte sich mit menschlichem Takt, Selbstlosigkeit und Mut: Er kannte keine Menschenfurcht, aber er beugte sich in Demut vor Gott. Er war von jener inneren Vornehmheit, die manchem überlebt erscheinen mochte, kompromisslos stand er gegenüber Unrecht, Unanständigkeit und Würdelosigkeit der Zeit.

Ehe Beck am 1.10.1933 Chef des Generalstabes wurde, war er als Lehrer der heranwachsenden Generalstabsoffiziere ein überragender „Paidagogos“ auf operativem und taktischem Gebiet, der niemals sein Aufgabengebiet eng auffasste, sondern die Arbeit des Generalstabsoffiziers in einen größeren Rahmen stellte, der die Grenzen des Berufes übersprang. Vor allem waren es die moralischen, die ethischen Faktoren, die er hervorhob. Wie einst Gneisenau, suchte er durch Kriegsakademie und militärische Bildungsanstalten eine Verbindung der Armee mit dem deutschen Geistesleben zu schaffen; der Generalstab sollte unabhängig, innerlich frei zu einer typenbildenden Kraft werden. Er wurde in seiner erzieherischen Aufgabe nicht müde, die Persönlichkeit zu bilden, den Funktionär auszuschalten. Leben und Lehre Becks durchziehen das Maß im Sinne der Maxime eines La Rochefoucauld: „Rien ne tient sans le génie de la mésure“.

In die Amtszeit als Chef des Generalstabes des Heeres fiel auch die Reise Becks nach Paris (vom 16. bis 20. Juni 1937), die seinem Anliegen, einem besseren Verhältnis der beiden Nachbarnationen, dienen sollte. Er war seit seinen militärischen Anfängen im Elsaß, dem „Kernland des alten Europa“, tief von der Notwendigkeit eines Ausgleichs, ja einer dauernden Freundschaft beider Länder durchdrungen. Ich durfte ihn auf dieser Reise begleiten und den tiefen Eindruck erleben, den Beck auf die französischen Gesprächspartner, nicht zuletzt auf den Kriegsminister Daladier und Marschall Pétain, machte.

Nun zu seinem Kampf gegen den Krieg, zum Aufstand des Gewissens: Am 5. November 1937 hielt Hitler seine berüchtigte Ansprache, in der er seine Kriegspläne unverhüllt aussprach. Sie war ein Fanal. Von diesem Zeitpunkt an galt Becks Sorge unentwegt der Erhaltung des Friedens. Die von Gneisenau und Moltke geprägte Mitverantwortlichkeit des Chefs des Generalstabes, für deren Beibehaltung Beck sich eingesetzt hatte, war von Hitler aufgehoben worden. Er wusste warum: So hat er einmal geäußert, wenn überhaupt, dann könne ein Beck ihm gefährlich werden. Zunächst – im Februar 1938 – trat Beck mannhaft – leider nur als einer der wenigen – für den Oberbefehlshaber des Heeres Generaloberst Freiherr von Fritsch ein, den Hitler, weil er seiner Kriegspolitik im Wege stand, am 4. Februar 1938, nach niederträchtiger Verleumdung, des Oberbefehls enthoben hatte. Als Hitler nach Zusammenbruch der Intrige behauptete, die Ehre des Generaloberst von Fritsch mit der Ernennung zum Chef des Artillerieregiments 12 wiederhergestellt zu haben, erwiderte General Beck: „Die Ehre ist etwas Unabdingbares und wird auch vor Ihrer Person nie Halt machen!“

Zwei folgenschwere Ereignisse hatten Beck schon vorher tief getroffen: die Niederschlagung der „Röhm-Aktion“ am 30. Juni 1934, bei der das Verbrecherische des Regimes erstmals nach außen sichtbar wurde, sodann Hitlers überraschende Forderung der Eidesleistung auf seine Person am 2. August 1934, den Beck als den „schwärzesten Tag“ seines Lebens bezeichnete. Er war sich der Grenzsituation der sittlichen Entscheidung bewusst und erkannte, dass der soldatische Gehorsam eine Grenze haben könne, dass der Gehorsam unter Umständen aufgekündigt werden müsse mit dem ewigen Rechte derer, die dem Bösen widerstehen. Hitler hatte den Boden des Rechts verlassen, so war der Eid nicht mehr bindend, der Eid, der in der europäischen Geschichte immer eine zweiseitige Verpflichtung bedeutet. Für beide Partner ist der Wille zum rechtmäßigen Handeln die selbstverständliche Voraussetzung, nur so kann er in Gottes Namen gesprochen werden. Hitler hatte seine Verpflichtungen aus dem Eid vielfach gebrochen! Nur der Staat kann von seinen Bürgern füglich Gehorsam fordern, in dem Recht und Gerechtigkeit verbürgt sind. Politische Tyrannei und im Gewissen gebundener soldatischer Gehorsam schließen einander aus; so waren seine Gedanken, die wir beim inneren Ringen Rommels wiederfinden.

In einer Denkschrift legte Beck am 5. Mai 1938 in generalstabsmäßiger Klarheit dar, warum ein Angriff auf die Tschechoslowakei abzulehnen sei. Hitler antwortete mit seinem „unabänderlichen Entschluss“ zum Angriff, dem Beck in zwei neuen Denkschriften vom 3. Juni und 16. Juli 1938 auf das Schärfste entgegentrat. Als diese ohne Wirkung blieben, appellierte er an den Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst von Brauchitsch, mit den Geschichte gewordenen Sätzen: „Es stehen hier letzte Entscheidungen über den Bestand der Nation auf dem Spiele. Die Geschichte wird diese Führer mit einer Blutschuld belasten, wenn sie nicht nach ihrem fachlichen und staatspolitischen Wissen und Gewissen handeln. Ihr soldatischer Gehorsam hat dort eine Grenze, wo ihr Wissen, ihr Gewissen und ihre Verantwortung die Ausführung eines Befehls verbietet. Es ist ein Mangel an Größe und an Erkenntnis der Aufgabe, wenn ein Soldat in höchster Stellung in solchen Zeiten seine Pflichten und Aufgaben nur in dem begrenzten Rahmen seiner militärischen Aufträge sieht, ohne sich der höchsten Verantwortung vor dem gesamten Volk bewusst zu werden. Außergewöhnliche Zeiten verlangen außergewöhnliche Handlungen!“

Beck, begnadet mit dem von Clausewitz geforderten „Gesamtüberblick“, warnte so vor dem Krieg: Er müsse zu einem Zweiten Weltkrieg und, wie er mir 1938 sagte, zur „Finis Germaniae“ führen. Ludwig Beck ließ es jedoch bei Denkschriften nicht bewenden. Er zog die Folgerungen aus Erkenntnis, Gewissen und Verantwortung und schied aus dem Amt. Dabei verharrte er aber nicht in Resignation darüber, dass seine Pläne sich nicht realisieren ließen, sondern er suchte neue Wege des Widerstandes. Unter dem Druck der fast unerträglichen Spannungen wurde nicht nur seine Aktivität, die ihn zum Mittelpunkt der verschiedenen Widerstandsgruppen machte, vielfältiger, sondern auch seine theoretischen Studien gewannen an Reichtum. Von dem geistigen Erbe des Geschichtsforschers und Schriftstellers Beck können wir nur eine Bemerkung aus dem Vortrag „Die Lehre vom totalen Krieg“ erwähnen: „Ritterlichkeit der Kriegführung, Rechtsgefühl, Anstand und Sauberkeit gegenüber dem Feinde sind für den ehrliebenden Soldaten stets ein inneres Bedürfnis gewesen, auch dann, wenn die Kriegsverhältnisse das Gefühl dafür vorübergehend abgestumpft hatten“. Dies könnte auch in einem Tagesbefehl Rommels stehen!

In den „Pflichten des Obersten Vorgesetzten der Generalstabsoffiziere“ schreibt Beck „Er ist für die theoretische und praktische Ausbildung des Generalstabes, nicht zuletzt ist er auch für seine Erziehung und Haltung nach Charakter und Persönlichkeit verantwortlich. Was er lehrt, danach muss er auch handeln. Ein Zwiespalt zwischen Worten und Handeln wäre für ihn tödlich und von verderblicher Wirkung auf den Generalstab. Sieht er sich daher vor eine Lage gestellt, die nach gewissenhaftester Prüfung subjektiv nur diesen Ausweg für ihn lassen würde, muss er im Interesse des Generalstabs seinen Platz einem anderen räumen. Zweifel an seiner Gradlinigkeit sind ausgeschlossen.“ Beck hat danach gehandelt. Er hat seine militärischen Grenzen überschritten und nahm den Kampf gegen Hitler auf.

Wir können in dieser Feierstunde nicht auf die verschiedenen Aktionen und Pläne der Widerstandskämpfer eingehen. Sie reichten – wie sie es ja selbst durchlebt haben – vom „legalen Staatsstreich“ bis zu den unheimlich oft missglückten Attentatsversuchen.

Für den befreienden Umsturz hatte Generaloberst Beck einen „Aufruf an die Wehrmacht“ vorbereitet, der seine Auffassungen besonders deutlich umreißt: „Eine Staatsführung, die die Politik nicht mehr als die Kunst mit sparsamsten Kräfteeinsatz anstrebt, sondern in phantastischen Plänen grenzenloser Eroberungen schwelgt, die überhaupt keine sittlichen Bindungen weder dem eigenen noch einem anderen Volke gegenüber anerkennt, kann niemals zu einem Frieden mit den übrigen Völkern gelangen. Wollt Ihr, dass die Jugend uns einst dafür verdammt, weil wir den Mut zur Verantwortung, zur Rettung des Vaterlandes nicht rechtzeitig aufgebracht hatten? Vielleicht haben wir schon zu lange gezögert, aber wir dürfen nicht mehr weiter warten. Denn nun bereitet man den gewissenlosesten Schlag vor. Wir müssen handeln weil – und das wiegt am schwersten – in Eurem Rücken Verbrechen begangen wurden, die den Ehrenschild des deutschen Volkes beflecken und seinen in der Welt erworbenen guten Ruf besudeln.“

Verlauf und Auswirkung des 20. Juli 1944 sind Ihnen bekannt, weniger vielleicht zwei Telefongespräche, die Generaloberst Beck am Abend des 20. Juli hier oben geführt hat. Dem Oberbefehlshaber West, Feldmarschall von Kluge, gab er als Weisung im Großen: „Der Krieg geht weiter! Er muss nur richtig geführt werden!“ Er hoffte auf politische Verhandlungen über eine sofortige Beendigung des Krieges im Westen, wie sie auch den Gedankengängen des Feldmarschalls Rommel entsprach. Viele der schönsten deutschen Städte, der Großteil der geliebten Heimat waren vom Orkan der Vernichtung noch verschont. Unnötige und nicht zu verantwortende Opfer, der Tod von Abertausenden aus allen Nationen, das Grauen des letzten Todeskampfes auf deutschem Boden waren noch zu vermeiden! Sodann gibt der Generaloberst als Oberster Befehlshaber der Wehrmacht im Wirbel sich widersprechender Nachrichten und Ereignisse persönlich den Befehl an die Heeresgruppe Nord (Kurland) sich hinter die Düna abzusetzen, um nicht nur die drohende Einkesselung zu vermeiden, sondern vielmehr diese Heeresgruppe zum Schutz der Heimat, zur Verteidigung von Ostpreußen zur Verfügung zu haben. Er wollte die operative Führung zur Rettung Hunderttausender im Feld und Heimat sofort übernehmen. Ahnungsvoll ließ er diesen Befehl als Aktennotiz für die Geschichte niederlegen. Hitler machte ihn umgehend rückgängig, der Kessel schloss sich, die Heeresgruppe verblutete, der Rest zog im Mai 1945 in sowjetische Gefangenschaft.

Weitere Führungsmaßnahmen waren geplant. Mit Hitlers sinnlosem Festhalten an jedem Fußbreit Boden unter unermesslichen und unverantwortlichen Opfern sollte gebrochen, eine gewisse Operationsfreiheit ohne Verzettelung der Kräfte gewonnen werden. Denn es galt nicht einfach, den Krieg – gegen dessen Ausbruch Beck so heftig angekämpft hatte – zu beenden, sondern „die nationale Substanz zu retten“.

In Ludwig Beck, der hier oben für uns alle sein Leben beschloss, sahen Sie einen Mann, der im Anruf Gottes stand, mit der geistigen Haltung unserer Besten, für die Sie hier stehen, mit dem christlich-humanen Verantwortungsbewusstsein dem Staate, ja der Menschheit gegenüber. Beck hat gegen die satanische Dämonie das sokratische Daimonion gesetzt. Wir haben diesen weisen Mann als einen derjenigen Männer gezeigt, die sich früh dem Verderber entgegengestellt und ein Beispiel gesetzt haben. Sollen wir darum nicht auch derer gedenken, deren Einsicht und Erkenntnis erst später wuchsen?

Vom Chef des Generalstabes klassischer Prägung nun zum großen Truppenführer, zu Feldmarschall Erwin Rommel, dessen letzter Chef des Generalstabes ich sein durfte. Im Ersten Weltkrieg gründete sich sein Ruf als militärischer Führer auf persönliche Tapferkeit und taktische Geschicklichkeit „semper prorsum numquam retrorsum“. Die Krönung seiner damaligen militärischen Laufbahn bedeutete der Sturm auf den Monte Matajur, für den ihm der Orden „Pour le mérite“ verliehen wurde. Zwischen den Kriegen wirkte Rommel wie Beck als Lehrer der jungen Offiziere an verschiedenen Kriegsschulen. Noch heute sind seine dankbaren Schüler stolz auf ihren zukunftsweisenden, praktischen Lehrer, diese Soldatenpersönlichkeit mit dem „feu sacre“. Seine Führung im Kriege steht im Buch der Geschichte.

Die Eigenschaften dieses großen Soldaten als Feldherr und als Mensch ergänzten sich in glücklicher Weise: Nach Clausewitz erfordert die Persönlichkeit des Feldherrn hohe Geistesgaben, verbunden mit der „Stärke des Willens“ und dem „Mut der Seele“. Vor allem besaß er die Gabe, das Schwierige auf eine einfache Formel zu bringen, sie kam ihm in der mittleren und höheren Gruppenführung zu Gute. Operative Planung und Führung lagen ihm ferner als die taktischen und technischen Aufgaben, die er beherrschte. Der Feldmarschall besaß außerdem die Intuition, den „Coup d'oeil“ auf dem Schlachtfeld. Er führte nicht nur nach dem planenden Verstande, sondern richtete sich nach den „Ereignissen und Umständen“. Er war ein Meister der Improvisation dank seiner Divinationsgabe und Entschlusskraft. Seine Phantasie floss auf praktischen und technischen Gebieten von Einfällen über. Die Gegenseite rühmte während des afrikanischen Feldzuges den Flair des „Desert-Fox“. Churchill begründete im Parlament den bitteren britischen Rückschlag in Nordafrika mit den Worten: „Uns gegenüber stand ein großer General.“ So ging sein Ruhm um die Welt. Rommel bewies auch die notwendige Standfestigkeit in den Wechselfällen des Krieges und den Krisen der Schlacht. Sein gesunder Sinn hielt sich im Soldatischen frei von Selbsttäuschung und gab ihm das richtige Gefühl für den Kulminationspunkt der Schlacht, für die Klimax des Krieges. Bei der Menschenführung erfüllte er die Forderung Moltkes „die Ergänzung von Autorität und Vertrauen“. In der Fülle seiner männlichen Eigenschaften fühlten alle Soldaten das Herz, das für sie schlug. Nur so konnte der Feldmarschall Sache und Geister beherrschen. Ein Soldat mit „Zivilcourage“, dessen Liebe zu seinem Land sich auf Wahrhaftigkeit und wesenhaftes Verbundensein mit der Heimaterde und der ewig belebten Natur gründete. Lauter und klar, offen in Freund- und in Gegnerschaft, war er ein innerlich freier Mann. Ehrenhaft war ihm, was gewissenhaft war. Stark trat auch seine soziale Gesinnung hervor – ein Erbteil der schwäbischen Herkunft. Seine Ritterlichkeit war sprichwörtlich; der Gegner zollte dem „dashing general“ Achtung.

Nach mancherlei Schwankungen kamen vom Abschluss des Westfeldzuges an Rommel Bedenken über Staatsidee und Kriegführung des nationalsozialistischen Regimes. Sie wurden durch viele bittere Erfahrungen bestätigt. Bei und nach El Alamain hatte er erstmals den Wunschträumen Hitlers Weltherrschaft widersprochen. Von jener Zeit an datiert das Misstrauen Hitlers, der weiterhin versucht hat, seine Geschäfte beim Volk mit dem anständigen Rommel zu machen. Deshalb hat Hitler auch Rommel mehr herausgestellt als irgendeinen anderen General. Er tat es umso lieber, weil er in dem bewährten Troupier gleichzeitig einen Gegenspieler des ihm so verhassten Generalstabs anpreisen zu können glaubte.

Aber nicht nur auf politischen und militärischem Gebiete wuchsen die Erkenntnisse Rommels, sondern auch im menschlichen Bezirke. Er erkannte die wachsende Amoralität des Regimes, das Staat und Wehrmacht zum Befehlsempfänger der Partei machte. Er wandte sich wiederholt gegen die Rechtsunsicherheit, die er als den kürzesten Weg zur Vernichtung des Staates ansah. Als sich auf allen Gebieten Irrtümer und Verbrechen Hitlers mehrten, stellte Rommel mit Schaudern die Schreckensmacht der Hybris fest. Diese Erkenntnis verleitete Rommel ebenso wenig wie Beck zu der Resignation, welcher ein Teil der soldatischen Führer verfallen war. Sie weckte vielmehr die Spannkraft seines Geistes und Herzens zu Bereitschaft und selbständigem Handeln. Er zeigte nicht nur mit der Feder Mut, sondern auch Auge in Auge gegenüber Hitler, machte ihm schonungslos die Lage klar und forderte die sich aus ihr ergebenden Folgerungen. Weil er sich des Misserfolges seiner Vorstellungen bewusst war und weil ihm Ansehen und Leben seines Volkes höher standen als die eigene Person, bereitete er eine Yorcksche Tat vor. Erkenntnis und Entschluss Rommels kamen spät. Das soldatische Gewissen hatte sich erst allmählich zum politischen erweitert und versuchte, ins Religiöse vorzustoßen: mit einer Frucht jüngerscher Ideen vom Frieden, die ihm den Blick in Neuland, in die geheimnisvolle Wechselbeziehung von Glaube und Wirklichkeit ahnen ließen.

Als ich am 15. April 1944 mich bei Rommel als sein Chef des Generalstabes meldete, war er über die Pläne der Notwendigkeit der Beseitigung des Hitler-Regimes und die Herbeiführung des Friedens durch den Stuttgarter Oberbürgermeister Dr. Strölin im Auftrage Goerdelers unterrichtet. In den Besprechungen waren alle Möglichkeiten für eine Änderung des Regimes und eine Beendigung des Krieges erörtert worden, wobei Rommel in der ihm eigenen temperamentvollen Weise über die Maßlosigkeit Hitlers im menschlichen, militärischen und staatlichen Bereich und dessen Verachtung europäischer Gedanken in Sonderheit der Behandlung Frankreichs und echter Humanität sprach.

Der Feldmarschall trat den Attentatsabsichten entgegen, da er Hitler nicht zum Märtyrer gemacht wissen wollte. Sein Gedankengang war, sich der Person Hitlers durch zuverlässige Panzerverbände zu bemächtigen, um ihn vor ein deutsches Gericht zu stellen und wegen seiner Verbrechen am eigenen Volk und an der Menschlichkeit zu verurteilen. Seine weiteren Zukunftsgedanken entsprachen denen der führenden Männer des Widerstandes, eines Beck, Goerdeler, Leuschner und der anderen. Feldmarschall Rommel strebte nicht persönlich die Führung des Reiches an, hielt sich aber bereit, den Oberbefehl über das Heer oder über die Wehrmacht zu übernehmen. Natürlich keine Militärdiktatur. Versöhnung im Innern und keine Spaltung! Vorbereitung eines schöpferischen Friedens auf übernationaler, europäischer Grundlage, waren die Gedanken.

Rommel rang wie Beck schwer um die Erkenntnis, dass der Gehorsam für den Feldherrn seine Grenzen finden muss in dem Gefühl der Verantwortung für das Schicksal der Nation und dort, wo das menschliche Gewissen den Aufstand befiehlt. Er wusste wohl um den Unterschied des Gehorsams gegenüber Gott und gegenüber den Menschen. Er musste um des Volkes willen Außergewöhnliches auf sich nehmen, wenn alle anderen Mittel erschöpft waren. Er konnte noch einmal in einer mündlichen und schriftlichen Darlegung aller seiner Gedanken zu überzeugen versuchen, um Hitler die Möglichkeit zur Umkehr zu geben. Er hat dies getan. Dann aber, als auch dieser Ruf wie die vorhergehenden wie ungehört verhallte, war er seines Eides ledig. Dann war die Pflicht zur Tat gegeben, die eine Pflicht gegenüber dem Vaterland bedeutete. Rommel war der Auffassung, dass zu einer solchen Tat und zur metaphysischen Verantwortung nur der oberste militärische Führer befähigt, berechtigt und verpflichtet sein konnte – nicht der einzelne Soldat und Offizier, der solch hohe Einsicht nicht besitzen konnte. Und hier darf ich an Theodor Heuss erinnern, der über die Soldaten, die bis zur bitteren Schlusskatastrophe kämpften, am 20. Juli 1954 hier in Berlin sagte: „Ich müsste dann ja Freunde und geliebte Verwandte anklagen, die Hitler, die den Nationalsozialismus hassten, aber, als sie starben, glauben mochten, glauben durften, dass ihr Kämpfen Deutschland vor dem Äußersten vielleicht doch rette. Und der gute Truppenoffizier dachte an seine Leute!“ Wir wollen alle heute keine neuen Gräben ziehen, sondern müssen Brücken schlagen.

Als Rommel nach ultimativer Forderung an Hitler zur Tat schreiten wollte, trat das Schicksal dazwischen. Am 17. Juli wurde Rommel durch schwere Verwundung in der Stunde ausgeschaltet, da ihn Heer und Volk am wenigsten entbehren konnten; alle aber, die mit ihm den Weg in eine neue, bessere Welt suchten, fühlten schmerzlich den Verlust ihrer Mitte. Der 20. Juli 1944 bot Hitler die erwünschte Gelegenheit, den einzig möglichen Nachfolger los zu werden. Der Mord war das einzige politische Mittel, um zum Ziel zu kommen, ohne dass Hitler Farbe bekennen musste. Die Tarnung des Mordes durch das „Staatsbegräbnis“ entsprach der „Verfeinerung des Terrors“.

Das Bild dieser beiden Männer konnte nur „al fresco” behandelt werden. Sie sahen zwei militärische Führer und Erzieher, Menschen, die uns auch heute Leitbilder für die Zukunft sein können: Verschieden im Verhalten, entgegengesetzt im Typus, waren sie gleich im Gefühl der Verantwortlichkeit, im Aufstand des Gewissens, gleich bis zum bitteren Ende. Manche „viri illustres“ mögen in Wirkung und Haltung uns nicht mehr ansprechen. Dies aber waren Männer, deren Vermächtnis für beide Teile unserer Heimat Gültigkeit besitzt und darüber hinaus keine Grenzen politischer und geistiger Art kennt.

So ist der 20. Juli 1944 zu einem Neubeginn geworden. Es bedeutet das Werden einer guten Tradition, dass in unserer Bundeswehr Kasernen nach Beck und Rommel und anderen Männern des Widerstands benannt wurden. Leben und Leiden, Ideale und Haltung der Männer des 20. Juli sollen so in den Mittelpunkt der Gedanken gerückt werden im rankeschen Geiste der Bindung an die „moralische Weltordnung“. Denn diese Männer handelten aus der besten Tradition deutschen Soldatentums, des sittlich fundierten, verantwortlichen Ungehorsams, „wo Gehorsam nicht Ehre brachte“, – also in einer extremgeschichtlichen Ausnahmesituation! Echte Begegnung mit geschehener Geschichte ist immer virtuelle Kraftübertragung. In diesem Sinne nehmen wir alle, nimmt die deutsche Bundeswehr solche Persönlichkeiten des 20. Juli als Maß.

So steht das Vorbild solcher Männer unserer soldatischen Jugend wohl an; sie hat ja als Garant unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung gelobt, gegebenenfalls Recht und Freiheit unseres deutschen Volkes zu verteidigen. Sie kann dies aber nur, wenn sie das Vertrauen des ganzen Volkes hat! Nehmen Sie sich ihrer an im Geiste unserer Vorkämpfer in der geistigen Auseinandersetzung um Freiheit und Recht in dieser Welt. Nur so können sie „ausgezeichnete Männer von geistigem und moralischem Rang“ werden wie Theodor Heuss einmal führende Soldaten in ihrer „Klarheit des Denkens und Ritterlichkeit der Gesinnung“ genannt hat. So verstehen auch unsere Soldaten den Aufruf Becks: „Unser Ziel ist die wahre, auf Achtung, Hilfsbereitschaft und soziale Gemeinschaft gegründete Gemeinschaft des Volkes.“

Beck und Rommel scheiterten wie ein Bonhoeffer, Delp, Goerdeler, Leber, Leuschner, Moltke, Olbricht, Stauffenberg, wie alle unsere Kämpfer für die Freiheit, im geschichtlichen Raum – sie siegten, aber in ihrem Sterben. Die Achtung der Welt vor einem anderen, neuen Deutschland ist ihnen allen zu danken. So gilt für alle das Dichterwort: „Doch es gibt Lagen, in denen man auf den Erfolg nicht achten darf; man steht dann freilich außerhalb der Politik.“ Das gilt auch für diese Männer, und daher gewannen sie moralisch, wo sie historisch scheiterten. Ihr Mut, ihr Opfer war höherer Natur als sie das Schlachtfeld zeugt, und wie sie nicht der Sieg, wohl aber die Dichtung krönt. (Ernst Jünger)

Dank allen unseren Vorkämpfern, Ehrfurcht ihrem Leben und Sterben. Höchster Verpflichtung eingedenk, wollen wir in ihrem Geiste wirken, so lange es Tag ist: für unsere deutsche Heimat. Pro patria per orbis concordiam.






Weitere Reden

20.07.1966
Generalmajor Henning Wilcke
Generalmajor Henning Wilcke