Widerstand im totalitären Staat

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Achim Oster

Widerstand im totalitären Staat

Gedenkansprache des stellvertretender Kommandeurs am Nato-Defence-College in Rom Brigadegeneral Achim Oster am 21. Juli 1969 in der Ehemaligen Residenz, München

Wir stehen alle unter dem Eindruck der ersten Landung von Menschen auf dem Mond - ein Ereignis, das die Vorstellungskraft auch des einfachsten Erdenbürgers mit Zwang zur dritten Dimension führt. Kann es in einem solchen Augenblick, in dem die Menschheit im wahrsten Sinne des Wortes „nach den Sternen“ greift, von Bedeutung sein, eines Tages zu gedenken, dessen „Countdown“ in einer tragischen Katastrophe endete und für die rettende Entwicklung im eigenen Volke keine Sternstunde wurde?

Um es nun ganz deutlich zu machen: Wen interessiert heute nach 25 Jahren noch all das, was mit dem Aufstandsversuch vom 20. Juli 1944 zusammenhängt?

Die politisch Verantwortlichen in unserem Lande, die von den täglichen Problemen erdrückt werden? Die Erzieher und Bildner unserer jungen Generation, die Forscher und Historiker? Oder nur etwa die verhältnismäßig geringe Anzahl von Menschen, die gleiche Gesinnung und Freundschaft mit den Toten verbindet, die Hinterbliebenen? Ist also das Gedenken an den 20. Juli beschränkt auf eine wehmütige Erinnerungsfeier der Familien und Freunde, um ihre Toten zu ehren?

Um auch das klar zu sagen: Die Toten bedürfen der äußeren Ehrung nicht. Die Mehrzahl von ihnen ist in Erfüllung einer sich selbst gestellten Verpflichtung gefallen. Ihre höchste Ehre liegt in ihrem Opfer für die Gesamtheit. Davon kann niemand etwas nehmen und auch nichts hinzutun. Sie haben ihren festen Platz in unserer Geschichte.

Aber wen muss dies Geschehen, muss die Erinnerung an den 20. Juli 1944 denn wirklich noch interessieren in unserem Lande? Ist es nicht müßig, immer wieder über einen missglückten Putsch zu sprechen, der darüber hinaus noch im Geruch des Verrates gegen das Staatsoberhaupt - Hitler hin oder her - steht? Und der in seinen Weiterungen die Verletzung der Paragraphen über Landesverrat, die auch in unserem Recht heute Gültigkeit haben, impliziert? Haben wir nicht gerade im Augenblick alle Hände voll zu tun - jeder an dem Platze, wo er Verantwortung trägt oder sich zur Verantwortung gerufen fühlt - eine unruhige, oft übergärende Jugend zu verstehen und in Schranken zu halten? Müssen wir da wirklich das Gedenken an eine andere Rebellion - die noch dazu mitten in einem uns von der Umwelt mehr oder weniger aufgezwungenen Kriege stattfand – wach halten und damit immer wieder neuen Konfliktstoff in die so mühsam gewonnene bürgerliche Ruhe bringen?

Ich könnte diese bösen Überlegungen, die nicht in den Wolken hängen, fortsetzen. Ich möchte aber eine Frage dagegenstellen: Ist da etwa in der Tiefe eine Verbindung zwischen dem Ungeklärten in unserer Beziehung zur unbewältigten Vergangenheit, auch dem Nichtverstehen und Nichtsehenwollen, das ich in den eben gestellten Fragen zu skizzieren suchte – und all den unbeantworteten Fragen, die eine ungeduldige und an ein neues Licht drängende Generation im Zeitalter der Landung auf dem Mond und der Freimachung nuklearer Kräfte stellt?

Die Beantwortung dieser Frage fordert Offenheit um der Wahrheit willen und kein Herumreden und Beschönigen. Aber dann kann sie vielleicht zum besseren Verstehen und zur Befriedung unserer Gemeinschaft beitragen. Deshalb glaube ich, dass es wohl Wert ist, an diesem Gedenktag den Schritt anzuhalten, um auch in der Unrast unserer Tage jener Unrast vor einem Vierteljahrhundert zu gedenken, die Menschen bewegte und trieb, sich all dem mit Macht entgegenzustemmen, dessen Folgen wir noch heute - täglich auf Schritt und Tritt - zu spüren haben.

So will ich versuchen die Vorbehalte aufzuzeigen, die heute dem Widerstand gegenüber bestehen - und warum sie bestehen.

Dann soll uns ein Rückblick auf das auch im Täglichen außerordentliche Geschehen im Dritten Reich den Blick öffnen für das zwangsläufige Entstehen von Widerstand im totalitären Staat und sein Wirksamwerden.

Und zum Abschluss lassen Sie mich zu ein paar Feststellungen kommen, was von der Wirkung und dem Wollen der Männer des Widerstandes im Dritten Reich für uns heute geblieben ist.

Es ist nicht zu leugnen, dass bei einigen unserer Landsleute noch immer ein Vorhang herunter geht oder aber dass sie verschreckt und nervös aufhorchen, wenn es zu einem Gespräch über den Widerstand gegen Adolf Hitler und sein Regime kommt. Menschen, die es den Segnungen unseres freiheitlichen Staates danken, dass sie wieder eine feste und sichere Basis gefunden haben, befällt dabei eine merkwürdige Scheu, weil ihre eigene Vergangenheit vielerorts mit der „Großen Epoche“ verbunden war.

Anderen, in den strengen Bindungen des Obrigkeitsstaates aufgewachsen, ist und bleibt es ein Ärgernis, dass ein offensichtlicher Verrat die Rettung des Vaterlandes bringen sollte. Und ganz oft ist Unverständnis und Unwissen vorherrschend gegenüber der Tatsache, dass nach dem Zusammenbruch 1945 Vertrauen und erste Kontakte zu Deutschen bzw. zur Bundesrepublik von außerhalb auf dem Wissen um den Widerstand gegen Hitler fußten.

Für viele bedeutet auch eine Anerkennung des Widerstandes die Verleugnung all der Ideale, denen sie in ihrer Jugend gläubigen Herzens gefolgt sind und für die sie in fünf langen Kriegsjahren geblutet haben. Denn an einem müssen wir auch nach dem Stande der neuesten Forschung festhalten: Dieser Krieg war Adolf Hitlers Krieg - aber die Soldaten mussten ihn führen.

Und somit sind wir bei dem Berufsstand, für den die Verquickung mit dem nationalsozialistischen Regime die paradoxesten Wirkungen gezeitigt hat: Nicht nur in Pflichterfüllung sondern auch mit Begeisterung hat der deutsche Soldat in Hitlers Kriegen gekämpft - aber aus seinen Reihen kam schon im Frieden und dann vor allem im Kriege der ernsteste Widerstand, der schließlich zum 20. Juli führte.

Gerade bei einem Teil der älteren Soldaten ist dieser Zwiespalt, diese contradictio in se, die das Ethos des Kriegsmannes schwer zu treffen scheint, ein Berg, der auch heute noch kaum zu überschreiten ist. Es wäre falsch, darum herumzureden. Ich weiß, dass viele ernsthaft über diese Fragen nachgedacht haben und nun, nach vielen Jahren, zu einer Anerkennung der reinen Motive, die die Soldaten im Widerstand bewegt haben, gekommen sind. Zur Anerkennung des Widerstandes selbst kann sie vielleicht der Verstand, nicht ihr Herz führen.

Für manchen ist das auch heute noch eine irreparable Situation.

Diese Feststellung ist notwendig, um zu erklären, warum die junge Generation, die Adolf Hitlers Zeit nicht mehr erlebt hat, so oft - und mit Recht! - klagt, dass wir Älteren in der Unterrichtung über das, was im Dritten Reich geschah, nicht erschöpfend - und oft auch nicht aufrichtig sind.

Ich meine, es wäre ein guter Sinn gerade für diesen 25. Gedenktag, mit großer Freiheit und Offenheit über das Vergangene zu sprechen.

Und wir sollten dankbar sein, wenn Vertreter aus der jungen Generation überhaupt nach dem damaligen Geschehen fragen. Wir sollten uns bemühen, Rede und Antwort zu stehen und dabei helfen, falsche Perspektiven zu vermeiden.

Der Ablauf des Geschehens am 20. Juli 1944 selbst ist erforscht und weithin bekannt. Aber auch über Hintergrund und Vorgeschichte, vor allem über die Bemühungen zur Erhaltung des Friedens in den Jahren 1939 und 1940 sind so ins Einzelne gehende Untersuchungen jetzt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, dass ich nur auf sie verweisen will.

Mir liegt heute daran, einen Abriss darüber zu geben, was nun eigentlich im totalitären Staat zum Widerstand herausfordern musste.

Die Beweggründe scheinen mir hierbei wichtiger als Daten. Und von da führt der Weg zu den Konfliktsituationen, in die der Normalbürger, der sich Augen, Ohren und Verstand wach gehalten hatte, sich gestellt sah. Wie konnte oder wie musste er sich den Tatsachen, die die Machthaber geschaffen hatten, gegenüber verhalten?

Da steht am Anfang jener historische Betrug von Potsdam am 21. März 1933, wo ein nach einem Leben in der Pflicht müde gewordener Greis und das bürgerliche Deutschland bis weit in die liberale Mitte hinein eingekauft werden von einem Rattenfänger, der weder etwas von Preußen noch von wirklicher Tradition wissen will, sondern von einem infernalischen Hass gegen beide besessen ist. Der General Beck scheidet von dieser Feier mit dem Gefühl, eine große Unehrlichkeit erlebt zu haben.

Da folgt am 30. Juni 1934 jener organisierte Mord an eigenen Kumpanen, aber auch an vielen Landsleuten, die kein anderes Verbrechen begangen haben, als „dagegen“ zu sein.

Da wird in der Folge ein ganzer Bevölkerungsteil enteignet, ausgebürgert, zusammengetrieben und ermordet.

Da wird alle Moral im Volke selbst durch ein unnatürliches Spitzelsystem untergraben, der Sohn gegen den Vater, der Student gegen den Professor, die Eltern gegen die Kinder in Sold genommen und die Grundlage jeglichen Vertrauens zerstört.

Da kommt es zu einer Abwertung aller historischen, philosophischen, wissenschaftlichen Begriffe zum alleinigen Nutzen einer usurpierten Staatsmacht - Begriffen, die unser Land einst geachtet gemacht hatten in der Welt.

Da kommt es zu einem fanatischen Kampf gegen alle religiösen Einrichtungen, die damals im Volke wurzelten.

Da werden gegen jeden Rechtsanspruch Länder und Territorien okkupiert und dem eigenen Herrschaftsbereich eingegliedert und diejenigen, die dem Rechtsbruch widersprechen, eingekerkert oder erschossen.

Und da steht am Ende dieser Hybris der Krieg - als der für die Machthaber einzige Ausweg aus einer ausweglos gewordenen Politik -, ein Krieg, der nicht auf unser Land zukam, sondern dessen Unausweichbarkeit der Diktator selbst in seinem Buch Jahre vorher genau beschrieben hat. Wenige Deutsche leider hatten das damals gelesen; manche den Inhalt auch nicht begriffen.

Warum eine Aufzählung dieser heute zum Überdruss bekannten Tatsachen, die nur aufwühlen, aber nicht befrieden?

Weil von hier sich die Frage stellt: Was musste sich eigentlich in diesem deutschen Vaterlande alles ereignen, um dem Bürger dieses Landes, dem Arbeiter und dem Soldaten die Augen zu öffnen über das, was vorging? Waren diese Ereignisse so eingebettet in eine schmackhaft gemachte Propaganda oder aber ... kamen diese Usurpationen weitgehend dem Zeitgefühl, dem Zeitbedürfnis der Masse unseres Volkes entgegen? Es ist in dieser Verbindung das böse Wort vom „Hitler in uns“ gefallen. Und dieser außerordentlich schwerwiegende, gefährliche Vorwurf ist nicht mit dem lauten Zuruf, das eigene Nest nicht zu beschmutzen, zu beantworten, sondern nur durch den ehrlichen Willen, nach den tieferen Gründen zu forschen.

Es wird dem wohl entgegengehalten, dass Hintergründe und Ablauf dieser „geschichtlichen Ereignisse“ für den einfachen Bürger zu ihrer Zeit nicht als das zu erkennen waren, als was wir sie jetzt - nach den leidvollen Erfahrungen und dem totalen Zusammenbruch - sehen müssen. Das mag für manche zutreffen; und ich will hier nicht die vielen von Hause aus demokratisch und rechtlich eingestellten Landsleute anklagen, die schließlich unter dem Druck des Terrors ihren Frieden mit dem Regime machten. Die kämpferische Linke scheidet hier von der Beurteilung aus; sie war mit eindeutigen Mitteln mundtot oder tot gemacht worden.

Ich möchte hier vielmehr versuchen, an einigen wenigen Beispielen zu zeigen, wie das Wissen um das Unrecht, in vielen Fällen um das Verbrechen, ja um den Mord, unmittelbar den Volksgenossen anfiel; wie er sich der Tatsache, dass dies alles wirklich geschah, kaum entziehen konnte.

Da verschwindet von heute auf morgen der beliebte und geachtete Pfarrer aus der Gemeinde, und die Kirchgänger erinnern sich, dass er am letzten Sonntage gegen Willkür und Rechtsbruch als einer Sünde gegen Gottes Gebote gepredigt hatte - und jeder unter der Kanzel hatte verstanden, dass er damit die Erschießungen am 30. Juni 1934 gemeint hatte.

Da erleben die Arbeiter eines großen Werkes, dass der langjährige Sekretär ihrer Gewerkschaft, dessen Rechtlichkeit und fürsorgliche Arbeit für sie immer außer Zweifel gestanden hatte, am hellen Tage aus seiner Wohnung ohne richterlichen Haftbefehl abgeholt wird von rüden Burschen, die einer Partei-Armee angehören, und auf Nimmerwiedersehen verschwindet.

Da wird in dem kleinen Landstädtchen der bei reich und arm gleich geachtete und beliebte Landarzt bei Nacht abgeholt und nie mehr gesehen - nach Monaten erreicht die Familie die Nachricht, dass er auf einem Transport verstorben sei.

Da wird der jüdische Hausgenosse in der Wohnung nebenan, den man seit zehn und mehr Jahren täglich trifft und mit ihm wohl auch ein paar Worte wechselt, mit seiner Familie gezwungen, einen gelben Stern als Makelmal zu tragen. Man weiß, dass es sich um einen bekannten Musiker handelt, dass er mit Politik nichts zu tun hat - und sich im Ersten Weltkrieg als Soldat ausgezeichnet hatte.

Da wird der in der geistigen Welt führende Gelehrte gezwungen, seinen Lehrstuhl aufzugeben - und nur ein paar getreue Hörer haben den Mut, auf den Bahnsteig zu gehen, als er mit seiner Familie Deutschland - sein Vaterland - verlassen muss.

Da verschwindet ein beliebter und hoffnungsvoller Schauspieler von der Bühne - und man erfährt, dass er mit Frau und Kind seinem Leben ein Ende gesetzt hat.

Da wird der als Fachmann anerkannte Landwirt in das Gefängnis der Kreisstadt eingesperrt und wird nach einiger Zeit, blau und krumm geschlagen, wieder entlassen mit der Auflage, sich nicht mehr in seinem Heimatkreis aufzuhalten. Es wird ihm bei Androhung der Todesstrafe verboten, über das bei den „Vernehmungen“ Erlebte zu sprechen.

Und ich denke hier auch an die große Anzahl von harten politischen Gegnern des Regimes, die Kommunisten, deren Praktiken im eigenen gelobten Land sich nur wenig von denen der Nationalsozialisten unterschieden, die jahrelang ohne Rechtsspruch in Lagern unter grauenhaften Verhältnissen gefangen gehalten und nur wenige von ihnen bei Kriegsende befreit wurden - deutsche Landsleute auch sie.

Hat sich das wirklich alles in Deutschland ereignet unter den Augen von Landsleuten, die dazu geschwiegen haben - schweigen mussten?

Die Gerechtigkeit erfordert, gerade an diesem Gedenktage der vielen deutschen Männer und Frauen zu gedenken, die still und ohne Aufsehen, jeder an seinem bescheidenen Platze und mit seinen bescheidenen Mitteln und seinem ganzen Mute geholfen haben, das Los der Bedrohten zu erleichtern. Da gibt es den adligen Gutsherrn, der den kommunistischen Arbeiter jahrelang verborgengehalten, da gibt es die Familie in der Großstadt, wo der Vater PG war, die den jüdischen Mitbürger bis zum Kriegsende mit Essen in seinem Versteck versorgt hat. Da gibt es den Bataillonskommandeur, der den jüdisch versippten Soldaten zum Unteroffizier gemacht und bis Kriegsende durchgehalten hat.

Aber das kann alles nicht darüber hinwegtäuschen, dass im totalitären Staat selbst bei Erkennen der absoluten Rechtswidrigkeit und dem Terror der Einzelne machtlos bleibt, wenn die Machtmittel brutal und rücksichtslos Anwendung finden. Und auch wer Gesundheit, Stellung, Familie - und auch das Leben - riskiert, hat kaum eine Aussicht, Entscheidendes zu ändern.

Warum dann diese Aufzählung von Ereignissen, die doch eine Selbstanklage gegen jeden von uns sind, selbst in einer Zeit, in der der Gummiknüppel und die Pistole locker und die Angst vor der Gestapo mit der Aussicht auf Ravensbrück und Dachau, auf Mauthausen und Oranienburg uns im Nacken saßen?

Weil von eben dieser Erkenntnis, so meine ich, auch der Weg zur Anerkennung derjenigen führen sollte, die es im Laufe der 12 Jahre des Tausendjährigen Reiches - damals zumeist gegen das, was man „Volksgefühl“ und „gesundes Rechtsempfinden“ nannte, unternommen hatten, einen Ausweg für unser Volk aus dieser immer verzweifelter werdenden Entwicklung - vor dem Kriege und dann im Kriege - zu suchen.

Diese Suche nach einem Ausweg war am Anfang keineswegs bestimmt von der Überlegung, Hitler und seine Gesellen zu ermorden. Die Geschichte des deutschen Widerstandes, die für manche am 30. Januar 1933 beginnt, kennt zahlreiche Beispiele, wo beherzte, sich unabhängig fühlende Männer aus Politik, Wirtschaft - und aus dem Soldatenstand - versucht haben, den Diktator mit der ganzen Kraft ihres Wissens und ihrer Überzeugung von Entwicklungen und Entschlüssen abzuhalten, die ihrer Meinung nach ins Unglück führen mussten. Und auch hier gebietet die Gerechtigkeit, zu sagen, dass manch alter Parteigenosse Adolf Hitlers darunter war - und später dafür mit seinem Leben bezahlt hat.

Welcher Art war nun diese Opposition, die sich in der Folge in Deutschland zusammenfand, als es immer klarer wurde, dass eine Umstimmung der Machthaber selbst ohne jede Aussicht auf Erfolg blieb - und dass der Krieg vor der Türe stand?

Erfahrene, erprobte Beamte und Gewerkschafter, Bürger und Arbeiter sind die ersten Elemente, die sich zusammentun. Im Wilhelminischen Reich, aber auch in der Weimarer Republik, standen sie noch in verschiedenen Lagern. Die Sorge um die Not des Landes hat sie unter Hitler zusammen denken lassen, wie der Staat zu retten sei. Ihnen gesellen sich Vertreter der Kirchen, des Adels und namhafte Wissenschaftler zu. Sie alle halten Umschau, ob nicht ein Machtmittel des Staates selbst für eine Befreiung vom Usurpator zu gewinnen ist. Das lenkt die Hoffnung derer, die zum Letzten entschlossen sind, zwangsläufig auf die Soldaten.

Es liegt in unserer geschichtlichen Entwicklung begründet, dass die Armee dem Gedanken einer Rebellion gegen das Staatsoberhaupt fern steht. Die Loyalität ist aus der monarchischen Tradition nicht nur im Reich, sondern vor allem in den Ländern zu erklären.

Aber gerade Soldaten in leitender Stellung, die am stärksten in der monarchischen Tradition wurzelten, sind die ersten, die bereit sind, ihre Hand zur Opposition zu reichen, um mit aller Macht den Frieden zu erhalten. Es ist dramatisch, den verzweifelten Kampf des Generalstabschefs und seiner Gehilfen um den Frieden zu verfolgen. Erst als alle Möglichkeiten erschöpft sind und Gott Mars die Stunde regiert, wird das Attentat geplant.

Wir wissen, dass den Männern, die den Aufstand des Gewissens planten und durchführten, der Erfolg versagt blieb. Über diese Frage ist viel geschrieben und noch mehr diskutiert worden. Eins ist sicher: Das Nichtgelingen gab dem Diktator die Möglichkeit, das Land, das unsere Väter mit Fleiß und Arbeit aufgebaut und gepflegt hatten, der wirklich totalen Zerstörung - und vor allem der Teilung zuzuführen.

Aber gerade weil diesem Widerstand gegen Hitler der Erfolg versagt blieb, ist im Nachhinein die Frage nach der Berechtigung von Widerstand im totalitären Staat überhaupt gestellt worden. Es ist damit heute auch mancherorts die Frage des Widerstandleistens gegen die Staatsgewalt im Allgemeinen aufgeworfen worden.

So scheint es mir gut, hier jetzt die Kriterien festzulegen, nach denen die Widerstandskämpfer im Dritten Reich sich nach Prüfung ihres Gewissens für den gefährlichen Weg entschlossen, der für sie am Galgen endete.

Ich meine, sie hatten die Regierung an ihren Handlungen als verbrecherisch erkannt und wussten, dass das Regime sich außerhalb seiner eigenen und der international gültigen Gesetze und Verträge gestellt hatte.

Sie hatten erkannt, dass es in ihrem Lande keine freie Meinungsäußerung gab und alle Opposition mundtot gemacht war.

Und sie waren - und das ist ein Wesentliches - bereit zum letzten persönlichen Opfer, um ihrem Lande Freiheit und Würde wiederzugeben.

Es ist gut, sich hieran zu erinnern, wenn in unseren Tagen und in unserem freiheitlichen Staatswesen zuweilen der Wunsch nach Reformen unter Berufung auf die Geschwister Scholl und den Grafen Stauffenberg laut werden.

Es ist ebenso gut daran zu erinnern, dass gerade die junge Generation allen Grund hat stolz zu sein, einem Volke anzugehören, aus dem diese Widerstandskämpfer aufgestanden sind gegen Terror und Gewalt.

Wir sind allergisch geworden gegen große Worte, weil diese uns in der nahen Vergangenheit zu viel gekostet haben.

Aber wenn irgendwo ein bescheidenes patriotisches Gefühl in unserem geteilten Vaterland wieder aufkommt, dann darf gesagt werden, dass die Männer des 20. Juli 1944 und alle im Widerstand Umgekommenen dem ganzen Deutschland gehören.

Was bleibt nun von dem, was von den Männern und Frauen im Widerstand im Dritten Reich gedacht und gewollt wurde für uns heute?

Das Deutschland, dem sie ein neues Gesicht und eine neue Form geben wollten, existiert nicht mehr. Die Aufteilung des Vaterlandes in mehrere Regionen mit unterschiedlichen Graden von Freiheit und Selbstständigkeit, dessen Ende in unserer Zeit nicht abzusehen ist, ist für jeden von uns die schwerste Belastung, die wir aus dem Konkurs des Dritten Reiches mit uns tragen.

Überlebende aus dem aktiven Widerstand sind nach dem Zusammenbruch nicht müde geworden - zu einer Zeit, da noch nicht viele Deutsche wieder angehört wurden - denen, die nun über unser Land zu bestimmen hatten, die Widersinnigkeit dieser Teilung deutlich zu machen. Der spätere Minister Jacob Kaiser und Kurt Schumacher waren am Beginn unserer neuen Staatwerdung der Meinung, jeder Deutsche sollte bereit sein, einen hohen Preis für die Wiedervereinigung mit dem zu uns gehörenden Teil unseres Vaterlandes zu zahlen. Die Entwicklung hat einen anderen Weg genommen.

Die Bundesrepublik umschließt nicht die Grenzen des Deutschlands, für das die Männer im Widerstand gefallen sind. Aber sie ist unsere Heimat geworden in den letzten 20 Jahren. Tragen wir Sorge, dass in ihr immer die Freiheiten Grundlage bleiben, für die die Widerstandskämpfer gegen Hitlers Terror gekämpft haben - das wäre an diesem Gedenktag der beste Dank an die Toten.

25 Jahre scheinen mir ein gewisser Abschluss zu sein. Es könnte die Frage gestellt werden, ob wir nun jedes Jahr wieder zusammenkommen sollten, um des Geschehens am 20. Juli 1944 zu gedenken.

Mir scheint nicht das alljährliche Zusammenkommen das Wichtige zu sein, sondern die Möglichkeit, unsere Kenntnis von diesem Geschehen im deutschen Widerstand während der Herrschaft des Dritten Reiches weiter zu vermitteln.

Dass mir heute in den Räumen der Münchener ehemaligen Residenz, deren letzter königlicher Herr beispielhaft aufrecht durch die für ihn und seine Familie gefährlichen Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft gegangen ist, Gelegenheit zu einem solchen Vortrag gegeben wurde, dafür bin ich dem Herrn Oberbürgermeister von München und den anderen einladenden Herren von der Akademie für Politische Bildung aufrichtig dankbar.






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21.07.1969
Dr. Hans-Jochen Vogel
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