Der Geist des deutschen Widerstandes bleibt unvergessen
Hermann Oxfort
Der Geist des deutschen Widerstandes bleibt unvergessen
Rede des Bürgermeisters von Berlin und Senators für Justiz, Hermann Oxfort, am 20. Juli 1975 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin
Vor einem Jahr haben wir hier in Berlin zur Erinnerung an die 30. Wiederkehr des 20. Juli 1944 die große zentrale Gedenkveranstaltung im Reichstag erlebt, die der Erinnerung an jene Frauen und Männer galt, welche durch ihr persönliches Engagement, durch ihren Mut zum Widerstand und durch den Einsatz ihres eigenen Lebens den deutschen Namen in der Welt zu reinigen versucht haben vom totalen Geruch der Diktatur.
Heute vor einem Jahr ist es jedoch nicht dabei geblieben, dass die Überlebenden des 20. Juli 1944, die Leidtragenden, die Offiziellen und die Interessierten an einer der Bedeutung dieses Tages angemessenen Feierstunde teilgenommen haben; vielmehr hat es sich ereignet, dass die Rede des Präsidenten des Bundesrates von jungen Leuten gestört worden ist, weil sie aus ihrer Sicht die Erinnerung an den deutschen Widerstand durch den Redner nicht glaubwürdig vertreten sahen.
Warum erinnere ich heute zu Beginn meiner Ansprache zur Feier des 31. Jahrestages des 20. Juli 1944 hieran? Keiner wird heute von mir erwarten, dass ich in diesem Zusammenhang mich über die Person des damaligen Redners auslasse oder dass ich mich zu den Beschuldigungen im Einzelnen äußere, die seinerzeit gegen ihn vorgebracht worden sind. Worum es mir geht, ist dies:
Unter den Protestierenden befanden sich Nachkommen von Männern und Frauen, die vor 31 Jahren zum Kreise derer gehörten, die wegen ihres Widerstandes gegen das nationalsozialistische Gewaltregime grausam verfolgt worden sind. Diejenigen, welche vor einem Jahr die große Festveranstaltung gestört haben, waren keine Berufsstörer, keine Utopisten, keine Ideologen. Junge Menschen haben vor einem Jahr protestiert, weil sie der Überzeugung waren und wohl auch sein dürften, dass die Feier der 30. Wiederkehr des 20. Juli 1944 ohne ihren Protest an Glaubwürdigkeit verloren hätte.
Ich erinnere mich daran, dass – wie hätte es anders sein können – die durch den Protest hervorgerufene Störung als unziemlich, verwerflich, ungehörig empfunden wurde. Und in der Tat kann ich nachempfinden, wie ein solcher Protest gerade jene Bürger hat treffen müssen, die sich zu einer Stunde der Besinnung aufgerufen fühlten.
Aber heute, aus der Distanz des vergangenen Jahres, frage ich doch, ob die Veranstaltung vor einem Jahr nicht in der Tat durch den glaubwürdigen Protest junger Menschen ihre eigentliche Bedeutung bekommen hat, ob nicht die Gerechtigkeit gebietet, festzustellen, dass die Erinnerung an den 20. Juli 1944 vor einem Jahr in unvollständiger Weise beschworen worden wäre, hätte der Protest junger Menschen nicht stattgefunden.
Es mag ungewöhnlich sein, auf diese, vielleicht missverständliche Weise namens des Senats von Berlin auf einer Gedenkveranstaltung zu Ehren des deutschen Widerstandes zu sprechen. Aber gerade der 20. Juli 1944 hat uns gelehrt, dass die eigentliche Bedeutung eines Vorganges nicht immer in den gleichmäßigen Bahnen regierungsamtlicher Planung verlaufen kann und verlaufen darf.
Seit jenem Tage, an den wir heute denken, ist vieles über den deutschen Widerstand gesagt worden, von Berufenen und von Unberufenen. Es ist nicht leicht, die geeigneten Worte zu finden, um das auszudrücken, was uns bewegt, ohne dabei in die Routine des Alltags zu geraten.
So will ich mich im Wesentlichen auf zwei Gesichtspunkte beschränken:
Was unsere Achtung vor dem Mut der Frauen und Männer des Widerstandes in besonders eindringlicher Weise verstärkt, ist die totale Ungewissheit über den Erfolg aller Aktionen. Welche Selbstüberwindung muss dazu gehört haben, gegen eine solche Diktatur anzutreten, ohne die Überzeugung des unmittelbaren Erfolges des Widerstandes haben zu können?
Wie sehr unterscheiden sich insoweit gerade diejenigen, die gegen Mord und Tyrannei eingetreten sind und gegen die Macht des totalen Staates, von der hinterhältigen Feigheit jener, die ‚zur Veränderung der Gesellschaft’ mit jeder Form von Kriminalität den rechtsstaatlich orientierten Beamten eines der Demokratie und der Humanität verpflichteten Staates entgegentreten! Gerade an diesem eigentlich nicht zulässigen Vergleich wird deutlich, welcher Gesinnungsunterschied zwischen dem Widerstand gegen das Unrecht und dem Terror gegen das Recht besteht.
Der 20. Juli 1944, der unter dem Gesichtspunkt seines konkreten Zieles gescheitert war, ist nicht erfolglos und nicht folgenlos geblieben. Dieser Tag hat dem deutschen Volk ein Stück seiner Selbstachtung wiedergegeben und je größer die zeitliche Distanz von jenem Tage des Widerstandes wird, umso größer wird seine Bedeutung, umso mehr begreifen die Menschen in unserem Volk, begreift die junge Generation das Vermächtnis jenes Tages. Wir haben versucht, dieses Vermächtnis durch die Errichtung eines stabilen demokratischen Rechtsstaates auf deutschem Boden einzulösen. Dies sage ich hier in Plötzensee, wo neben Deutschen auch viele Ausländer ihr Leben haben lassen müssen. In dieser Stunde der Erinnerung geloben wir, dass der Geist des deutschen Widerstandes unvergessen bleibt. Mit unserem Einsatz für die lebendige demokratische und rechtsstaatliche Ordnung statten wir jenen Dank ab, die aus Gründen des Widerstandes gegen das Unrecht für uns alle gestorben sind.
Der Geist des deutschen Widerstandes bleibt unvergessen
Rede des Bürgermeisters von Berlin und Senators für Justiz, Hermann Oxfort, am 20. Juli 1975 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin
Vor einem Jahr haben wir hier in Berlin zur Erinnerung an die 30. Wiederkehr des 20. Juli 1944 die große zentrale Gedenkveranstaltung im Reichstag erlebt, die der Erinnerung an jene Frauen und Männer galt, welche durch ihr persönliches Engagement, durch ihren Mut zum Widerstand und durch den Einsatz ihres eigenen Lebens den deutschen Namen in der Welt zu reinigen versucht haben vom totalen Geruch der Diktatur.
Heute vor einem Jahr ist es jedoch nicht dabei geblieben, dass die Überlebenden des 20. Juli 1944, die Leidtragenden, die Offiziellen und die Interessierten an einer der Bedeutung dieses Tages angemessenen Feierstunde teilgenommen haben; vielmehr hat es sich ereignet, dass die Rede des Präsidenten des Bundesrates von jungen Leuten gestört worden ist, weil sie aus ihrer Sicht die Erinnerung an den deutschen Widerstand durch den Redner nicht glaubwürdig vertreten sahen.
Warum erinnere ich heute zu Beginn meiner Ansprache zur Feier des 31. Jahrestages des 20. Juli 1944 hieran? Keiner wird heute von mir erwarten, dass ich in diesem Zusammenhang mich über die Person des damaligen Redners auslasse oder dass ich mich zu den Beschuldigungen im Einzelnen äußere, die seinerzeit gegen ihn vorgebracht worden sind. Worum es mir geht, ist dies:
Unter den Protestierenden befanden sich Nachkommen von Männern und Frauen, die vor 31 Jahren zum Kreise derer gehörten, die wegen ihres Widerstandes gegen das nationalsozialistische Gewaltregime grausam verfolgt worden sind. Diejenigen, welche vor einem Jahr die große Festveranstaltung gestört haben, waren keine Berufsstörer, keine Utopisten, keine Ideologen. Junge Menschen haben vor einem Jahr protestiert, weil sie der Überzeugung waren und wohl auch sein dürften, dass die Feier der 30. Wiederkehr des 20. Juli 1944 ohne ihren Protest an Glaubwürdigkeit verloren hätte.
Ich erinnere mich daran, dass – wie hätte es anders sein können – die durch den Protest hervorgerufene Störung als unziemlich, verwerflich, ungehörig empfunden wurde. Und in der Tat kann ich nachempfinden, wie ein solcher Protest gerade jene Bürger hat treffen müssen, die sich zu einer Stunde der Besinnung aufgerufen fühlten.
Aber heute, aus der Distanz des vergangenen Jahres, frage ich doch, ob die Veranstaltung vor einem Jahr nicht in der Tat durch den glaubwürdigen Protest junger Menschen ihre eigentliche Bedeutung bekommen hat, ob nicht die Gerechtigkeit gebietet, festzustellen, dass die Erinnerung an den 20. Juli 1944 vor einem Jahr in unvollständiger Weise beschworen worden wäre, hätte der Protest junger Menschen nicht stattgefunden.
Es mag ungewöhnlich sein, auf diese, vielleicht missverständliche Weise namens des Senats von Berlin auf einer Gedenkveranstaltung zu Ehren des deutschen Widerstandes zu sprechen. Aber gerade der 20. Juli 1944 hat uns gelehrt, dass die eigentliche Bedeutung eines Vorganges nicht immer in den gleichmäßigen Bahnen regierungsamtlicher Planung verlaufen kann und verlaufen darf.
Seit jenem Tage, an den wir heute denken, ist vieles über den deutschen Widerstand gesagt worden, von Berufenen und von Unberufenen. Es ist nicht leicht, die geeigneten Worte zu finden, um das auszudrücken, was uns bewegt, ohne dabei in die Routine des Alltags zu geraten.
So will ich mich im Wesentlichen auf zwei Gesichtspunkte beschränken:
Was unsere Achtung vor dem Mut der Frauen und Männer des Widerstandes in besonders eindringlicher Weise verstärkt, ist die totale Ungewissheit über den Erfolg aller Aktionen. Welche Selbstüberwindung muss dazu gehört haben, gegen eine solche Diktatur anzutreten, ohne die Überzeugung des unmittelbaren Erfolges des Widerstandes haben zu können?
Wie sehr unterscheiden sich insoweit gerade diejenigen, die gegen Mord und Tyrannei eingetreten sind und gegen die Macht des totalen Staates, von der hinterhältigen Feigheit jener, die ‚zur Veränderung der Gesellschaft’ mit jeder Form von Kriminalität den rechtsstaatlich orientierten Beamten eines der Demokratie und der Humanität verpflichteten Staates entgegentreten! Gerade an diesem eigentlich nicht zulässigen Vergleich wird deutlich, welcher Gesinnungsunterschied zwischen dem Widerstand gegen das Unrecht und dem Terror gegen das Recht besteht.
Der 20. Juli 1944, der unter dem Gesichtspunkt seines konkreten Zieles gescheitert war, ist nicht erfolglos und nicht folgenlos geblieben. Dieser Tag hat dem deutschen Volk ein Stück seiner Selbstachtung wiedergegeben und je größer die zeitliche Distanz von jenem Tage des Widerstandes wird, umso größer wird seine Bedeutung, umso mehr begreifen die Menschen in unserem Volk, begreift die junge Generation das Vermächtnis jenes Tages. Wir haben versucht, dieses Vermächtnis durch die Errichtung eines stabilen demokratischen Rechtsstaates auf deutschem Boden einzulösen. Dies sage ich hier in Plötzensee, wo neben Deutschen auch viele Ausländer ihr Leben haben lassen müssen. In dieser Stunde der Erinnerung geloben wir, dass der Geist des deutschen Widerstandes unvergessen bleibt. Mit unserem Einsatz für die lebendige demokratische und rechtsstaatliche Ordnung statten wir jenen Dank ab, die aus Gründen des Widerstandes gegen das Unrecht für uns alle gestorben sind.