Die Männer und Frauen des deutschen Widerstandes haben Zeichen gesetzt.

Egon Franke

Die Männer und Frauen des deutschen Widerstandes haben Zeichen gesetzt.

Ansprache des Bundesministers für Innerdeutsche Beziehungen Egon Franke bei der Gedenkstunde am 20. Juli 1972 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Alljährlich ehren wir die tapferen Deutschen, die um der Ehre und um des Wohles des Vaterlandes willen der Tyrannis entschieden Widerstand entgegensetzten und dafür hier an dieser Stelle ihr Leben brutal vernichtet wurden!

Die tapferen Deutschen, Frauen und Männer, wollten die Gewaltherrschaft stürzen. Sie wollten dem Wahnsinn des Krieges ein Ende machen. Sie wollten verhindern, dass der Tyrann Deutschland mit sich in den Abgrund reiße.

Und als ihre Absichten immer aussichtsloser wurden, da wollten sie schließlich nur noch dieses: Das Deutschland nach ihnen sollte trotz all seiner Schuld vor die Völker hintreten und sagen können: Auch aus unserer Mitte sind Männer und Frauen aufgestanden gegen Unrecht und Gewalt, haben das höchste Opfer nicht gescheut, um zu bezeugen, dass die braune Barbarei das Gefühl für Recht und Unrecht im deutschen Volk nicht zu ersticken vermochte. Dafür haben wir zu danken.

Die „Ehre des Vaterlandes“, wie diese Männer und Frauen sie auffassten, hatte nichts zu tun mit eitlem Ruhm oder politischen Träumen von Macht und Größe. Sie gingen der „Ehre“ auf den Grund und fanden dort, dass Gerechtigkeit, Anstand und Gesittung den eigentlichen Inhalt dieses Begriffes ausmachen. Eifernder Bedacht auf die moralische Integrität des Vaterlandes: Das war ihr Patriotismus, darin zeigten sie ihre Liebe zum Vaterland und damit wiesen sie den Weg, der aus der nationalistischen Verirrung herausführt.

Viele derer, die hier in Plötzensee ihren Henker fanden, mussten innerlich einen weiten Weg zurücklegen, bis sie die Hand gegen den Diktator erhoben, dem sie als Soldaten Treue geschworen hatten. Tradition und Erziehung machten es ihnen schwer, sich mitten im Krieg gegen den Inhaber der Staatsgewalt zu kehren – schwerer als uns anderen, die wir aus anderen Traditionen kamen. Umso mehr gebietet es die Gerechtigkeit, die persönliche moralische Leistung dieser Menschen zu würdigen. Sie mussten sich als Einzelne freikämpfen aus überkommenen Vorstellungen und Denkgewohnheiten.

„Pflichtgefühl“ und „Treue“ (diese ihnen geläufigen Tugenden) mussten sie ihres formalen Sinnes entkleiden und auf die konkrete Situation, auf die eigene Einsicht in das Erforderliche anwenden. So fanden sie – aus Pflichtgefühl und Treue – zu jener hohen Tugend der „Civilcourage“, über die Dietrich Bonhoeffer so eindringlich aus der Haft heraus geschrieben hat.

Über jede Kritik hinaus – ob erfolgreich oder nicht – ehren wir im „20. Juli“ vor allem die enorme moralische Qualität des Ereignisses, das seine Würde und sein Vermächtnis ausmacht.

Die Männer und Frauen des deutschen Widerstandes haben Zeichen gesetzt, an denen wir uns aufrichten sollten und die für die nachwachsenden Generationen unseres Volkes Beispiel moralischer Kraft und Stärke sein sollten.

Entlassen wir das Geschehen des 20. Juli 1944 nicht aus unserem Bewusstsein. Die Opfer sind uns Verpflichtung! Zeigen und beweisen wir so unseren Dank und unsere Ehrerbietung.







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20.07.1972
 Rolf Schwedler
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