Warum der 20. Juli uns alle angeht

Warum der 20. Juli uns alle angeht

Manifest zum 80. Jahrestag des Umsturzversuchs gegen Hitler und das NS-Unrechtsregime:

 

Am 20. Juli 2024 jährt sich zum 80. Mal der Umsturzversuch der Männer und Frauen aus dem Widerstand gegen Hitler und das nationalsozialistische Unrechtsregime. Sie wollten Krieg und Terrorherrschaft der Nazis beenden und den Weg für einen freiheitlichen Rechtsstaat in Deutschland bereiten. Dafür überwanden sie jene Widersprüche, die Staat und Gesellschaft polarisiert und damit der nationalsozialistischen Machtergreifung den Weg bereitet hatten. Dafür setzten sie ihr Leben und die Existenz ihrer Familien ein. Ihr Widerstand damals verpflichtet uns heute alle, für Demokratie und Rechtsstaat einzustehen.

 

1. Der Widerstand, an den wir erinnern, galt einer Diktatur

Unser Land ist eine streitbare Demokratie. Wir sind in ihr als Bürgerinnen und Bürger frei, stark und keineswegs ohnmächtig. Wir können heute durch parlamentarische Opposition, demokratische Teilhabe und friedliche Proteste Missstände benennen, Veränderungen fordern und gestalten und auch für unsere Rechte vor Gericht streiten. Wir können für unsere Überzeugungen eintreten und uns gesellschaftspolitisch engagieren. Dazu gehört Mut, aber wir müssen weder unser Leben einsetzen noch ein vergleichbar hohes persönliches Risiko eingehen wie die Männer und Frauen des Widerstands. Das Grundgesetz gewährt uns dann ein Recht auf Widerstand, wenn die Verfassungsordnung bedroht und “andere Abhilfe nicht möglich” ist.

Opposition gegen die gewählte Regierung und gegen Mehrheitsentscheidungen innerhalb der rechtsstaatlichen Demokratie kann und darf daher nicht mit Widerstand gegen eine totalitäre Diktatur gleichgesetzt oder verwechselt werden.

Deshalb weisen wir den Versuch von rechten wie linken und auch von religiös motivierten Populisten und Extremisten zurück, den Begriff des Widerstandes gegen unsere freiheitliche Demokratie zu instrumentalisieren. Dieser Versuch widerspricht dem Ziel der Männer und Frauen des Widerstands. Sie leisteten Widerstand, um Rechtsstaatlichkeit und Freiheit wiederherzustellen.

 

2. Wir brauchen keine makellosen Helden, sondern Vorbilder

Die Männer und Frauen des Widerstandes kamen aus der Arbeiterschaft, dem Bürgertum, dem Adel. Sie waren Kommunisten und Konservative, Sozialdemokraten und Liberale, Gewerkschafter und Militärs, engagierte Christen und Menschen, die schlicht aus Anstand und ethischer Überzeugung handelten und bereit waren ihr Leben zu riskieren. Unter den Bedingungen der Diktatur fanden sie über die Grenzen ihrer Milieus, ihrer politischen Lager und ihrer Überzeugungen zusammen und handelten gemeinsam: für die Wiederherstellung von Recht, Würde und Menschlichkeit, und um Deutschland eine freiheitlich-demokratische Zukunft in einem friedlichen Europa zu ermöglichen.

Sie waren Menschen und fehlbar - und keine makellosen Helden. Nicht wenige von ihnen hatten zuvor selbst Schuld auf sich geladen. Doch sie besaßen den Mut zur Umkehr. Unter höchstem persönlichem Einsatz und in dem Bewusstsein, auch Freiheit und Existenz ihrer Familien aufs Spiel zu setzen, unternahmen sie den Versuch, unser Land von einer totalitären Diktatur zu befreien, der Vernichtung der Juden und der Ermordung anderer Bevölkerungsgruppen Einhalt zu gebieten und einen verbrecherischen Krieg zu beenden.

Ihr Mut, selbstlos und in Einheit miteinander zu handeln, zeigt uns, wie wir heute Differenzen und neue, zunehmend unüberwindbar erscheinende Spaltungen in unserer Gesellschaft überwinden können. Sie gestanden einander die Möglichkeit zum Anders- und Umdenken zu. Wer sich auf sie berufen möchte, kann nicht bloß selbstgerecht über das Denken und Verhalten anderer urteilen; er muss stattdessen zum Dialog bereit sein und sein eigenes Denken und Verhalten beständig an den Kriterien des Anstands und des Rechts messen.

 

3. Demokratie braucht Menschen, die Verantwortung übernehmen

Das Vermächtnis der Männer und Frauen aus dem Widerstand wird lebendig, wenn wir Verantwortung in Staat und Gesellschaft übernehmen. Sonst bleibt es bloß historische Erinnerung, die verblasst. Die Demokratie ist darauf angewiesen, dass wir unsere Handlungsspielräume nutzen. Andernfalls verkümmert sie. Rückzug in Pessimismus, Unmut, Politikverdrossenheit, Empörung und Einrichten in der Opferrolle schwächen die Demokratie. Sie lebt von unserem Engagement in Familie und Beruf, in Gemeinde und Vereinen, im Ehrenamt und im Hauptamt. Dazu gehört beides – sowohl für Streit und Dialog offen zu sein als auch Kompromisse auszuhandeln und auszuhalten. Das ist herausfordernd.

Der Widerstand gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime hat die Kraft, uns an unsere Verantwortung für die Demokratie zu erinnern. Deshalb geht der 20. Juli 1944 uns alle an.