Ein 30. Jahrestag ist genug Anlass zur Besinnung.
Odilo Braun
Ein 30. Jahrestag ist genug Anlass zur Besinnung.
Predigt von Pater Odilo Braun am 20. Juli 1974 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin
Meine Freunde,
Claus von Stauffenbergs letzte Worte waren ein Gruß und das Bekenntnis seines Glaubens an das „Heilige Deutschland“. Ein Wort, das eigenartig klingt, aus dem Munde eines verhältnismäßig noch jungen Offiziers. Wie kam Stauffenberg zu dem Wort vom Heiligen Deutschland?
Ihm war gegeben ein heller, klarer Blick, der ihn nicht nur die Geschehnisse, sondern auch die Zusammenhänge, die Beziehungen von Ursache und Wirkung sehen ließ. Ihm war gegeben ein lauterer Charakter, er konnte sich an allem Guten und Edlen begeistern, aber auch mit Ekel sich abgestoßen fühlen von allem Bösen, Gemeinen und Ehrlosen.
Meine Freunde, Recht und Gerechtigkeit können nur gemessen werden am Heiligen Gott, der in Seiner Eigenschaft der Gerechtigkeit die letzte und endgültige Norm von Gerechtigkeit ist.
Wahrheit und Wahrhaftigkeit können nur gemessen werden am Heiligen Gott, der in einer Eigenschaft der Wahrheit die letzte und höchste Instanz jeder Wahrheit ist. Sie hat ihr Fundament in der ewigen göttlichen Realität, von der alles erschaffene Sein seine Wirklichkeit und damit seine Übereinstimmung mit der Wahrheit hat.
Die Göttliche Liebe, in der ein unendlicher Gott sich zu Seinem Geschöpf herablässt, hebt den Menschen hinein in das göttliche Leben und gibt ihm die Möglichkeit, Gottes Gerechtigkeit und Wahrheit so zu erfassen, dass er sein Leben für sich selbst und für seine Mitmenschen nach diesen göttlichen Eigenschaften gestaltet, als gottähnlicher Mensch, als Ebenbild Gottes.
Wenn im Menschen das Ebenbild Gottes bedroht und gefährdet ist, dann muss der Wille, muss der Mut und muss die starke Bereitschaft zu Kampf und Widerstand erstehen. Wie war es damals? Das Recht wurde seines göttlichen Ursprungs entkleidet und verhöhnt. Ihm wurde die rohe Gewalt und Brutalität entgegengestellt. Leistung und Fähigkeit des Menschen wurden bedeutungslos und wirkungslos, wenn man vor dem, der über ein wenig mehr Gewalt verfügte, nicht zu Kreuze kroch. Wer aufzubegehren wagte, der wurde mit seiner ganzen Sippe der Armut preisgegeben, oder er wurde durch ein heuchlerisches Tribunal im Namen des deutschen Volkes vom Leben zum Tode befördert.
Der Gewalt, der Verletzung des Rechts, dem schlimmsten und grausigsten Unrecht muss die Lüge auf dem Fuße folgen. Der Ermordete erhält, wenn das praktikabel erscheint, ein Staatsbegräbnis und man bringt rote Rosen zur Ehrung dessen, den man aus dem Wege geräumt hat. Die Verleumdung und Ächtung dessen, der noch zu denken und kritische Fragen zu stellen wagt, wird immer selbstverständlicher. Das Gewissen ist abgeschafft, es wird durch das Parteibuch und die Mitgliedsnummer ersetzt. Sie spielt eine entscheidende Rolle da, wo es bei normalen Menschen um Liebe und Hilfsbereitschaft geht, Liebe und Hilfsbereitschaft, die vom Geber alles Guten ihren Ursprung haben, werden ins Gegenteil verkehrt. Sie werden zu einer Organisation, die Gebende und Empfangende nur noch tiefer in die schreckliche Gewalt des verlogenen Moloch zwingt. Der Mensch wird gezwungen, die Faust zu küssen, die drohend erhoben den unfrei gewordenen Menschen dazu bringt, sich selbst zu belügen. Das ist die schlimmste Schändung des Menschen, der so seiner Würde der Gottes-Ebenbildlichkeit beraubt wird. Hier war die Grenze des Erträglichen erreicht. Hier musste der Widerstand aufbrechen. Claus von Stauffenberg hat damals für uns alle die Parole ausgegeben: „Es lebe das Heilige Deutschland!”
Meine Freunde, mancher unserer Gefährten und Freunde, die Stauffenberg im Tode gefolgt sind, hatten vorher noch eine lange, schwere Lebensstrecke zu durchmessen. Zu aller Schmach und Qual, die man ihnen zufügte, ist bei manchem noch die zermürbende Frage aufgestanden: Wird unser Opfer womöglich umsonst sein?
Heute vor 30 Jahren hat das alles seinen Anfang genommen. 30 Jahre, ein Menschenalter, das uns ermöglichen sollte, an die Beantwortung dieser Frage uns heranzuwagen. Wo und wie oft begegnen wir in unserem Alltagsleben dem Heiligen? Begegnen wir nicht täglich Ereignissen und Menschen, die eine erschreckende Parallelität bedeuten zu dem Geschehen, das uns allen so schwer zu schaffen machte, das die so schweren und bitteren Opfer von uns gefordert hat. Befinden wir uns nicht auf dem unheiligen Wege, wenn wir bewusst und frei gewollt um den Ewigen Gott und Seinen Heiligen Willen uns nicht kümmern. Des Allmächtigen und Allweisen Gebote können und dürfen nicht das Votum eines Parlaments unterworfen sein.
Wie steht es um das Ringen und Streben nach der Vollkommenheit, von der der Herr sagt, dass wir sie besitzen müssen, wie der Himmlische Vater sie hat? Steht diesem Streben nicht unser tägliches Versagen im Wege: Die kleinen Nichtigkeiten und Zwistigkeiten, das anmaßende Urteil über Denken und Tun des anderen, das Aufgeben von Grundsätzen, das dann zu leicht dazu führt, eine verlogene Staatsräson zu verkünden.
Ein 30. Jahrestag ist genug Anlass zur Besinnung. Meine Freunde, wir sind heute an unserer Weihestätte Tischgäste des Herrn, der sich selbst uns als das Brot des Lebens reicht. Wie Er heute mit uns, so war Er am Gründonnerstag im Abendmahlssaal mit Seinen Jüngern zusammen. Da speiste er sie und gab den Auftrag, als Seine Apostel die frohe Botschaft zu verkünden. Dann ging Er hinaus, um Sein Erlösungswerk zu beginnen, ein Heiliges Volk zu schaffen. Er wollte es sich nicht leicht machen, darum ließ Er die ganze furchtbare Todesangst und -not über sich herfallen. Von dieser Angst und Not getrieben ging Er zu Seinen Jüngern, den drei nächsten, die Er mitgenommen hatte, in den Garten der Todesangst. Er kam zu ihnen und fand sie schlafend.
Auch heute geht Er von hier hinaus. Wieder, wie damals und immer, will Er Heiland und Erlöser sein, gehen wir mit Ihm ? Und wenn Er kommt, um uns zur Mitarbeit zu rufen... Herr, steh Du uns bei. Hilf uns, dass Du uns nicht schlafend findest. Wir haben es ja erfahren: Wenn die Bekenner schlafen, dann müssen Märtyrer an ihre Stelle treten.
Deutschland wird ein Heiliges Deutschland sein, oder es wird nicht sein.
Amen.
Ein 30. Jahrestag ist genug Anlass zur Besinnung.
Predigt von Pater Odilo Braun am 20. Juli 1974 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin
Meine Freunde,
Claus von Stauffenbergs letzte Worte waren ein Gruß und das Bekenntnis seines Glaubens an das „Heilige Deutschland“. Ein Wort, das eigenartig klingt, aus dem Munde eines verhältnismäßig noch jungen Offiziers. Wie kam Stauffenberg zu dem Wort vom Heiligen Deutschland?
Ihm war gegeben ein heller, klarer Blick, der ihn nicht nur die Geschehnisse, sondern auch die Zusammenhänge, die Beziehungen von Ursache und Wirkung sehen ließ. Ihm war gegeben ein lauterer Charakter, er konnte sich an allem Guten und Edlen begeistern, aber auch mit Ekel sich abgestoßen fühlen von allem Bösen, Gemeinen und Ehrlosen.
Meine Freunde, Recht und Gerechtigkeit können nur gemessen werden am Heiligen Gott, der in Seiner Eigenschaft der Gerechtigkeit die letzte und endgültige Norm von Gerechtigkeit ist.
Wahrheit und Wahrhaftigkeit können nur gemessen werden am Heiligen Gott, der in einer Eigenschaft der Wahrheit die letzte und höchste Instanz jeder Wahrheit ist. Sie hat ihr Fundament in der ewigen göttlichen Realität, von der alles erschaffene Sein seine Wirklichkeit und damit seine Übereinstimmung mit der Wahrheit hat.
Die Göttliche Liebe, in der ein unendlicher Gott sich zu Seinem Geschöpf herablässt, hebt den Menschen hinein in das göttliche Leben und gibt ihm die Möglichkeit, Gottes Gerechtigkeit und Wahrheit so zu erfassen, dass er sein Leben für sich selbst und für seine Mitmenschen nach diesen göttlichen Eigenschaften gestaltet, als gottähnlicher Mensch, als Ebenbild Gottes.
Wenn im Menschen das Ebenbild Gottes bedroht und gefährdet ist, dann muss der Wille, muss der Mut und muss die starke Bereitschaft zu Kampf und Widerstand erstehen. Wie war es damals? Das Recht wurde seines göttlichen Ursprungs entkleidet und verhöhnt. Ihm wurde die rohe Gewalt und Brutalität entgegengestellt. Leistung und Fähigkeit des Menschen wurden bedeutungslos und wirkungslos, wenn man vor dem, der über ein wenig mehr Gewalt verfügte, nicht zu Kreuze kroch. Wer aufzubegehren wagte, der wurde mit seiner ganzen Sippe der Armut preisgegeben, oder er wurde durch ein heuchlerisches Tribunal im Namen des deutschen Volkes vom Leben zum Tode befördert.
Der Gewalt, der Verletzung des Rechts, dem schlimmsten und grausigsten Unrecht muss die Lüge auf dem Fuße folgen. Der Ermordete erhält, wenn das praktikabel erscheint, ein Staatsbegräbnis und man bringt rote Rosen zur Ehrung dessen, den man aus dem Wege geräumt hat. Die Verleumdung und Ächtung dessen, der noch zu denken und kritische Fragen zu stellen wagt, wird immer selbstverständlicher. Das Gewissen ist abgeschafft, es wird durch das Parteibuch und die Mitgliedsnummer ersetzt. Sie spielt eine entscheidende Rolle da, wo es bei normalen Menschen um Liebe und Hilfsbereitschaft geht, Liebe und Hilfsbereitschaft, die vom Geber alles Guten ihren Ursprung haben, werden ins Gegenteil verkehrt. Sie werden zu einer Organisation, die Gebende und Empfangende nur noch tiefer in die schreckliche Gewalt des verlogenen Moloch zwingt. Der Mensch wird gezwungen, die Faust zu küssen, die drohend erhoben den unfrei gewordenen Menschen dazu bringt, sich selbst zu belügen. Das ist die schlimmste Schändung des Menschen, der so seiner Würde der Gottes-Ebenbildlichkeit beraubt wird. Hier war die Grenze des Erträglichen erreicht. Hier musste der Widerstand aufbrechen. Claus von Stauffenberg hat damals für uns alle die Parole ausgegeben: „Es lebe das Heilige Deutschland!”
Meine Freunde, mancher unserer Gefährten und Freunde, die Stauffenberg im Tode gefolgt sind, hatten vorher noch eine lange, schwere Lebensstrecke zu durchmessen. Zu aller Schmach und Qual, die man ihnen zufügte, ist bei manchem noch die zermürbende Frage aufgestanden: Wird unser Opfer womöglich umsonst sein?
Heute vor 30 Jahren hat das alles seinen Anfang genommen. 30 Jahre, ein Menschenalter, das uns ermöglichen sollte, an die Beantwortung dieser Frage uns heranzuwagen. Wo und wie oft begegnen wir in unserem Alltagsleben dem Heiligen? Begegnen wir nicht täglich Ereignissen und Menschen, die eine erschreckende Parallelität bedeuten zu dem Geschehen, das uns allen so schwer zu schaffen machte, das die so schweren und bitteren Opfer von uns gefordert hat. Befinden wir uns nicht auf dem unheiligen Wege, wenn wir bewusst und frei gewollt um den Ewigen Gott und Seinen Heiligen Willen uns nicht kümmern. Des Allmächtigen und Allweisen Gebote können und dürfen nicht das Votum eines Parlaments unterworfen sein.
Wie steht es um das Ringen und Streben nach der Vollkommenheit, von der der Herr sagt, dass wir sie besitzen müssen, wie der Himmlische Vater sie hat? Steht diesem Streben nicht unser tägliches Versagen im Wege: Die kleinen Nichtigkeiten und Zwistigkeiten, das anmaßende Urteil über Denken und Tun des anderen, das Aufgeben von Grundsätzen, das dann zu leicht dazu führt, eine verlogene Staatsräson zu verkünden.
Ein 30. Jahrestag ist genug Anlass zur Besinnung. Meine Freunde, wir sind heute an unserer Weihestätte Tischgäste des Herrn, der sich selbst uns als das Brot des Lebens reicht. Wie Er heute mit uns, so war Er am Gründonnerstag im Abendmahlssaal mit Seinen Jüngern zusammen. Da speiste er sie und gab den Auftrag, als Seine Apostel die frohe Botschaft zu verkünden. Dann ging Er hinaus, um Sein Erlösungswerk zu beginnen, ein Heiliges Volk zu schaffen. Er wollte es sich nicht leicht machen, darum ließ Er die ganze furchtbare Todesangst und -not über sich herfallen. Von dieser Angst und Not getrieben ging Er zu Seinen Jüngern, den drei nächsten, die Er mitgenommen hatte, in den Garten der Todesangst. Er kam zu ihnen und fand sie schlafend.
Auch heute geht Er von hier hinaus. Wieder, wie damals und immer, will Er Heiland und Erlöser sein, gehen wir mit Ihm ? Und wenn Er kommt, um uns zur Mitarbeit zu rufen... Herr, steh Du uns bei. Hilf uns, dass Du uns nicht schlafend findest. Wir haben es ja erfahren: Wenn die Bekenner schlafen, dann müssen Märtyrer an ihre Stelle treten.
Deutschland wird ein Heiliges Deutschland sein, oder es wird nicht sein.
Amen.