Die Nähe des Todes
Eberhard Bethge
Die Nähe des Todes
Predigt von Prof. Dr. Eberhard Bethge DD am 20. Juli 1980 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin
Drei Stimmen dringen heute Morgen auf uns ein; geliebte und ungeliebte, laute und leise Stimmen.
Die erste Stimme ist die Sprache dieses Raumes; sie ist unheimlich, hart und aufdringlich. Manch einer von uns erträgt sie nicht und bleibt weg. Nur widerstrebend treten wir hier ein. Nein, nicht die Nähe dieses Todes! Er darf nicht sein.
Aber eben weil es nicht sein darf, darum kommen wir Jahr um Jahr wieder; darum setzen wir uns der grausamen Sprache dieser Lokalität aus, um gemeinsam zu widersprechen, wenn sie uns wehrlos machen will.
Wir ändern nichts an der Realität dieses Schuppens. Wir lassen stehen, dass neues Leben einen solchen Tod kosten kann und für uns gekostet hat. Die Antwort auf seine Sprache aber ist unser Zorn. Ein Zorn, der diesem Raume nicht das letzte Wort überlässt. Ein Zorn, der mit dem Gottesdienst die Rede des bösen Todes in ein Bekenntnis zum Leben verwandelt. Wir feiern das Gegenteil dessen, was dieser Raum sagt. Im Zorn, dass solche Räume unter uns ihr hartes Nein über das Leben sprachen und sprechen, bekennen wir hier das Ja Gottes über seine Kinder.
Die zweite Stimme kommt leiser zu uns. Sie kommt vom Chor der Männer und Frauen, derer wir uns hier jetzt erinnern. Sie hat es schwer, sich hörbar zu machen. Noch vorletzte Woche schrieb Rolf Hochhuth in der „ZEIT“ (Besprechung über Klaus-Jürgen Müller: „Armee, Politik und Gesellschaft in Deutschland 1933-1945“): „jene hohen Militärs, die dann im Kampf gegen Hitler ihr Leben ließen, scheinen ausnahmslos ... ausnahmslos keine moralischen Beweggründe gehabt zu haben gegen Hitler vorzugehen“. Welch eine Simplifikation, – allerdings medienwirksam! Welch Unverständnis mindestens im Blick auf die Ambivalenzen der Situation und erst recht im Blick auf die Gebrochenheit der Betroffenen!
Ich lasse eine Stimme aus dem Chor der Unseren sprechen, die von Hans-Bernd von Haeften. In manchen Ohren mag sie orthodox klingen und vordergründig nicht den subjektiven Bewusstseinsstand jenes ganzen Chores repräsentieren; aber sie bezeugt authentisch besiegelte Wahrheit, und in der einen oder anderen Form haben sie alle ihr Wesen besiegelt. So lesen wir:
Hans Bernd von Haeften am 15. August 1944 vor seiner Hinrichtung an seine Frau:
„... in wenigen Stunden werde ich in Gottes Hände fallen. So will ich Abschied von dir nehmen ...
Denke in der Erziehung auch an Musik (Gesang!), an Bildende Kunst, ans wandern in schöner Natur ...
Lass die Kinder viel auswendig lernen an Bibeltexten und Liedern, damit sie es einmal in der Not im Herzen tragen. Es kommen Zeiten des Zweifels und der Entfernung, aber das Leben wird die Kinder zu dem festen Grunde zurückbringen, wenn er ... gelegt ist. Christus est via, veritas et vita.
... in diesen Haftwochen habe ich Gottes Gericht stillgehalten und meine ‚unerkannte Missetat’ erkannt und vor ihm bekannt. ‚Gottes Gebote halten und Liebe üben und demütig sein vor Deinem Gott’ das ist die Regel, gegen die ich verstoßen habe ...
... ich sterbe in der Gewissheit göttlicher Vergebung, Gnade und ewigen Heils; und in der gläubigen Zuversicht, dass Gott all das Unheil, Schmerz, Kummer, Not und Verlassenheit, das ich über Euch gebracht habe und das mir das Herz abpresst, aus seinen unermesslichen Erbarmen in Segen wandeln kann ...
wir haben eine Ewigkeit vor uns, um uns Liebe zu erweisen. Dieser Gedanke sei Dir ein Trost in der Trübsal ... Ich bin gewiss – sei Du es auch – dass wir beide mit allen unseren Lieben wieder vereinigt werden in Gottes unaussprechlichem Frieden (der vollkommenste Ruhe und zugleich seligste Bewegung in göttlichem Dienst ist), in der Anbetung und unmittelbaren Erfahrung göttlicher Liebe, in der wunderbaren Geborgenheit in des Heilands Gnade und Güte, in der erlösten Seligkeit der Gotteskindschaft. Auch schon auf Erden gehörst Du zum Leibe Christi, dessen Gliedschaft aufs innigste erfahren wird im Sakrament des Altars, in der Gegenwart des Herrn, der alle die Seinigen – sie mögen vor oder hinter der großen Verwandlung stehen – auf wunderbare Weise zusammenschließt.
... Mein letzter Gedanke ... wird sein, dass ich Euch, meine Lieben, des Heilands Gnade und meinen Geist in seine Hände befehle. So will ich glaubensfroh sterben.
... So grüße ich Euch, meine Liebsten, mit dem alten Grußwort ‚Freuet euch in dem Herrn allewege und abermals sage ich: freuet euch! Und der Friede Gottes bewahre eure Herzen und Sinne in Christo.“
(Barbara von Haeften „Aus unseren Leben 1944-1950“, Privatdruck Tutzing, 2. Aufl. 1980, Seite 47-49)
„Unheil ... in Segen verwandeln“ – das ist das Stichwort dieser zweiten Stimme. Damit spricht die in freier Verantwortlichkeit mit dem Tod vermählte Stimme das Wort vom Leben und von der Würde der Geschöpfe Gottes, und zwar klarer und überlegener als je vorher. Diese Stimme weiß um alle Gebrochenheit, um Verleugnen und Bekennen, um Versagen und Gelingen, um Schuld und Erneuerung. Aber nun trägt sie das Siegel der Endgültigkeit, unzerstörbarer Wahrheit. Nun ist „Unheil in Segen verwandelt“.
Nicht ganz! Nicht ganz, wenn wir diese Stimme nicht hören und nicht rezipieren. Wenn wir ihr heute nicht folgen in dem, wo sie Nein und wo sie Ja sagt. Die Verantwortungsbereiche von heute mögen die Gestalt unserer notwendigen Nein und Ja verändern. Aber es wird wie damals ebenso um geschändete Schöpfung und um beleidigte Geschöpfe Gottes gehen. Es wird wie damals darum gehen, dass wir durch alle Gebrochenheit unserer Kämpfe und Opfer nicht zynisch werden, sondern ebenso glauben, dass wahrhaftig „Unheil in Segen“ gewandelt wird.
Die Antwort auf diese zweite Stimme beginnt bei uns mit einer Reaktion des Stolzes, eines erwärmenden Stolzes mitten in diesem kalten Raum. „Stolz“ ist eigentlich keine biblisch positiv verwendete Vokabel. Ich möchte sie für diesen Augenblick dennoch beanspruchen. So sehr wir haben lernen müssen, empfindlich auf Denk- und Handlungsmuster elitärer Privilegien zu reagieren, so wenig sollen wir uns unserer Teilhabe an und Einbindung in das Geheimnis rauben lassen, das Geheimnis der Wandlung aus Unheil in Segen, der Wandlung aus solchem Tod in erneutes Leben. Damit befinden wir uns am Herzstück christlicher Überlieferung. Damit erfüllen wir den Sinn christlicher Sakramentsfeier mitten in diesem Schuppen der vergangenen Gegenmächte.
Zur Stimme des verfluchten Todes und unserer Reaktion des Zornes und zur Stimme des gesegneten Todes und unserer Reaktion des Stolzes – gesellt sich nun die dritte aus der kirchlichen Liturgie: die Lesung des Psalms 107. Er gehört zur Woche des heutigen 7. Sonntags nach Trinitatis (nach evangelischer Zählung und Ordnung).
Mit immer stärkerer Erregung las ich diesen Psalm, als ich die Texte für diesen Sonntag musterte, auf den in diesem Jahr der Gedenktag zum 20. Juli fällt. Seine Strophen zwischen hymnischen Responsorien vibrieren noch von tödlichen Widerfahrnissen, von Untreue und Hass, von Schwäche und Vernichtung: Erduldete und verschuldete Leiden der Gerechten verwandeln sich in Danklieder.
Sie überwinden diese Welt und tun doch keinen Schritt der Flucht aus dieser Welt heraus. Schiffbruch und Rettung, Zorn und Stolz, dass das Zerbrechen nicht der Weisheit letzter Schluss bleibt.
So erhebt diese dritte Stimme unsere punktuelle Erfahrung in die Erfahrung von Fluch und Segen der Jahrtausende. Sie entlastet unsere Reaktionen. Sie lehrt uns einstimmen in das trotzige und selige Lob der Zeugen aller Zeiten wider den Tod und für das Leben Gottes. Der Abendmahlsgang an dieser Stelle schwört uns von neuem ein auf das Geheimnis der Fülle des Lebens im geopferten Leib Christi, Christus betete selber auch diesen Psalm.
So lassen wir uns von diesem Psalm werben und stimmen ein:
Danket dem Herrn, denn er ist freundlich – und seine Güte währet ewiglich,
So sollen sagen, die erlöst sind durch den Herrn – die er aus der Not erlöst hat
und die er aus den Ländern zusammengebracht hat – vom Aufgang, vom Niedergang,
von Mitternacht und vom Meer,
Die irregingen in der Wüste, in ungebahntem Wege – und fanden keine Stadt, da sie wohnen konnten,
hungrig und durstig – und ihre Seele verschmachtete;
die zum Herrn riefen in ihrer Not, – und er errettete sie aus ihren Ängsten
und führte sie einen richtigen Weg, – dass sie gingen zur Stadt, da sie wohnen konnten:
die sollen dem Herrn danken für seine Güte – und für seine Wunder, die er an den Menschenkindern tut, dass er sättigt die durstige Seele – und füllt die hungrige Seele mit Gutem.
Die da sitzen mussten in Finsternis und Dunkel, – gefangen im Zwang und Eisen,
die da zum Herrn riefen in ihrer Not, – und er half ihnen aus ihren Ängsten
und führte sie aus Finsternis und Dunkel – und zerriss ihre Bande:
die sollen dem Herrn danken für seine Güte und Wunder, – die er an den Menschenkindern tut,
dass er zerbricht eherne Türen – und zerschlägt eiserne Riegel.
Wenn sie gen Himmel fuhren und in den Abgrund fuhren, – dass ihre Seele vor Angst verzagte,
dass sie taumelten und wankten wie ein Trunkener – und wussten keinen Rat mehr;
die zum Herrn schrieen in ihrer Not, – und er führte sie aus ihren Ängsten
und stillte das Ungewitter, – dass die Wellen sich legten
und sie froh wurden, dass es still geworden war – und er sie zu Lande brachte nach ihrem Wunsch:
die sollen dem Herrn danken für seine Güte und für seine Wunder, – die er an den Menschenkindern tut, und ihn bei der Gemeinde preisen – und bei den Alten rühmen.
Sie waren niedergedrückt und geschwächt von dem Bösen, – das sie gezwungen und gedrungen hatte.
Er aber schüttete Verachtung auf die Fürsten – und ließ sie irren in der Wüste, da kein Weg ist,
und schützte den Armen vor Elend – und mehrte sein Geschlecht wie eine Herde.
Solches werden die Frommen sehen und sich freuen; – und aller Bosheit wird das Maul gestopft werden.
Wer ist weise und behält dies? – So werden sie merken, wie viel Wohltaten der Herr zeigt.
Danket dem Herrn; denn er ist freundlich – und seine Güte währet ewiglich.
(Psalm 107)
Die Nähe des Todes
Predigt von Prof. Dr. Eberhard Bethge DD am 20. Juli 1980 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin
Drei Stimmen dringen heute Morgen auf uns ein; geliebte und ungeliebte, laute und leise Stimmen.
Die erste Stimme ist die Sprache dieses Raumes; sie ist unheimlich, hart und aufdringlich. Manch einer von uns erträgt sie nicht und bleibt weg. Nur widerstrebend treten wir hier ein. Nein, nicht die Nähe dieses Todes! Er darf nicht sein.
Aber eben weil es nicht sein darf, darum kommen wir Jahr um Jahr wieder; darum setzen wir uns der grausamen Sprache dieser Lokalität aus, um gemeinsam zu widersprechen, wenn sie uns wehrlos machen will.
Wir ändern nichts an der Realität dieses Schuppens. Wir lassen stehen, dass neues Leben einen solchen Tod kosten kann und für uns gekostet hat. Die Antwort auf seine Sprache aber ist unser Zorn. Ein Zorn, der diesem Raume nicht das letzte Wort überlässt. Ein Zorn, der mit dem Gottesdienst die Rede des bösen Todes in ein Bekenntnis zum Leben verwandelt. Wir feiern das Gegenteil dessen, was dieser Raum sagt. Im Zorn, dass solche Räume unter uns ihr hartes Nein über das Leben sprachen und sprechen, bekennen wir hier das Ja Gottes über seine Kinder.
Die zweite Stimme kommt leiser zu uns. Sie kommt vom Chor der Männer und Frauen, derer wir uns hier jetzt erinnern. Sie hat es schwer, sich hörbar zu machen. Noch vorletzte Woche schrieb Rolf Hochhuth in der „ZEIT“ (Besprechung über Klaus-Jürgen Müller: „Armee, Politik und Gesellschaft in Deutschland 1933-1945“): „jene hohen Militärs, die dann im Kampf gegen Hitler ihr Leben ließen, scheinen ausnahmslos ... ausnahmslos keine moralischen Beweggründe gehabt zu haben gegen Hitler vorzugehen“. Welch eine Simplifikation, – allerdings medienwirksam! Welch Unverständnis mindestens im Blick auf die Ambivalenzen der Situation und erst recht im Blick auf die Gebrochenheit der Betroffenen!
Ich lasse eine Stimme aus dem Chor der Unseren sprechen, die von Hans-Bernd von Haeften. In manchen Ohren mag sie orthodox klingen und vordergründig nicht den subjektiven Bewusstseinsstand jenes ganzen Chores repräsentieren; aber sie bezeugt authentisch besiegelte Wahrheit, und in der einen oder anderen Form haben sie alle ihr Wesen besiegelt. So lesen wir:
Hans Bernd von Haeften am 15. August 1944 vor seiner Hinrichtung an seine Frau:
„... in wenigen Stunden werde ich in Gottes Hände fallen. So will ich Abschied von dir nehmen ...
Denke in der Erziehung auch an Musik (Gesang!), an Bildende Kunst, ans wandern in schöner Natur ...
Lass die Kinder viel auswendig lernen an Bibeltexten und Liedern, damit sie es einmal in der Not im Herzen tragen. Es kommen Zeiten des Zweifels und der Entfernung, aber das Leben wird die Kinder zu dem festen Grunde zurückbringen, wenn er ... gelegt ist. Christus est via, veritas et vita.
... in diesen Haftwochen habe ich Gottes Gericht stillgehalten und meine ‚unerkannte Missetat’ erkannt und vor ihm bekannt. ‚Gottes Gebote halten und Liebe üben und demütig sein vor Deinem Gott’ das ist die Regel, gegen die ich verstoßen habe ...
... ich sterbe in der Gewissheit göttlicher Vergebung, Gnade und ewigen Heils; und in der gläubigen Zuversicht, dass Gott all das Unheil, Schmerz, Kummer, Not und Verlassenheit, das ich über Euch gebracht habe und das mir das Herz abpresst, aus seinen unermesslichen Erbarmen in Segen wandeln kann ...
wir haben eine Ewigkeit vor uns, um uns Liebe zu erweisen. Dieser Gedanke sei Dir ein Trost in der Trübsal ... Ich bin gewiss – sei Du es auch – dass wir beide mit allen unseren Lieben wieder vereinigt werden in Gottes unaussprechlichem Frieden (der vollkommenste Ruhe und zugleich seligste Bewegung in göttlichem Dienst ist), in der Anbetung und unmittelbaren Erfahrung göttlicher Liebe, in der wunderbaren Geborgenheit in des Heilands Gnade und Güte, in der erlösten Seligkeit der Gotteskindschaft. Auch schon auf Erden gehörst Du zum Leibe Christi, dessen Gliedschaft aufs innigste erfahren wird im Sakrament des Altars, in der Gegenwart des Herrn, der alle die Seinigen – sie mögen vor oder hinter der großen Verwandlung stehen – auf wunderbare Weise zusammenschließt.
... Mein letzter Gedanke ... wird sein, dass ich Euch, meine Lieben, des Heilands Gnade und meinen Geist in seine Hände befehle. So will ich glaubensfroh sterben.
... So grüße ich Euch, meine Liebsten, mit dem alten Grußwort ‚Freuet euch in dem Herrn allewege und abermals sage ich: freuet euch! Und der Friede Gottes bewahre eure Herzen und Sinne in Christo.“
(Barbara von Haeften „Aus unseren Leben 1944-1950“, Privatdruck Tutzing, 2. Aufl. 1980, Seite 47-49)
„Unheil ... in Segen verwandeln“ – das ist das Stichwort dieser zweiten Stimme. Damit spricht die in freier Verantwortlichkeit mit dem Tod vermählte Stimme das Wort vom Leben und von der Würde der Geschöpfe Gottes, und zwar klarer und überlegener als je vorher. Diese Stimme weiß um alle Gebrochenheit, um Verleugnen und Bekennen, um Versagen und Gelingen, um Schuld und Erneuerung. Aber nun trägt sie das Siegel der Endgültigkeit, unzerstörbarer Wahrheit. Nun ist „Unheil in Segen verwandelt“.
Nicht ganz! Nicht ganz, wenn wir diese Stimme nicht hören und nicht rezipieren. Wenn wir ihr heute nicht folgen in dem, wo sie Nein und wo sie Ja sagt. Die Verantwortungsbereiche von heute mögen die Gestalt unserer notwendigen Nein und Ja verändern. Aber es wird wie damals ebenso um geschändete Schöpfung und um beleidigte Geschöpfe Gottes gehen. Es wird wie damals darum gehen, dass wir durch alle Gebrochenheit unserer Kämpfe und Opfer nicht zynisch werden, sondern ebenso glauben, dass wahrhaftig „Unheil in Segen“ gewandelt wird.
Die Antwort auf diese zweite Stimme beginnt bei uns mit einer Reaktion des Stolzes, eines erwärmenden Stolzes mitten in diesem kalten Raum. „Stolz“ ist eigentlich keine biblisch positiv verwendete Vokabel. Ich möchte sie für diesen Augenblick dennoch beanspruchen. So sehr wir haben lernen müssen, empfindlich auf Denk- und Handlungsmuster elitärer Privilegien zu reagieren, so wenig sollen wir uns unserer Teilhabe an und Einbindung in das Geheimnis rauben lassen, das Geheimnis der Wandlung aus Unheil in Segen, der Wandlung aus solchem Tod in erneutes Leben. Damit befinden wir uns am Herzstück christlicher Überlieferung. Damit erfüllen wir den Sinn christlicher Sakramentsfeier mitten in diesem Schuppen der vergangenen Gegenmächte.
Zur Stimme des verfluchten Todes und unserer Reaktion des Zornes und zur Stimme des gesegneten Todes und unserer Reaktion des Stolzes – gesellt sich nun die dritte aus der kirchlichen Liturgie: die Lesung des Psalms 107. Er gehört zur Woche des heutigen 7. Sonntags nach Trinitatis (nach evangelischer Zählung und Ordnung).
Mit immer stärkerer Erregung las ich diesen Psalm, als ich die Texte für diesen Sonntag musterte, auf den in diesem Jahr der Gedenktag zum 20. Juli fällt. Seine Strophen zwischen hymnischen Responsorien vibrieren noch von tödlichen Widerfahrnissen, von Untreue und Hass, von Schwäche und Vernichtung: Erduldete und verschuldete Leiden der Gerechten verwandeln sich in Danklieder.
Sie überwinden diese Welt und tun doch keinen Schritt der Flucht aus dieser Welt heraus. Schiffbruch und Rettung, Zorn und Stolz, dass das Zerbrechen nicht der Weisheit letzter Schluss bleibt.
So erhebt diese dritte Stimme unsere punktuelle Erfahrung in die Erfahrung von Fluch und Segen der Jahrtausende. Sie entlastet unsere Reaktionen. Sie lehrt uns einstimmen in das trotzige und selige Lob der Zeugen aller Zeiten wider den Tod und für das Leben Gottes. Der Abendmahlsgang an dieser Stelle schwört uns von neuem ein auf das Geheimnis der Fülle des Lebens im geopferten Leib Christi, Christus betete selber auch diesen Psalm.
So lassen wir uns von diesem Psalm werben und stimmen ein:
Danket dem Herrn, denn er ist freundlich – und seine Güte währet ewiglich,
So sollen sagen, die erlöst sind durch den Herrn – die er aus der Not erlöst hat
und die er aus den Ländern zusammengebracht hat – vom Aufgang, vom Niedergang,
von Mitternacht und vom Meer,
Die irregingen in der Wüste, in ungebahntem Wege – und fanden keine Stadt, da sie wohnen konnten,
hungrig und durstig – und ihre Seele verschmachtete;
die zum Herrn riefen in ihrer Not, – und er errettete sie aus ihren Ängsten
und führte sie einen richtigen Weg, – dass sie gingen zur Stadt, da sie wohnen konnten:
die sollen dem Herrn danken für seine Güte – und für seine Wunder, die er an den Menschenkindern tut, dass er sättigt die durstige Seele – und füllt die hungrige Seele mit Gutem.
Die da sitzen mussten in Finsternis und Dunkel, – gefangen im Zwang und Eisen,
die da zum Herrn riefen in ihrer Not, – und er half ihnen aus ihren Ängsten
und führte sie aus Finsternis und Dunkel – und zerriss ihre Bande:
die sollen dem Herrn danken für seine Güte und Wunder, – die er an den Menschenkindern tut,
dass er zerbricht eherne Türen – und zerschlägt eiserne Riegel.
Wenn sie gen Himmel fuhren und in den Abgrund fuhren, – dass ihre Seele vor Angst verzagte,
dass sie taumelten und wankten wie ein Trunkener – und wussten keinen Rat mehr;
die zum Herrn schrieen in ihrer Not, – und er führte sie aus ihren Ängsten
und stillte das Ungewitter, – dass die Wellen sich legten
und sie froh wurden, dass es still geworden war – und er sie zu Lande brachte nach ihrem Wunsch:
die sollen dem Herrn danken für seine Güte und für seine Wunder, – die er an den Menschenkindern tut, und ihn bei der Gemeinde preisen – und bei den Alten rühmen.
Sie waren niedergedrückt und geschwächt von dem Bösen, – das sie gezwungen und gedrungen hatte.
Er aber schüttete Verachtung auf die Fürsten – und ließ sie irren in der Wüste, da kein Weg ist,
und schützte den Armen vor Elend – und mehrte sein Geschlecht wie eine Herde.
Solches werden die Frommen sehen und sich freuen; – und aller Bosheit wird das Maul gestopft werden.
Wer ist weise und behält dies? – So werden sie merken, wie viel Wohltaten der Herr zeigt.
Danket dem Herrn; denn er ist freundlich – und seine Güte währet ewiglich.
(Psalm 107)