Zum Treffen von Leber, Reichwein und Saefkow im Sommer 1944
Peter Steinbach
Zum Treffen von Leber, Reichwein und Saefkow im Sommer 1944
Gedenkrede von Prof. Dr. Peter Steinbach, Wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, anlässlich der Enthüllung der Gedenktafel am 19. Juli 1995 in Berlin-Mitte, Köpenicker Straße 76
Die Ereignisse, an die mit dieser Gedenktafel erinnert wird, haben sehr viel mit dem Anschlag auf Hitler zu tun, an den wir heute und morgen verstärkt denken werden. Denn nach dem Treffen in der Wohnung des Arztes Dr. Schmidt zwischen Reichwein und Leber auf der einen, Saefkow, Jacob und Thomas auf der anderen Seite konnte die Gestapo zugreifen, weil Ernst Rambow, ein in die Dienste des NS-Staates getretener Spitzel, Treffen und Teilnehmer verraten hatte. In den Folgetagen wurden ungeheuer viele Menschen verhaftet, verhört, gequält, verurteilt und hingerichtet. Die Gestapo war seit einigen Wochen auf ihren Spuren und suchte nur nach Gelegenheiten, möglichst viele zu verhaften. Am 22. Juni trafen sie sich hier zum ersten Male, am 4. Juli wurde Reichwein, am 5. Juli Leber in seiner Schöneberger Kohlenhandlung festgenommen. Dadurch wurde der von Stauffenberg geplante Umsturzversuch ernsthaft gefährdet. Etwa 200 weitere Verhaftungen schlossen sich an. Wir gehen heute von etwa 60 Strafverfahren aus, die aus diesen Verhaftungen folgten. Nach unseren Kenntnissen wurden mindestens 65 Angeklagte, mit großer Sicherheit, wie Ursel Hochmuth belegen konnte, mehr als 90 Menschen hingerichtet.
Damit stehen wir an dem Ort, der immer mit einer besonderen Tragödie des deutschen Widerstands verbunden ist: Zu den Opfern gehörten Jacob, Saefkow und Thomas, aber auch der einige Wochen zuvor festgenommene Berhard Bästlein. Sie alle waren unabhängige und nicht von Ulbricht gesteuerte Kommunisten. Zu den Opfern gehörten aber auch die beiden Sozialdemokraten Leber und Reichwein. Die Kommunisten wurden am 18. September ermordet, Reichwein am 20. Oktober, Leber dann am 5. Januar. Das ist die Tatsache, an der es nichts zu deuten gibt.
Die Geschichte dieses Ereignisses, aber auch der sich an die Verhaftung anschließender Verhöre ist jetzt aus neu aufgefundenen Akten rekonstruiert worden. Diese Quellen sind erst durch den Zusammenbruch der DDR zugänglich geworden. Dass sie unzugänglich waren, verrät ihre politische Brisanz. Ulbrichts Ministerium für Staatssicherheit konnte kein Interesse daran haben, die verhafteten Kommunisten in ihren eigentlichen Motiven zu schildern, denn die Steuerung des Widerstandes durch die Moskauer KPD war ein Dogma. Nichts belegt aber, dass Saefkow die Führungsrolle der Gruppe um Ulbricht anerkannt hätte, im Gegenteil. Johannes Tuchel hat die neu zugänglichen Quellen gesichtet und ebenso sorgfältig wie umsichtig interpretiert. Seine Ergebnisse sind demnächst in den „Dachauer Heften” nachzulesen. Warum sage ich das? Weil ich schon jetzt die Kritiker dieser Veranstaltung, die sich bei mir gemeldet haben, auffordern möchte, zu lesen und, solide informiert, die ausgetretenen Pfade in den geschichtspolitischen Gräben des Kalten Krieges zu verlassen.
Ihnen sei gesagt: In diesen Räumen wurde weder eine Volksfront noch eine Einheitsfront beschlossen oder vorbereitet. Hier trafen sich Menschen, die ein Gedanke beseelte: ”Hitler muss weg, das muss aufhören!” Sie wussten, der Widerstand der Militärs war ein Widerstand ohne Volk. Als Vertreter der SPD und der KPD sowie der Gewerkschaften verkörperten sie die eine Chance, aus dem Widerstand ohne Volk einen Widerstand aus dem Volk werden zu lassen, der dann auch den Umbruch realisieren könnte, der auf den Sturz Hitlers folgen sollte.
Hier trafen sich Kommunisten und Sozialdemokraten, gewiss mit dem Wissen und der Billigung des Attentäters Claus von Stauffenberg, den wir als den Motor des Umsturzes bezeichnen. Sie wurden getragen von einer Mission, von einem beeindruckenden und bewegenden Selbstbewusstsein, das sehr deutlich aus den Verhörprotokollen spricht. Sie hatten lange nebeneinander gearbeitet, denn Sozialdemokraten und Kommunisten trennte vieles, bis hinein in die Wirklichkeit der Lager, wo die Nationalsozialisten die politischen Gegensätze beider Richtungen ausnutzten und ihre Gegner dadurch peinigten, dass sie Sozialdemokraten in kommunistische Häftlingsblocks und Kommunisten in sozialdemokratische Blocks legten, wo diese dann die alten Debatten und Kämpfe fortsetzten.
Erst mit dem Krieg ändert sich diese Situation. Die Kommunisten hatten 1939 den Schock des Hitler-Stalin-Paktes zu überstehen, sie hatten auch zu akzeptieren, dass die Moskauer Exilführung der KPD die Verhältnisse in Deutschland nicht mehr kannte, sie hatte erleben müssen, wie manche Emigranten von Stalin an den NS-Staat ausgeliefert worden waren. Sie entwickelten das starke Gefühl einer inneren Unabhängigkeit und begriffen sich als unabhängige, das heißt als nicht von Moskau – das hieß von Ulbricht und Pieck – gesteuerte Kommunisten. So entwickelten sie eine eigenständige politische Identität als deutsche Kommunisten.
Leber und Reichwein waren seit 1933 immer ganz besonders reflektierte Sozialdemokraten geblieben. Das heißt: Sie wussten, was Kommunismus und Sozialdemokratie trennte, und sie vergaßen dies auch nach 1933 nicht. Mit ihnen war keine Einheitspartei zu machen. Hitler sollte gestürzt werden, die politische Neuordnung war eine Frage der Auseinandersetzung nach der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus.
Ich habe den Eindruck, dass aus dieser Eigenständigkeit ein besonderes Selbstbewusstsein folgte: Sozialdemokraten und Kommunisten trafen sich, um ihre Kooperationsfähigkeit zu prüfen. Dabei sollte und wollte jeder seine Identität behaupten und bewahren. In diesem Haus wurde also nicht die Zusammenlegung beider Parteien oder die Vereinigung der beiden großen politischen Arbeiterbewegungen besprochen. Alle Belege zeigen vielmehr, wie groß die Gegensätze in dieser Hinsicht waren und blieben.
Um was geht es also, wenn man an das Treffen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten erinnert, die sich als Repräsentanten ihrer Partei empfanden und den anderen in dieser Rolle respektierten? Um die schlichte historische Tatsache, dass sich in diesem Haus selbstbewusste Sprecher der SPD und der KPD trafen, deren Eigenständigkeit ihnen großes Selbstbewusstsein gab. Gemeinsam wollten sie die Grundlinien einer Kooperation nach der Befreiung von Hitler besprechen, obwohl sie wussten, wie gefährlich dies war. Denn Spitzel lauerten überall. Aber dies konnte sie nicht lähmen. Auch in dieser Bereitschaft zum Risiko drückte sich ein heute schier unvorstellbares Risikobewusstsein und bewegendes Selbstbewusstsein aus, das sich aus dem Zukunftsoptimismus speiste, dem Gegner, den Nationalsozialisten, eben nicht die Zukunft Deutschlands zu überlassen.
Insofern unterscheiden sich die Menschen, deren Schicksal sich in diesem Haus entschied, von der Mehrheit der Deutschen, die Hitler willig bis in den Mai 1945 folgten und die Rechnung für einen Krieg bezahlen mussten, gegen den sie sich nicht oder zu spät gestellt hatten. Deshalb verdienen sie den Respekt derjenigen, die hier vorbeigehen, nicht aber hämische Kommentare derjenigen, die Geschichte nur aus politischem Blickwinkel sehen. Hier vollendet sich die Tragödie von Menschen, die Deutschland prägen wollten – und die durch die Nationalsozialisten ermordet wurden, weil diese jeden vernichteten, der ihnen den Anspruch auf die Zukunft streitig machte.
Zum Treffen von Leber, Reichwein und Saefkow im Sommer 1944
Gedenkrede von Prof. Dr. Peter Steinbach, Wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, anlässlich der Enthüllung der Gedenktafel am 19. Juli 1995 in Berlin-Mitte, Köpenicker Straße 76
Die Ereignisse, an die mit dieser Gedenktafel erinnert wird, haben sehr viel mit dem Anschlag auf Hitler zu tun, an den wir heute und morgen verstärkt denken werden. Denn nach dem Treffen in der Wohnung des Arztes Dr. Schmidt zwischen Reichwein und Leber auf der einen, Saefkow, Jacob und Thomas auf der anderen Seite konnte die Gestapo zugreifen, weil Ernst Rambow, ein in die Dienste des NS-Staates getretener Spitzel, Treffen und Teilnehmer verraten hatte. In den Folgetagen wurden ungeheuer viele Menschen verhaftet, verhört, gequält, verurteilt und hingerichtet. Die Gestapo war seit einigen Wochen auf ihren Spuren und suchte nur nach Gelegenheiten, möglichst viele zu verhaften. Am 22. Juni trafen sie sich hier zum ersten Male, am 4. Juli wurde Reichwein, am 5. Juli Leber in seiner Schöneberger Kohlenhandlung festgenommen. Dadurch wurde der von Stauffenberg geplante Umsturzversuch ernsthaft gefährdet. Etwa 200 weitere Verhaftungen schlossen sich an. Wir gehen heute von etwa 60 Strafverfahren aus, die aus diesen Verhaftungen folgten. Nach unseren Kenntnissen wurden mindestens 65 Angeklagte, mit großer Sicherheit, wie Ursel Hochmuth belegen konnte, mehr als 90 Menschen hingerichtet.
Damit stehen wir an dem Ort, der immer mit einer besonderen Tragödie des deutschen Widerstands verbunden ist: Zu den Opfern gehörten Jacob, Saefkow und Thomas, aber auch der einige Wochen zuvor festgenommene Berhard Bästlein. Sie alle waren unabhängige und nicht von Ulbricht gesteuerte Kommunisten. Zu den Opfern gehörten aber auch die beiden Sozialdemokraten Leber und Reichwein. Die Kommunisten wurden am 18. September ermordet, Reichwein am 20. Oktober, Leber dann am 5. Januar. Das ist die Tatsache, an der es nichts zu deuten gibt.
Die Geschichte dieses Ereignisses, aber auch der sich an die Verhaftung anschließender Verhöre ist jetzt aus neu aufgefundenen Akten rekonstruiert worden. Diese Quellen sind erst durch den Zusammenbruch der DDR zugänglich geworden. Dass sie unzugänglich waren, verrät ihre politische Brisanz. Ulbrichts Ministerium für Staatssicherheit konnte kein Interesse daran haben, die verhafteten Kommunisten in ihren eigentlichen Motiven zu schildern, denn die Steuerung des Widerstandes durch die Moskauer KPD war ein Dogma. Nichts belegt aber, dass Saefkow die Führungsrolle der Gruppe um Ulbricht anerkannt hätte, im Gegenteil. Johannes Tuchel hat die neu zugänglichen Quellen gesichtet und ebenso sorgfältig wie umsichtig interpretiert. Seine Ergebnisse sind demnächst in den „Dachauer Heften” nachzulesen. Warum sage ich das? Weil ich schon jetzt die Kritiker dieser Veranstaltung, die sich bei mir gemeldet haben, auffordern möchte, zu lesen und, solide informiert, die ausgetretenen Pfade in den geschichtspolitischen Gräben des Kalten Krieges zu verlassen.
Ihnen sei gesagt: In diesen Räumen wurde weder eine Volksfront noch eine Einheitsfront beschlossen oder vorbereitet. Hier trafen sich Menschen, die ein Gedanke beseelte: ”Hitler muss weg, das muss aufhören!” Sie wussten, der Widerstand der Militärs war ein Widerstand ohne Volk. Als Vertreter der SPD und der KPD sowie der Gewerkschaften verkörperten sie die eine Chance, aus dem Widerstand ohne Volk einen Widerstand aus dem Volk werden zu lassen, der dann auch den Umbruch realisieren könnte, der auf den Sturz Hitlers folgen sollte.
Hier trafen sich Kommunisten und Sozialdemokraten, gewiss mit dem Wissen und der Billigung des Attentäters Claus von Stauffenberg, den wir als den Motor des Umsturzes bezeichnen. Sie wurden getragen von einer Mission, von einem beeindruckenden und bewegenden Selbstbewusstsein, das sehr deutlich aus den Verhörprotokollen spricht. Sie hatten lange nebeneinander gearbeitet, denn Sozialdemokraten und Kommunisten trennte vieles, bis hinein in die Wirklichkeit der Lager, wo die Nationalsozialisten die politischen Gegensätze beider Richtungen ausnutzten und ihre Gegner dadurch peinigten, dass sie Sozialdemokraten in kommunistische Häftlingsblocks und Kommunisten in sozialdemokratische Blocks legten, wo diese dann die alten Debatten und Kämpfe fortsetzten.
Erst mit dem Krieg ändert sich diese Situation. Die Kommunisten hatten 1939 den Schock des Hitler-Stalin-Paktes zu überstehen, sie hatten auch zu akzeptieren, dass die Moskauer Exilführung der KPD die Verhältnisse in Deutschland nicht mehr kannte, sie hatte erleben müssen, wie manche Emigranten von Stalin an den NS-Staat ausgeliefert worden waren. Sie entwickelten das starke Gefühl einer inneren Unabhängigkeit und begriffen sich als unabhängige, das heißt als nicht von Moskau – das hieß von Ulbricht und Pieck – gesteuerte Kommunisten. So entwickelten sie eine eigenständige politische Identität als deutsche Kommunisten.
Leber und Reichwein waren seit 1933 immer ganz besonders reflektierte Sozialdemokraten geblieben. Das heißt: Sie wussten, was Kommunismus und Sozialdemokratie trennte, und sie vergaßen dies auch nach 1933 nicht. Mit ihnen war keine Einheitspartei zu machen. Hitler sollte gestürzt werden, die politische Neuordnung war eine Frage der Auseinandersetzung nach der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus.
Ich habe den Eindruck, dass aus dieser Eigenständigkeit ein besonderes Selbstbewusstsein folgte: Sozialdemokraten und Kommunisten trafen sich, um ihre Kooperationsfähigkeit zu prüfen. Dabei sollte und wollte jeder seine Identität behaupten und bewahren. In diesem Haus wurde also nicht die Zusammenlegung beider Parteien oder die Vereinigung der beiden großen politischen Arbeiterbewegungen besprochen. Alle Belege zeigen vielmehr, wie groß die Gegensätze in dieser Hinsicht waren und blieben.
Um was geht es also, wenn man an das Treffen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten erinnert, die sich als Repräsentanten ihrer Partei empfanden und den anderen in dieser Rolle respektierten? Um die schlichte historische Tatsache, dass sich in diesem Haus selbstbewusste Sprecher der SPD und der KPD trafen, deren Eigenständigkeit ihnen großes Selbstbewusstsein gab. Gemeinsam wollten sie die Grundlinien einer Kooperation nach der Befreiung von Hitler besprechen, obwohl sie wussten, wie gefährlich dies war. Denn Spitzel lauerten überall. Aber dies konnte sie nicht lähmen. Auch in dieser Bereitschaft zum Risiko drückte sich ein heute schier unvorstellbares Risikobewusstsein und bewegendes Selbstbewusstsein aus, das sich aus dem Zukunftsoptimismus speiste, dem Gegner, den Nationalsozialisten, eben nicht die Zukunft Deutschlands zu überlassen.
Insofern unterscheiden sich die Menschen, deren Schicksal sich in diesem Haus entschied, von der Mehrheit der Deutschen, die Hitler willig bis in den Mai 1945 folgten und die Rechnung für einen Krieg bezahlen mussten, gegen den sie sich nicht oder zu spät gestellt hatten. Deshalb verdienen sie den Respekt derjenigen, die hier vorbeigehen, nicht aber hämische Kommentare derjenigen, die Geschichte nur aus politischem Blickwinkel sehen. Hier vollendet sich die Tragödie von Menschen, die Deutschland prägen wollten – und die durch die Nationalsozialisten ermordet wurden, weil diese jeden vernichteten, der ihnen den Anspruch auf die Zukunft streitig machte.