Tyrannenmord

Hans Christian Asmussen

Tyrannenmord

Predigt von Propst Dr. Hans Christian Asmussen am 20. Juli 1961 in Berlin-Dahlem

Predigt-Text: Hebräer 11, 33-35

„...welche haben durch den Glauben Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit gewirkt, Verheißungen erlangt, der Löwen Rachen verstopft, des Feuers Kraft ausgelöscht, sind des Schwertes Schärfe entronnen, sind kräftig geworden aus der Schwachheit, sind stark geworden im Streit, haben der Fremden Heere zum Weichen gebracht. Frauen haben ihre Toten durch Auferstehung wiederbekommen. Andere aber sind gemartert worden und haben die Freilassung nicht angenommen, auf dass sie die Auferstehung, die besser ist, erlangten...“

Wir haben es in dieser Stunde nicht mit politischen Entscheidungen zu tun, wie sie aus Ermessen und Abwägen der Möglichkeiten entspringen und Erfolg versprechen, sondern mit den Möglichkeiten des Glaubens. Wir Leute des 20. Juli müssen zwei Fragen im Glauben zu beantworten suchen: Wenn die Dinge des allgemeinen Wohles so aussichtslos geworden sind, wie sie es unter Hitler waren, wenn die eigene Kraft nicht ausreicht, um das zu ändern, da die geltenden Gesetze einer Änderung entgegenstehen, soll man dann die Änderung Gott anheim stellen, oder soll man über die eigene Kraft und gegen das geltende Gesetz gewaltsam eine Änderung erstreben? Die andere Frage ist zugleich damit gestellt. Darf ich, sofern ich mich für eine gewaltsame Lösung entscheide, das mir von Gott gegebene Leben in die Schanze schlagen und auch das Leben derer, die mir anvertraut sind, riskieren? Diese Fragen waren uns im Dritten Reich gestellt. Sie können uns morgen wieder gestellt werden. Wie wir sie 1944 beantwortet haben, liegt auf der Hand.

Wenn Christen in aussichtsloser Lage eine Veränderung der Verhältnisse wünschen, dann beten sie nicht ohne zu handeln. Aber sie wissen, dass ihr Gebet wichtiger ist als ihre Bemühungen. Die Helden des Alten Bundes, von denen unser Text spricht, Gideon und Carak, Simson und Jephtah, David und Samuel haben gewirkt, aber die Kraft ihres Wirkens war dank ihrem Glauben und Beten das göttliche Wunder. Deshalb gaben sie und die, welche von ihnen berichteten, Gott und seinem Wunder die Ehre, nicht aber dem eigenen Wirken. So sind sie zu ihren Zeiten am Leben geblieben, bis ihre Leben natürlicherweise abgelaufen waren.

Diesen aber stehen andere gegenüber, deren Namen uns bezeichnenderweise nicht genannt werden. Diesen lag nicht daran, lebend der unerträglichen Lage zu entrinnen. Sie hatten etwas Besseres im Auge, nämlich die jenseitige Auferstehung. Und darum fanden sie sich damit ab, dass es sie – und vielleicht auch andere, die ihnen nahe standen – das Leben und damit das weitere Wirken in dieser unserer irdischen Existenz kostete. Das deutlichste Beispiel für diese Haltung ist Jesus Christus selbst, der im entscheidenden Augenblick darauf verzichtete, dass ihm durch ein Heer von Engeln Rettung wurde.

Zwischen beiden Gruppen ist ein großer Raum für eigene Entscheidung. Gott sagt nicht: „Du sollst das eine oder das andere tun“. Was wir in solcher Lage tun, wird in unsere Entscheidung gestellt. Wir müssen das aber mit Gott in unserem Gebet machen. Es empfiehlt sich nicht, die Dinge treiben zu lassen, bis sie sich von selbst entscheiden. Gott wünscht, dass wir uns als seine Ebenbilder benehmen. In dieser Freiheit, durch welche er unseren Gehorsam begrenzt, krönt er unser Menschentum. Gott sagt: „Bewähre nun, was ich aus dir gemacht habe. Lebe und wirke weiter durch mein Wunder! Oder verzichte auf meine Wunder und besiegele deinen Weg durch den Untergang, der zur Auferstehung führt! Beide Wege gelten vor Gott als gleichwertig. Das Große liegt in der göttlichen Erlaubnis, uns in großem Umfange in unserem Menschentum zu bewähren.

Es sei ferne von mir, den Gehorsam abzuwerten. Darüber an dem gebührenden Orte zu reden, ist nötig. Wenn wir darüber sprechen, dann meinen wir das, was allgemein verbindlich ist. Das aber steht hier eigentlich nicht in Frage. Unsere Vorfahren nannten das, was uns Leute des 20. Juli zusammenführt, den „Tyrannenmord“. Sie haben sich viele Male gefragt, ob Tyrannenmord erlaubt sei. Ich bin bereit, auf diese Frage auch meine eigene Antwort zu geben, da ich wie andere darüber viel nachgedacht habe, und da die Frage morgen wieder so aktuell sein kann wie gestern.

Aber unserem Text geht es um etwas anderes als um die Aufstellung einer allgemein gültigen Regel für unser Verhalten. Die Gestalt Bonhoeffers ist lehrreich. Bonhoeffer darf als eine Symbolfigur für alles das gelten, was mit dem 20. Juli zusammenhängt. Er hasste den Krieg und war nicht weit davon, Pazifist zu sein. Er verabscheute die Gewalt und liebte die freundliche Überzeugung. Aber er erwählte den Tyrannenmord, wie unsere Väter die Tat nannten, die er mit vorbereitete. So überhöhte er das Kriegshandwerk durch eine härtere Art von Kriegführen. Denn was er erstrebte, fügte dem Kriege nach außen den Krieg im Innern bei.

Bonhoeffer liebte die klaren Gebote, welche das Leben der Menschen regeln. In dem Augenblick, wo er Hitler und seine Helfershelfer zu beseitigen trachtete, hatte er nicht nur keine Gebote für sich, sondern der Wortlaut aller einschlägigen Gebote und Gesetze stand gegen ihn. Und eben in dieser Lage und darum hat er die Erlösung aus irdisch unhaltbarer Lage nie als das Höchste angesehen. Aber er hat die Auferstehung, die besser ist, erwählt. Seine Gedichte und Aufzeichnungen geben davon Zeugnis. Ich leide darunter, dass diese Symbolhaftigkeit Bonhoeffers immer weniger gesehen wird. Anstatt dessen droht unter seinem Namen ein ziemlich unkomplizierter pazifistischer Mythos zu entstehen.

Aber was hat es mit der Auferstehung auf sich, auf welche sich unser Text bezieht, wenn er von den Namenlosen spricht, welche die irdische Erlösung nicht angenommen haben? Der Text spricht ja zweimal von „Auferstehung”, einmal von der Rückkehr in dieses irdische Leben, wie Lazarus und die Tochter des Jairus sie erlebt haben, und einmal von der Auferstehung, welche die irdische Erlösung ausschließt. Für unsere Glaubensentscheidung müssen die Dinge, um die unsere Entscheidung geht, also sich sehr ähnlich sehen, obschon sie sachlich weit auseinander liegen. Sonst könnte man ja nicht die Wahl haben zwischen irdischer und außerirdischer Auferstehung.

Es handelt sich darum, dass alles, was wir irdisch erhoffen und erbitten können, für den Christen immer zeichenhaften Charakter hat. Frieden, Wohlstand, Recht, Freiheit und sogar das Leben selbst haben keinen Selbstwert. Sie sind Zeichen der ewigen Güter, die wir nach der letzten Auferstehung in Gottes Gemeinschaft haben werden. Macht man aus den irdischen Gütern Selbstwerte, dann erreicht man allemal nur das, dass das Letzte schlimmer wird als das Erste. Darum wird das Verhalten aller derer verständlich, welche Gottes Angebot auf eine irdische Erlösung ausschlagen. Sie sagen sich nämlich, dass sie das große Risiko der Vorläufigkeit nicht noch einmal eingehen wollen. Denn es ist ja die große Frage, ob man sich im Vorläufigen nicht verläuft. Wer der ewigen Auferstehung teilhaftig geworden ist, kann sich nicht mehr verlaufen.

Der Spannungsbogen, welcher unseren Text beherrscht, passt genau zu den Ereignissen um den 20. Juli, soweit sie den Christen betreffen. Wir sollten uns Mühe geben, die Einübung in diesen Entscheidungen, in denen wir einen Anfang gemacht haben, fleißig weiterzutreiben. Unsere Jugend sollte darauf aufmerksam werden. Dann werden wir sowohl die ehren, welche um den 20. Juli ihr Leben ließen, als auch uns auf ähnliche Dinge, wie sie morgen wieder eintreten können, vorbereiten. Das dürfte dringlich nötig sein.

Amen.