Ein Bestandteil unserer Geschichte

Hans-Jochen Vogel

Ein Bestandteil unserer Geschichte

Begrüßungsansprache des Oberbürgermeisters von München Dr. Hans-Jochen Vogel am 21. Juli 1969 in der Ehemaligen Residenz, München

Wie schon in früheren Jahren hat die Landeshauptstadt München Sie auch in diesem Jahr gemeinsam mit der Ludwig-Maximilian-Universität, der Technischen Hochschule, der Akademie für Politische Bildung, dem Bayerischen Jugendring und der Standortkommandantur München eingeladen, der Wiederkehr des 20. Juli 1944 zu gedenken, jenes Tages also, der sich gestern zum 25. Male gejährt hat. Sie haben dieser Einladung Folge geleistet und ich darf Sie deshalb im Namen aller Veranstalter willkommen heißen.

Ferner begrüße ich die beiden Vortragenden des heutigen Abends, Herrn Brigadegeneral Oster, Rom, der den Ereignissen des 20. Juli in besonderer Weise verbunden ist und Herrn Professor Dr. Bracher, Bonn, und danke ihnen, dass sie sich als Referenten zur Verfügung gestellt haben.

Der 20. Juli 1944 ist ein Bestandteil unserer Geschichte, ein Bestandteil, der aus dem Strom der Ereignisse herausragt. Nicht deshalb, weil an diesem Tage Deutsche gegen Hitler und sein Gewaltregime Widerstand geleistet und dafür ihr Leben geopfert haben. Das ist vor und nach dem 20. Juli 1944 geschehen und wir würden den vielen, die in den Gefängnissen, den Zuchthäusern und den Konzentrationslagern des Dritten Reiches einsam und oft sogar namenlos starben, Unrecht tun, wenn wir das übersehen würden. Das Besondere am 20. Juli 1944 ist vielmehr, dass die Protestbewegung des inneren Widerstands an diesem Tage aus ihrer heimlichen Existenz heraustrat und vor aller Welt sichtbar wurde. Und das Besondere ist auch, dass sich zur Erhebung des 20. Juli Deutsche aller Berufe, aller politischen Richtungen und aller Konfessionen zusammengefunden haben.

Die Motive, aus denen sie das taten, waren vielschichtig und mannigfaltig. Eines aber einigte sie: die Überzeugung nämlich, dass ein Staat, der der Gerechtigkeit entbehrt, einer Räuberbande gleicht und dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt sondern der Freiheit, der Güte und der Achtung bedarf.

Dem Verzweiflungsschritt der Männer vom 20. Juli 1944 ist der äußere Erfolg versagt geblieben. Er endete für die meisten in einem grausamen Tod. Dennoch war ihre Tat nicht umsonst. Denn sie wirkt weiter als eine Forderung an uns Lebende, als eine dringende Mahnung, es nie wieder zu einem Gewaltregime in unserem Lande kommen zu lassen und als eine Mahnung, die Grundsätze der Gerechtigkeit, der Menschenwürde und der Freiheit nicht erst in extremen Situationen sondern hier und jetzt in unserem Alltag zu praktizieren.

Eine Mahnung, die übrigens wohl auch Gustav Heinemann im Auge hatte, als er am Tage seiner Einführung in das Amt des Bundespräsidenten in seiner großen Rede sagte: „Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu bewähren habe, wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den Schulbänken unterwiesen wurde, sondern heute ist der Friede der Ernstfall, in dem wir uns alle zu bewähren haben. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehr.“

Diese Mahnung gilt auch für uns hier in München. Und ich freue mich, dass schon seit Jahren Institutionen wie die Akademie für Politische Bildung, die Landeshauptstadt, der Landesjugendring, die Universität, die Bundeswehr und die Technische Hochschule zusammenwirken, um diese Mahnung jeweils am 20. Juli zu bekräftigen und zu erneuern. Die Institutionen, die ich genannt habe, beweisen damit, dass sie nicht nur vordergründige Ziele verfolgen, dass sie die Grundwerte unserer Verfassung nicht nur darstellen, erläutern und der etwaigen Sanktionen wegen beachten sondern sich ihnen innerlich verbunden fühlen. Den Verantwortlichen dieser Institutionen dafür zu danken ist mir ein Bedürfnis; dass unser gemeinsames Streben Erfolg haben und auch durch den heutigen Abend gefördert werden möge, mein Wunsch und meine Hoffnung.







Weitere Reden

21.07.1969
Achim Oster