Das Gefühl absoluter Geborgenheit in Gott

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Carsten Bolz

Das Gefühl absoluter Geborgenheit in Gott

Predigt von Superintendent Carsten Bolz im Rahmen des Ökumenischen Gottesdienstes am 20. Juli 2010 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Predigt zu Joh 14,1

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus.

Amen.

„Ich bin weit entfernt von allem einfachen Optimismus, zu dem ich ja fraglos neige, ich bin aber voller Hoffnung, dass wir gemeinsam das uns Auferlegte tragen können und müssen und dass diese Gemeinsamkeit immer, immer bleiben wird.“ (H. J. von Moltke, Im Land der Gottlosen, Tagebuch und Briefe aus der Haft 1944/45, hg. von Günter Brakelmann, 2009, S.206)

So, liebe Gemeinde hier im Hinrichtungsschuppen, so schreibt Freya von Moltke ihrem Mann Helmuth James zu dessen 37. Geburtstag im März 1944 ins Konzentrationslager Ravensbrück.

„Ich bin weit entfernt von allem einfachen Optimismus, zu dem ich ja fraglos neige, ich bin aber voller Hoffnung, dass wir gemeinsam das uns Auferlegte tragen können und müssen und dass diese Gemeinsamkeit immer, immer bleiben wird.“

Am Anfang dieses Jahres ist Freya von Moltke 66 Jahre nach diesem Brief und fast genau 65 Jahre nach der Hinrichtung ihres Mannes hier an diesem Ort nun selber gestorben. 98 Jahre ist sie alt geworden und hat in den 65 Jahren nach der Ermordung ihres Mannes unermüdlich und unerschrocken am gemeinsamen Vermächtnis weiter gearbeitet: in Berlin, in Südafrika, in den USA und nicht zuletzt in Polen. Wir hatten Gelegenheit bei einer Trauerfeier hier in Berlin ihrer zu gedenken. Ihr Leben, wie das vieler Witwen und Angehöriger der Männer und Frauen des 20. Juli hat mir dies immer wieder ins Bewusstsein gebracht: dass sie das Auferlegte tatsächlich gemeinsam getragen haben – und dass diese Gemeinsamkeit immer geblieben ist – mit dem gewaltsamen Tod hier keineswegs beendet war.

Woher nahmen sie, woher nahm Freya von Moltke, die heute aus Anlass ihres Todes mein Beispiel ist, woher nahm sie die Kraft zu diesem unerschrockenen, gemeinsamen Tragen des Auferlegten?

Ich meine, sie nahm sie (zumindest auch) aus tiefen Glaubensüberzeugungen – den eigenen und denen ihres Mannes. Helmuth James von Moltkes Briefe aus der Haft – im vergangenen Jahr von Günter Brakelmann herausgegeben – vermitteln davon einen Eindruck. Einfühlsam und seelsorglich bereitet Moltke – neben den ganz praktischen Ratschlägen zum Führen des Gutes in Kreisau – seine Frau auf eine Zeit „danach“ vor.

Im Dezember 1944 schreibt er seiner Frau aus der Haft in Tegel: „Jetzt will ich ganz definitiv nicht sterben, darüber ist gar kein Zweifel. ... Und trotzdem, mein Herz, muss ich jeden Augenblick bereit sein zu sterben, dieses Gefühl, dafür bereit zu sein und sich ohne Widerstand gegen Gott dareinzuschicken, wenn er es befiehlt, das muss ich mir erhalten.“

Und am 10. Januar 1945: „Darum kann ich nur eines sagen, mein liebes Herz: möge Gott Dir so gnädig sein wie mir, dann macht selbst der tote Ehewirt garnichts (sic!). Seine Allmacht vermag er eben auch zu demonstrieren, wenn du Eierkuchen für die Söhnchen machst oder Puschti beseitigst, obwohl es das hoffentlich nicht mehr gibt. Ich sollte wohl von Dir Abschied nehmen – ich vermag’s nicht; ich sollte wohl Deinen Alltag bedauern und betrauern – ich vermag’s nicht; ich sollte wohl der Lasten gedenken, die jetzt auf dich fallen – ich vermag’s nicht. Ich kann dir nur eines sagen: wenn du das Gefühl absoluter Geborgenheit erhältst, wenn der Herr es dir schenkt, was du ohne diese Zeit und ihren Abschluss nicht hättest, so hinterlasse ich Dir einen nicht konfiszierbaren Schatz, demgegenüber selbst mein Leben nicht wiegt. Diese Römer, diese armseligen Kreaturen von Schulze und Freisler und wie das Pack alle heißen mag: nicht ein Mal begreifen würden sie, wie wenig sie nehmen können!“

Für mich, liebe Gemeinde, spricht aus diesen Sätzen großes, unerschrockenes Vertrauen auf Gott. Es ist mir als sei es genau das selbe unerschrockene Vertrauen, das auch Jesus den Seinen zutraut und zumutet. Auch er bereitet die Seinen ja auf seinen Abschied, auf sein gewaltsames Ende vor. Wir haben daraus eben im Evangelium gehört: „Euer Herz erschrecke nicht; glaubt an Gott und glaubt an mich!“ (Joh 14,1) So steht es als Jahreslosung über diesem Jahr 2010. Der Evangelist Johannes baut diesen vorbeugenden Rat in den Beginn der sog. Abschiedsreden Jesu ein. Dieser Jesus weiß, dass er die Seinen sehr bald allein lassen muss, dass sie sehr bald ohne ihn auskommen müssen. Er ahnt, dass dies für die Seinen ein großer Schrecken sein wird – eine Schreckensnachricht, die zu verdauen fast an eine Überforderung grenzt. Deshalb geht es Jesus im Duktus des Johannesevangeliums geradezu seelsorglich an, schlägt den Seinen die unvermeidliche Schreckensnachricht nicht um die Ohren, warnt sie gewissermaßen vor: Achtung – seid gewappnet – es kommt Schlimmes auf euch zu – aber: ihr müsst euch davon nicht erschrecken lassen, es soll euch nicht verwirren! Ihr werdet merken: wenn ihr auf Gott und auf mich vertraut, dann werdet ihr auch diese Schrecken tragen und weitergehen können. Ihr werdet euer Leben in und mit dieser erschreckenden Wirklichkeit gestalten können. Denn das ist das Mittel gegen alle Schrecken – sogar gegen den bevorstehenden Verlust eines guten Freundes und Lehrers: glaubt an Gott – und glaubt an mich!

Bemerkenswert – immer wieder, finde ich: dieser Jesus redet die Schrecken nicht klein, anerkennt offenbar, dass das, was den Seinen da zugemutet wird, für ihre Lebenswirklichkeit schrecklich ist. Er mutet ihnen das zu und vertraut darauf, dass sie diese Zumutung ertragen können. Denn er weiß sie im Glauben an Gott gegründet. Im Vertrauen auf ihn, den Christus, gibt es für sie die Möglichkeit, diese Zumutung, sogar diesen Schrecken zu ertragen und zu bewältigen.

So, liebe Gemeinde, so höre ich den Ruf Jesu: Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! Und ich sehe gewissermaßen metaphorisch Michelangelos großes Schöpfungsbild aus der Sixtinischen Kapelle vor mir: Gott, der Schöpfer, streckt ADAM, dem Geschöpf, seinen Finger hin. Gott hält uns, Gottes Geschöpfen, die Hand hin, damit wir unsere Angst überwinden und in die Zukunft gehen können, selbst wenn wir wissen, dass sie nicht nur rosig sein wird. Gottes ausgestreckte Hand nimmt der Wirklichkeit die Schrecken nicht – aber sie kann uns in Stand setzen, ruhig zu atmen, gelassen einzutauchen und in einer Angst einflößenden Umgebung immer wieder zu tragen, was uns auferlegt ist.

Das sind kluge Sätze, schwierige Sätze, manchmal vielleicht sogar leere Sätze – wüsste ich nicht, dass es tatsächlich vielen von denen, derer wir hier gedenken und vielen ihrer Angehörigen so geschenkt war; dass Menschen das tatsächlich als ihr eigenes Erleben beschreiben:

- H.J. Moltke: schreibt von dem Gefühl absoluter Geborgenheit in Gott als einem nicht konfiszierbaren Schatz;

- D. Bonhoeffer dichtet: Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag;

- Alfred Delp schreibt – und wir werden es später singen: Lasst uns dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt;

- F. v. Moltke schreibt: Ich bin voller Hoffnung, dass wir gemeinsam das uns Auferlegte tragen können!

So also: vertrauensvoll und gut vorbereitet, so lässt sich offenbar tragen, was manchmal untragbar scheint. Dabei weiß ich auch, dass dieses Vertrauen sich nicht machen oder durch noch so viele gute Worte erzeugen oder gar verordnen lässt. Es bleibt wohl immer Geschenk: „wenn du das Gefühl absoluter Geborgenheit erhältst, wenn der Herr es dir schenkt, was du ohne diese Zeit und ihren Abschluss nicht hättest“ – schreibt Moltke. Es ist ein Geschenk, das ich annehmen und ergreifen, dass ich selber in die Hand nehmen kann und muss. Gut, dass ich das bei allen Zweifeln und Unsicherheiten immer wieder auch erlebe. Gut, dass uns auch heute immer wieder Menschen begegnen, die genau davon zu berichten wissen und das weiter tragen.

Zwei sind mir dazu beispielhaft eingefallen, die auch in ganz enger Verbindung zu diesem Ort und diesem Gottesdienst stehen: Sr. Gemma Hinricher, die Gründungspriorin des Karmel Regina Martyrum, deren 20. Todestag wir in zwei Wochen begehen – und Sr. Nicola Fischer, Mitschwester und Nachbarin im Karmel Regina Martyrum seit den ersten Tagen; uns allen hier als Leiterin der Schola in den Gottesdiensten gut in Erinnerung. Nachdem sie schon im vergangenen Jahr aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr dabei sein konnte, ist sie am Vorabend des Osterfestes in diesem Jahr gestorben. Wie viele andere auch, haben diese beiden in ganz unterschiedlicher Weise aber mit unerschrockener Art dazu beigetragen, dass wir hier Gottesdienst im Gedenken der Märtyrer von Plötzensee feiern und dass wir uns damit immer auch der unverbrüchlichen Zusage Gottes erinnern, aus allem, selbst aus dem Bösesten Gutes entstehen lassen zu wollen und uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft zu geben, wie wir brauchen – wie Dietrich Bonhoeffer es

formuliert hat.

Sr. Nicola, die den Ordensnamen „von der Menschwerdung“ trug, hat dies schon damit beständig für alle, die sie kannten, mit sich getragen. Sie ist so, wie viele andere, beständig Zeugin der Menschwerdung Gottes gewesen. Mit ihrem Gedenken und mit dem Gedenken der anderen heute beispielhaft Genannten werden wir immer auch die Erinnerung an Gottes Menschwerdung, das Vertrauen auf Gottes Begleitung in den tiefsten Schrecken unseres Lebens mit uns tragen – und die sehen ja manchmal noch ganz anders aus, als wir das hier an diesem Ort im Blick haben. Mag uns also dieses vorgelebte Vertrauen immer wieder Grund zu eigenem Vertrauen auf Gott werden. „Euer Herz erschrecke nicht; glaubt an Gott und glaubt an mich!“

Und am Ende noch einmal Helmuth James von Moltke aus seinem letzten Brief aus Tegel an Freya:

„Ich höre auf, denn es ist nichts weiter zu sagen. ... Alle unsere lieben Sprüche sind in meinem Herzen und in deinem Herzen. Ich aber sage Dir zum Schluss, kraft des Schatzes, der aus mir gesprochen hat und der dieses bescheidene irdene Gefäß erfüllt: Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen.

Amen. J.“

und Freya:

„Ich bin aber voller Hoffnung, dass wir gemeinsam das uns Auferlegte tragen können und müssen und dass diese Gemeinsamkeit immer, immer bleiben wird.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn.

Amen.






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20.07.2010
Dr. Axel Smend
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