Das Blut der Märtyrer ist der Samen der Christen!

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Carsten Bolz

Das Blut der Märtyrer ist der Samen der Christen!

Predigt von Pfarrer Carsten Bolz am 20. Juli 2008 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Predigt mit Matthäus 13, 24-43

Gnade sei mit euch und Friede von unserm Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde hier im Hinrichtungsschuppen,

als wir uns in der Vorbereitung auf diesen Gottesdienst bewusst machten, dass die katholische Leseordnung für heute als Evangelium das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen vorsieht, die Geschichte also, die beschreibt, wozu Samen aufgehen können – da kam mir dazu schnell ein Wort des Kirchenvaters Tertullian vom Ende des 2. Jahrhunderts in den Sinn – ein Wort, das Ihnen sicher – genau wie diese Geschichte Jesu auch schon begegnet ist – das Wort vom Blut der Märtyrer, das Samen ist für die Christen bzw. die Kirche.

Tertullian schreibt in seinem Apologeticum – dieser großen, rhetorisch einzigartigen Verteidigungsrede des Christentums fast am Ende des letzten Kapitels: "fahrt nur so fort, treffliche Präsidenten, die ihr beim Pöbel viel beliebter werdet, wenn ihr ihm Christen opfert; quält, martert, verurteilt uns, reibt uns auf; eure Ungerechtigkeit ist der Beweis unserer Unschuld! Deswegen duldet Gott, dass wir solches dulden. [...] Und doch, die ausgesuchteste Grausamkeit von eurer Seite nützt nichts; sie ist eher ein Verbreitungsmittel unserer Genossenschaft. Wir vermehren uns jedes Mal, wenn wir von euch niedergemetzelt werden: Das Blut der Märtyrer ist der Samen der [für neue] Christen!"

Wenige Sätze später endet Tertullian seine Verteidigungsschrift: "Das ist der Grund, warum wir euch [Menschen] sofort für eure Richtersprüche Dank sagen. So beschaffen ist der Widerstreit zwischen einer göttlichen und menschlichen Sache: von euch [Menschen] verurteilt – werden wir von Gott losgesprochen."

Das Blut der Märtyrer ist der Samen der Christen! Und dazu aus dem Matthäusevangelium: Die Gerechten werden leuchten, wie die Sonne – in ihres Vaters Reich!

Wenn wir das hier unter dem Galgen von Plötzensee sagen und hören, dann wissen wir heute genau zuzuordnen, aus welchem Samen Weizen wurde und woraus Unkraut (das ja leider immer noch wächst – in Lankwitz oder in Zehlendorf z.B.) – um im Bild zu bleiben.

Aber das war keineswegs immer so klar. Zunächst galten die hier Gehenkten als Verräter – Hochverräter in der Diktion der Nationalsozialisten – war Dietrich Bonhoeffer von den Fürbittelisten der Bekennenden Kirche gestrichen, weil er politisch Widerstand leistete.

Und auch lange noch später hat es Zeit gebraucht, bis in Deutschland sich einvernehmlich die Meinung durchgesetzt hat – die hier und anderswo Gehenkten waren Widerstandskämpfer, denen Annerkennung und Ehre gebührt; ihr Denken und Tun sollte ein anderes, demokratisches Deutschland schaffen – und viele von ihnen handelten aus christlichen Motiven – langsam war es allgemein anerkannt: Aus diesem Samen sollte Weizen wachsen – nicht Unkraut!

Aber waren sie auch Märtyrer? Solche also, deren Blut zum Samen der Christen geworden ist? Und was ist diese Frucht, die aus diesem Samen erwuchs?

Beim Nachdenken und -lesen für diese Predigt bin ich auch auf eine Predigt von Eberhard Bethge gestoßen, die er vor fast 40 Jahren in der katholischen Gedenkkirche Maria Regina Martyrum – wenige Hundert Meter von hier – gehalten hat. Er weist – 1969 – darauf hin, wie schwer sich auch die Evangelische Kirche in Deutschland damit getan hatte, politische Verschwörer wie Delp, Moltke und Bonhoeffer tatsächlich zu modernen Märtyrern zu rechnen. Im Gedenkbuch des Bruderrates der EKD von 1949 heißt es: "Alle, von denen in diesem Buch die Rede ist, [...] , haben ihre Leiden nicht darum auf sich genommen, weil sie mit der Politik des Dritten Reiches nicht einverstanden waren und in ihr ein Verhängnis für unser Volk erkannten, sondern nur und ganz ausschließlich aus dem Grunde, weil sie das Bekenntnis der Kirche angegriffen sahen und es, gelte es auch den Einsatz ihres Lebens, um der Treue zu Christus willen zu wahren hatten."

Bethge fragt dann zu Recht: "Wie fatal klingt jetzt das kleine Wörtchen "nur" in diesem Text. Was ist denn das für ein 'ganz ausschließliches Bekenntnis der Kirche’, das da so teuer verteidigt worden ist?" Wenn das stimme, so Bethge, dann sei ein Mann wie Bonhoeffer eben doch nur auf Grund eines Missverständnisses in dieses Gedenkbuch geraten.

Gedenken wir hier im Gottesdienst aufgrund eines Missverständnisses!?

Nein, das tun wir natürlich nicht. Ich fand bei Bethge dazu im Weiteren fünf Gesichtspunkte, nach denen er diesen Männern und Frauen tatsächlich den Rang christlichen Märtyrertums zuerkennt. Ich rufe sie uns hier heute ins Gedächtnis, weil ich sie nach wie vor – und wieder neu – wichtig finde für die Einschätzung des Tuns derer, derer wir heute hier als Christen gedenken.

(1) Nach Bethge ist der erste Gesichtspunkt, der sie zu Märtyrern macht, der des frei gewählten Leidens: Anders als den vielen von Auschwitz, die nichts als Opfer gewesen seien, blieb diesen anderen ein Moment der freien Wahl. "Das man eben auch anders hätte können – [...] das verlieh ihrem Martyrium dieses Moment der freien Einwilligung. [...] Es gibt offenbar Tode, die bezeugen Tode, und Tode, die bezeugen Leben. [...] Deshalb klagen Auschwitz und Warschau ungedeckt an. Und deshalb gehen vom Tod der Scholls, Delp und Moltke Tröstungen aus."

(2) Der zweite Gesichtspunkt nach Bethges Ansicht ist das nicht selbst gesuchte Martyrium: Schon die frühen Christen warnten vor einer Martyriums-Sehnsucht und wussten frei gewähltes Opfer von selbst gesuchtem Martyrium zu unterscheiden. So müssten echte christliche Märtyrer durch die Agonie allgemeiner Verwerfung gehen. "Kein Befehl noch Beifall erleichtern das Mehrdeutige ihres Endes."

(3) Als Drittes führt Bethge den Begriff der Schuldsolidarisierung ein. Dieser Typus des Märtyrers sei eben selber Schuld befleckter Zeuge für das Humanum, hielte sich nicht fern von der Welt in exemplarischer Reinheit, sondern hielt bei denen aus, "die verantwortlich oder [... ] in Bosheiten dieser Welt verwickelt sind."

(4) Als viertes Merkmal modernen Märtyrertums nennt Bethge den authentisch christlichen Charakter: Mit dieser Motivation erfüllten sie nicht ein dogmatisches Soll, wie eine ängstliche Sorge um eine christliche Identität es haben wolle, sondern hätten mitten im Solidarisieren mit den "schwächsten Brüdern Christi" die Gabe der christlichen Identität wohl gehütet, sich dieser Begabung nicht gerühmt und sogar die Verkennung des Gebers ihrer Identität willig geteilt. Und, so Bethge, "Wir haben diese Märtyrer wahrlich nicht zu messen, sie messen uns."

(5) Als letzten seiner Gesichtspunkte nennt er schließlich die "Autorität des Todes". Er schreibt: "Gültigkeit und Autorität wird ihrem Tod nicht durch unsere Kategorien und Kritiken – [...] - verliehen. Sondern umgekehrt: [...] Sie haben mit dem Tod ihrem Zeugnis für das Humanum Autorität verliehen. Und das ist eine einzigartige Autorität – sie beschränkt sich allein auf die Macht der Beschämung."

Dies wären die fünf Gesichtspunkte zur Beurteilung modernen Märtyrertums:

- frei gewähltes Leiden

- nicht selbst gesuchtes Martyrium

- Schuldsolidarisierung

- Authentisch christlicher Charakter

- Autorität des Todes

Wenn Sie diese Gesichtspunkte/Kriterien anlegen an die Biographien Ihrer Angehörigen, an die Lebensläufe derer, derer wir hier heute gedenken, dann werden Sie wie ich – und auch schon Eberhard Bethge – zweifelsfrei zu dem Ergebnis kommen, dass wir sie Märtyrer und Märtyrerinnen nennen dürfen, ja müssen.

Und wenn dann der Satz Tertullians auch heute noch zutrifft, dass das Blut der Märtyrer Samen der Christen sei – dann bliebe die Frage zu beantworten: Welche Früchte sind aus diesem blutigen Märtyrertum hervorgegangen?

Nun, wir versuchen, diese Frage ja jedes Jahr aufs Neue hier und in den anderen Gedenkfeiern auf vielfältige Art zu beantworten. Und abgesehen davon, dass sie sich letztgültig ohnehin erst am Ende der Tage beantworten lassen wird, wenn die Ernte eingebracht und Unkraut vom Weizen geschieden wird – abgesehen davon, haben wir dem Tun und Handeln solcher Menschen wie Moltke, Delp oder Bonhoeffer deutlich Impulse zu Demokratie, Solidarität, ja auch zu theologischen Einsichten und ökumenischem Handeln zu danken. Und ist nicht auch – so grausam das klingt – die Tatsache, dass wir hier heute und immer wieder ökumenisch miteinander feiern, auch eine Frucht dieses Samens!?

Es ist gut und wichtig, dass wir uns die Früchte, die diese Samen gebracht haben, immer wieder vor Augen führen – und das nicht nur einmal im Jahr hier an diesem Ort, sondern auch dauerhaft wie z.B. in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand.

Eine weitere Frucht dieser Saat könnte nun ein Projekt werden, das gerade im Entstehen begriffen ist. Die Evangelische Kirchengemeinde hier am Ort – unterstützt von den katholischen Nachbarn und von mir – hat die Initiative zur Gründung einer – so der sehr vorläufige und auch noch strittige Arbeitstitel – einer "Ökumenischen Informations- und Gedenkstätte Christlicher Widerstand" im Evangelischen Gemeindezentrum Plötzensee ergriffen. Am Ausgang gibt es für alle, die es interessiert erste Projektskizzen und die Einladung zu einem ersten öffentlichen "Denk-Tag" im September. Ein Ziel dieses Projektes wäre es ja, den hier und an anderen Orten blutig gelegten Samen genauer in den Blick zu nehmen und seine Früchte einer besseren Wahrnehmung zuzuführen. Denn das ist doch auch unsere Verantwortung, dass wir die Früchte dieser Saat nicht verkommen lassen, sondern ihnen in unserer Zeit immer wieder die Bedeutung zukommen lassen, die ihnen gebührt.

Schon Helmuth James von Moltke übrigens sah diesen Samen gelegt. In einem Brief an Alfred Delp schreibt er in den Tagen zwischen dem Todesurteil am 11. Januar 1945 und ihrer Hinrichtung am 23. Januar hier in Plötzensee als seine Einschätzung der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof:

"gegen mich konnte der Nationalsozialist Freisler eben nur vorgehen als gegen den Christen schlechthin. Das hat ihn zu jenen extremen, klaren Äußerungen über die letzte Unvereinbarkeit von Christentum und Nationalsozialismus gezwungen, die, selbst wenn wir fallen, als fruchtbarer Same ins Land gehen werden. [...] Wir haben als Leidende einen Auftrag erfüllt. Hat der Herr uns einen weiteren Auftrag erteilt, wie ich gehört zu haben meine, so wird er uns auch dafür erhalten. Will er uns zu sich rufen, so hat der 9.-11. Januar 1945 unserem Leben einen Sinn gegeben, den viele, ja die meisten, die heute sterben müssen, vermissen werden."

Dass dieser Same heute und an vielen Tagen weiter Frucht bringen mag und dass wir die

Früchte weitertragen – dazu helfe uns Gott! Amen.






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