"Christus-Zeit ist Essens-Zeit".

Volkhard Schliski-Schultke

„Christus-Zeit ist Essens-Zeit“.

Predigt von Pfarrer Volkhard Schliski-Schultke am 20. Juli 1998 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Liebe ökumenische Gemeinde

im Gottesdienst hier in der Gedenkstätte Plötzensee!

„Das Wesen des Christentums ist gemeinsames Essen“ – so der katholische Theologe Franz Mußner.

„Christus-Zeit ist Essens-Zeit“ – so der evangelische Theologe Markus Barth.

Essen und Trinken sind Grundbedingungen menschlichen Lebens, Grundbedürfnisse des Menschen. Mit gemeinsamen Essen und Trinken feiern wir unsere Feste. Essen und Trinken gehören zum Alltag wie zum Festtag. Ohne beides – kein Leben.

Der Messias, Christus, Jesus befreit und eint zum Leben, eint und befreit das Leben. In seinem Namen und Geist, unter seinem Segen gemeinsam Essen und Trinken ist Verkündigung dieses Evangeliums: „Das tut zu meinem Gedächtnis“, sagt er selber. Deshalb will ich heute vom „Mahl des Herrn“ reden (das wir Abendmahl und Eucharistie nennen), weil es meines Erachtens unvergleichlich deutlich macht, worum es geht, wenn wir hier des Martyriums der Menschen im Widerstand gegen die Naziherrschaft gedenken, und in welche Lebens- und Handlungsperspektive wir damit kommen.

Jedes Jahr feiern wir hier zum 20. Juli Gottesdienst – solange es diese Tradition gibt: mit Eucharistie und Abendmahl. Getrennt und wohl unterschieden, wie es den herrschenden Überlieferungen und Lehren entspricht, aber immerhin im gemeinsamen Gottesdienst in gegenseitiger Anteilnahme. Eben deshalb aber auch in bewusstem Schmerz darüber, dass wir darin – noch – nicht übereinkommen (können). So haben es auch unsere beiden Bischöfe gerade erst wieder zum Ausdruck gebracht. Das darf jedoch kein Grund sein, sich mit diesem Zustand resignativ abzufinden. „Ist Christus etwa zerteilt ?“ Die alte Frage des Apostels Paulus (1. Korinther 1,13) muss in uns weiter brennen.

Ich kann hier – das versteht sich – nicht die Absicht haben, die traditionellen evangelisch-katholischen Gräben in dieser Frage zuzuschütten. Ich möchte aber versuchen, auf einiges aufmerksam zu machen, worin wir uns, von der biblischen Überlieferung her, einig finden müssten, wozu im Geiste Jesu doch befreit.

Dafür finde ich die „Sage“ von gemeinsamer evangelisch-katholischer Eucharistie unter Gefangenen des Widerstandes ein kostbares Vermächtnis, das wir uns einzulösen noch nicht getraut haben. Ich spreche von „Sage“ – ganz positiv – nur, weil meines Wissens noch nicht historisch belegt. Dass aber diese Gemeinsamkeit auch so immer wieder in Rede steht und für möglich gehalten wird, ist überaus bemerkenswert: Wenn es so um Tod oder Leben geht, wie im Widerstand damals, zeigt sich, dass Menschen- und Gottes-Gemeinschaft stärker ist – und sein muss – als sonst trennende, heilig gehaltene Überzeugungen „Christus befreit und eint.“

Das sollte uns Mut machen. Denn in seinem Licht leuchtet hell auf, worum es in Kampf und Widerstand gegen den Nazismus ging: nicht nur um Recht und Anstand und um Deutschland als Völkerrechtsgenossen, sondern im Grunde um die Menschlichkeit des Menschen und die Göttlichkeit Gottes. Dagegen richtete sich die nationalsozialistische Herrentums- und Rassenideologie, die versuchte Vernichtung der Juden und Erniedrigung anderer Völker und Menschen und der Kampf gegen die Kirchen.

Demgegenüber nun ist das Teilen von Brot und Kelch, wie es Jesus in seinem letzten Passahmahl seinen Jüngern anbefiehlt – und wie wir dem in Eucharistie- und Abendmahlsfeier zu entsprechen suchen, das realste und konkreteste Zeichen für das Leben von Gott und Menschen, wie es „sehr gut“ wäre: für befreiende und einende Lebensbeziehungen zwischen Gott und Menschen – allen Menschen und Völkern.

Das Teilen von Brot und Kelch unter dem Segen, im Namen und Geist des Herrn, Jesus, zeigt die Gemeinschaft mit ihm an. „Wes' Brot ich ess, des' Lied ich sing“, ja dem gehöre ich. Sie schließt die Gemeinschaft mit anderen Mächten, die ihm Konkurrenz sind, aus – oder wir begehen Verrat, wie Judas – unausweichlich? – Damals, im Dritten Reich, konnte man nur Christ oder Nationalsozialist sein – nicht beides. Heute kann man sich als Christenmensch, glaube ich, zum Beispiel der freien Geld- und Marktwirtschaft bzw. ihren Auswirkungen ebenso wenig einfach unterwerfen, wie etwa gentechnische Menschenmanipulation für uns akzeptabel wäre. Wir leben weder von Geld und Markt, noch sind wir Herren und Schöpfer unseresgleichen.

Mit seinem letzten Mahl stellt Jesus alle, die es nachfeiern, in die Passahtradition Israels. Das bedeutet ein Doppeltes. – Zum einen: das Schicksal der Juden und Israels kann uns nicht egal sein. Leben und Überleben der Juden, ihre Freiheit, ist für Kirche und Christen eine Glaubensverpflichtung, die besonders uns als Deutschen angelegen sein muss. Denn die im Namen Deutschlands gar nicht mehr sein sollten – von denen sagt die Bibel ausdrücklich: „Das Heil kommt von den Juden“ (Joh. 4,22).

Zum anderen werden wir in die biblische Rettungs- und Befreiungsperspektive einbezogen. Dürfen auch von ihr profitieren, sind ihr nun aber auch verpflichtet. Jesus ist die Erfüllung des „Passa“ : als Gottes-Lamm die Vollendung der „Verschonung“, die nun aller Welt offen steht. – Die Menschen des Widerstands sind keine Zuschauer des Unheils geblieben, das die Machtergreifung der Nazis zur Folge hatte. Ich denke, als Profiteure von Jesu Passa und Veranstalter seines Gedächtnismahls verbietet sich für uns die Zuschauerhaltung gegenüber jeder Form von Unterdrückung und Todesherrschaft. – Ich glaube auch nicht, dass uns so eine Richterrolle zukommt über „guten“ oder „bösen“ Widerstand.

Wir sind doch vielmehr alle eingeladen, auf dass wir etwas zum Leben und zu leben bekämen, was wir uns selber nie verdienen könnten, worauf wir auch von uns aus gar keinen Anspruch hätten. Gäste sind wir beim Mahl eines anderen – also auch ohne Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl der Gäste. Wen er einlädt – und das sind ja schließlich doch wohl alle –, dem dürfen wir kaum wehren: Stellen wir uns vor, das würde uns passieren! – Aber ach, was machen wir...

Wir haben uns so viele Differenzpunkte zwischen Abendmahl und Eucharistie zurechtgelegt. Der Apostel Paulus schreibt den Korinthern, die auch so ihre Schwierigkeiten haben, zusammenzukommen – lassen wir es uns auch gesagt sein: „So oft ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod der Herrn, bis er kommt“ (11,26). Dieses Mahl ist vielleicht nicht in erster Linie ein Haben und Bekommen für uns, sondern ein – gehorsames – Tun: ihn verkündigen.

Wenn wir das tun: wird er dann nicht vielleicht darin „real“ und „präsent“ sein wollen und „kommen“, auf dass seine Verkündigung, Ankündigung nicht bloßes Gerede bleibe?! Und könnte uns das nicht geradezu „substantiell umwandeln“: uns zu einem neuen Leben bringen, einem neuen Lebensstil, einem neuen Tun – als Glieder seines „Leibes“ nun, ihm entsprechend, ihm gehorsam?!

Dann wäre unsere Mahlgemeinschaft unter seinem Segen ein kleiner Vorschein oder, biblisch zurückhaltender, ein Zeichen in der Welt für sein eigenes Kommen, für sein Reich?! Woran man etwas sehen könnte, was sonst noch selten wäre: niemand ausgeschlossen, jeder, jede unter uns, bei uns willkommen, geehrt und einbezogen mittenrein, gerade auch die Kleinen, die Zaungäste, die Randsiedler und -siedlerinnen, die Mutlosen, die – vermeintlich – Ungläubigen sogar: „Dass es so was gibt...“ Erste werden Letzte, Letzte Erste sein... Hungrige satt, Reiche geben ab und teilen...

„Christus-Zeit ist Essens-Zeit“. „Das Wesen des Christentums ist gemeinsames Essen.“ Vielleicht ist es noch nicht so weit – obwohl die Welt doch hungert?! Wir sollen ihn ja verkünden, „bis er kommt“. Dann sollten wir solange aber wenigstens tun, was Paulus schon seinen Korinthern nahe legt: „Wenn ihr zusammenkommt, um zu essen, so wartet aufeinander“ (11,33). Aufeinander warten: bereit sein füreinander und einander dann annehmen. „Das tut zu meinem Gedächtnis“.

Für uns beide, Katholische und Evangelische, gilt dabei jedenfalls: „Kein gehorsamer Wandel von Christen ohne die Feier dieses Mahls! Keine Tischgemeinschaft mit dem Herrn ohne Gemeinschaft mit Israel und ohne Gemeinschaft der Gäste Jesu untereinander !“ –

Amen.






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20.07.1998
P. Dr. Karl Meyer OP
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