Vermächtnis und Auftrag: Zum Gedenken an den 20. Juli 1944

Hanna-Renate Laurien

Vermächtnis und Auftrag: Zum Gedenken an den 20. Juli 1944

Ansprache der Bürgermeisterin von Berlin Dr. Hanna-Renate Laurien am 19. Juli 1988 im Rathaus Schöneberg, Berlin

Wir sind wieder, nun schon in guter Tradition, versammelt, um an die Menschen zu denken, die die Idee der Freiheit, Menschenwürde und Recht auch vertraten, als dies das Leben kosten konnte.

Im Namen des Senats von Berlin und des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen begrüße ich Sie alle – Sie, Träger dieses Widerstandes, Verwandte und Freunde jener Männer und Frauen und Sie, Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, unserer Stadt.

Ich heiße Sie auch im Namen der Stiftung „Hilfswerk 20. Juli 1944“, des Zentralverbandes Demokratischer Widerstandskämpfer und Verfolgtenorganisationen und der Union Deutscher Widerstandskämpfer und Verfolgtenverbände zu diesem Empfang herzlich willkommen.

Sie und wir alle wissen: Den Widerstandskämpfern des 20. Juli blieb der militärische und politische Erfolg versagt. Unglückliche Umstände und eine riskante Planung verhinderten das Befreiungswerk. Der 20. Juli 1944 war kein militärischer Erfolg der Deutschen!

Durch die Attentäter wurde sichtbar: Hitler gleich Deutschland – das stimmte nicht mehr. Wenn wir feststellen: Die Verschwörung des 20. Juli 1944 war ein „Aufstand des Gewissens“, in diesen Menschen trat das ausgetriebene Gewissen geschichtlich in Erscheinung, so ist damit ein wichtiger Grund genannt, der uns immer wieder Tag und Geschehen erinnern lässt.

Es ist aber nicht nostalgisches Erinnern oder ein Alibidatum, das die Deutschen verführen könnte, sich selbst nur als Söhne und Töchter von Opfern, nicht auch von Tätern zu sehen – nein, es ist ein Datum, das uns schmerzlich die damalige Erfolglosigkeit, die Minderheitensituation, befreiend die Größe derer bewusst macht, die keinen Kompromiss mit den Mächtigen eingingen und ihren persönlichen und familiären Frieden, ihren Wohlstand, ihre Freiheit, ihr Leben, ihre Ehre, ja sogar ihren würdigen Tod aufs Spiel setzten. Sie rufen uns in unserer freiheitlichen Staatsform nachdrücklich auf, Gewissen, das sich an Recht und Freiheit orientiert, nicht zu vergessen. Keine Meinungsumfrage, keine Zustimmungs- oder Ablehnungsprozente dürfen diese Verantwortung löschen.

Es passt zu diesem Ruf, wenn ich mir erlaube, hier heute unter uns besonders an General Friedrich Olbricht zu erinnern, dessen 100. Geburtstag wir in diesem Jahr gedenken. Im Drei-Kaiser-Jahr 1888 geboren ging der Sohn eines Gymnasialdirektors 1907 zur Armee. Seine militärische Laufbahn spielte sich zumeist im Generalstab ab. Im Sommer 1940 wurde der General der Infanterie zum Chef des Allgemeinen Heeresamtes und des Oberkommandos des Heeres ernannt. In dieser Schlüsselposition erkannte Olbricht früh die Sinnlosigkeit der Kriegführung, was ihn dazu bewog, sich dem Widerstandskreis im Oberkommando des Heeres anzuschließen.

Am 20.Juli verlangte Olbricht von Generaloberst Fromm verabredungsgemäß die Ausgabe des Stichwortes „Walküre“. Nachdem dann das Scheitern des Attentat-Versuches bekannt wurde, ist Olbricht mit Stauffenberg, Beck, Hoepner und Mertz von Quirnheim verhaftet und auf Befehl General Fromms noch am Abend des 20. Juli im Hofe des Oberkommandos des Heeres in der Bendlerstraße erschossen worden.

Er war kein Mann vieler Worte. Er hat auch nicht Tagebücher oder Aufzeichnungen hinterlassen. Seine letzten Worte wurden von seinem Schwiegersohn und Mitverschwörer Dr. Friedrich Georgi, Stabsoffizier der Luftwaffe, der in dem allgemeinen Durcheinander im Bendlerblock entkommen konnte, für die Nachwelt bewahrt. Sie lauten:

„Ich weiß nicht, wie eine spätere Nachwelt mal einst über unsere Tat und über mich urteilen wird, ich weiß aber mit Sicherheit, daß wir alle frei von irgendwelchen persönlichen Motiven gehandelt haben und nur in einer schon verzweifelten Situation das Letzte gewagt haben, Deutschland vor dem völligen Untergang zu bewahren. Ich bin überzeugt, daß unsere Nachwelt das einst erkennen und begreifen wird.“

Ich danke Ihnen allen, dass Sie mithelfen, nicht nur dieses Vermächtnis zu bewahren, sondern diesen Auftrag zu erfüllen. Ich wünsche Ihnen und uns Begegnungen in diesem Geist und schon heute ein glückliches Wiedersehen im nächsten Jahr.







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