Ein Ort der Erinnerung

Axel Hartmann

Ein Ort der Erinnerung

Begrüßung des Bürgermeisters der Stadt Bad Sachsa, Dr. Axel Hartmann, zur Eröffnung der Ausstellung „Unsere wahre Identität sollte vernichtet werden“ am 22. November 2016 im Kursaal der Stadt Bad Sachsa

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich begrüße Sie alle sehr herzlich hier im Kursaal in Bad Sachsa zu dieser denkwürdigen Feierstunde.

Mein Gruß gilt zunächst Ihnen, verehrte Betroffene, denn ich wage kaum Kinder zu sagen, und wenn dann in Anführungszeichen, die Sie mit dem Namen unserer Stadt ein einschneidendes Erlebnis in Ihrer Kindheit oder Jugendzeit verbinden. Wir hoffen, dass wir heute einen Beitrag leisten können, die Erinnerungen zu bewältigen.

Ich begrüße sehr herzlich – stellvertretend für alle – Herrn Wilhelm Graf von Schwerin von Schwanenfeld. Herzlich Willkommen in Bad Sachsa. Aus dem Bundeskanzleramt ist Herr Dr. Günter Wienands, Ministerialdirektor bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien zu uns gekommen. Herzlich Willkommen Günter. Ebenfalls aus Berlin begrüße ich Herr Prof. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und sein Team, die diese exzellente Ausstellung realisiert haben.

Als ich vor zwei Jahren mein Amt antrat, stellte ich mir die Frage, warum unsere Stadt so ein kompliziertes Verhältnis zu den Ereignissen der Jahre 1944/45 im Borntal hat. Auf dem Gelände des Borntals steht bis heute keine Gedenktafel der Stadt Bad Sachsa, die an das Geschehene erinnert.

Nach dem Krieg war dort ein bis in die 1990er Jahre bestehendes Kinderkrankenhaus untergebracht, das weit über Bad Sachsa hinaus einen guten Ruf hatte. Kinder aus dem ausgebombten Dresden waren 1945 die ersten Patienten. Das Krankenhaus wurde kurz nach der Wende, Anfang der 1990er Jahre geschlossen. Danach diente das Gelände als Campingplatz. Heute warten wir darauf, dass dort ein moderner Ferienpark entsteht. Die am nördlichen Rand gelegenen Häuser des Mitte der 1930er Jahre errichteten „Bremer Kinderheims“, in denen die Kinder u.a. untergebracht waren, sollen in der äußeren Form erhalten bleiben – so die Zusage des Investors.

Außer einem Gedenkschild der Brandenburger Gemeinde Rangsdorf erinnert bis heute nichts an das, was vor über 72 Jahren dort geschah. Warum hat sich Bad Sachsa über viele Jahrzehnte so schwer getan, diesem für 46 Kinder des 20. Juli so einschneidendem Erlebnis einen Ort der Erinnerung zu geben? Von Rangsdorf war Graf Stauffenberg am 20. Juli 1944 nach Rastenburg in Ostpreußen geflogen, um im sogenannten Führerhauptquartier die Bombe zu zünden. Aber Rangsdorf hatte keine Beziehung zu Bad Sachsa und erst recht nicht zum Borntal.

Es hat erste Begegnungen mit den Betroffenen gegeben: 1998 kamen einige der damaligen Kinder nach Bad Sachsa und führten ein erstes Gespräch, ein weiteres folgte vor zwei Jahren anlässlich des 70. Jahrestages des Attentats. Die Gespräche mit meiner Amtsvorgängerin führten zu einer Annäherung an die Stadt Bad Sachsa, ein sichtbares Zeichen nach Außen hingegen wurde nicht gesetzt. Auch 72 Jahre nach dem Ereignis war im Borntal weder eine Gedenkstein noch eine Gedenktafel zu sehen, ganz zu schweigen von einer Ausstellung.

Das hat mich sehr betroffen gemacht, als ich nach mehr als 40 Jahren Abwesenheit 2014 in meine Heimatstadt zurückkehrte. Das wollte ich ändern und so suchte ich bereits wenige Wochen nach meinem Amtsantritt im Januar 2015 die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstraße in Berlin auf, um mit Prof. Tuchel die Frage zu erörtern, ob man nicht eine Dauerausstellung zum Thema „Kinder des 20. Juli“ in Bad Sachsa einrichten könne. Alles was mir bisher zu dem Thema bekannt war, war der ZDF-Film gleichen Namens, der alljährlich um den 20. Juli herum als Wiederholung gesendet wird. Prof. Tuchel war sofort von der Idee angetan und nun ging es zunächst darum, die finanziellen Mittel zu beschaffen, um das Projekt zu realisieren. Mein alter Kollege aus Bonner Kanzleramtszeiten der 1990er Jahre, Günter Wienands, war inzwischen Abteilungsleiter bei der Staatsministerin für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt (BKM) in Berlin geworden. Noch am gleichen Nachmittag suchte ich ihn im Kanzleramt auf und er sagte zu, die Mittel zur Verfügung zu stellen. Schließlich kamen 80.000 € aus dem Haushalt der Staatsministerin für Kultur, ohne die die Ausstellung nicht finanzierbar gewesen wäre. An einem Nachmittag in Berlin, innerhalb weniger Stunden, war es gelungen, diese denkwürdige Ausstellung, die wir heute einweihen, zu initiieren. Mit der heutigen Einweihung setzen wird erstmals ein sichtbares Zeichen nach außen und weit über unsere Stadt hinaus, dass wir uns nicht vor unserer Vergangenheit verstecken, sondern uns offen mit ihr auseinandersetzen.

Die Ausstellung sollte ursprünglich auf dem Gelände im Borntal ihren Platz finden, aber die sich ständig verzögernde Bauplanung des Investors hat mich dann frühzeitig nach einem alternativen Standort suchen lassen, und ich bin der Bad Sachsa Holding dankbar, dass sie die Räumlichkeiten und die logistische Begleitung auf Dauer zur Verfügung stellt. Auch hätte ich heute gern im Borntal zusammen mit den „Kindern“ eine Gedenktafel der Stadt Bad Sachsa enthüllt. Aber auch hier hat uns der derzeitige Zustand des Geländes zögern lassen. Mein Dank geht an den hiesigen Rotary Club für die finanzielle Zusage. Die Tafel wird aufgestellt, sobald das vor Ort baulich möglich ist.

Lassen Sie mich noch einmal auf die Frage zurückkommen: Warum so spät? Das Thema mit dem wir uns heute befassen wurde in Bad Sachsa viele Jahrzehnte verschwiegen. Die, die etwas darüber wussten, und das waren wenige, schwiegen beharrlich. Und so war die Quellenlage dürftig. Auch alte Bad Sachsaer, die ich noch in den letzten Monaten befragen wollte, winkten ab. Niemand war bereit, Auskunft zu geben.

Das, was wir an schriftlichem Material hatten, hat unser früherer Stadtarchivar, Herr König, akribisch zusammengetragen. Unser derzeitiger Stadtarchivar, Herr Boehm, hat die Materialien der Gedenkstätte Deutscher Widerstand zur Verfügung gestellt, und sie wurden in die Ausstellung einbezogen.

Lassen Sie mich noch eine persönliche Bemerkung machen. Ich selbst habe in meiner Jugendzeit in Bad Sachsa erlebt, wie die Frage offen und strittig diskutiert wurde, ob die an dem Attentat beteiligten Helden oder „Vaterlandverräter“ waren. Es war die Kriegsgeneration, die fast unisono der zweiten Variante der Deutung zuneigte. Verwundern kann das nicht, wenn man weiß, dass die Rehabilitierung der Männer des 20. Juli und anderer Widerstandskämpfer gegen die Nazi-Diktatur viele Jahre verzögert wurde und die Hinterbliebenen mit geringen Renten auskommen mussten. Schließlich war die deutsche Justiz – bis in die höchsten Stellen des Bundesjustizministeriums der 1950er und 1960er Jahre hinein, wie wir kürzlich erfahren durften, von Juristen besetzt, die schon der Hitler-Diktatur gedient hatten.

Erst heute ist die Zeit reif, für eine Erinnerungskultur, in Form einer Ausstellung, die auf Dauer an ein dunkles Kapitel unserer jüngeren Geschichte erinnert, das auch Bad Sachsa getroffen hat. Vor allem die jüngere Generation soll wissen, dass die Gefahr von rechts kein geschichtliches Phänomen ist, sondern auch in unseren Tagen gilt: Wehret den Anfängen!

Wir müssen auch vor allem die Jugend über das informieren, was sich hier vor 72 Jahren ereignet hat. Insofern bin ich dankbar, dass heute auch Schüler unseres Pädagogiums unter uns sind.

Zum Schluss gilt mein Dank allen, die dazu beigetragen haben, dass wir heute diese Ausstellung eröffnen können:

Zu allererst Herrn Professor Tuchel und seinem ganzen Team, die in eineinhalb Jahren eine vorzügliche Ausstellung geschaffen haben. Besonders beeindruckend sind die zahlreichen Portraits. Die bisher eher am Rande der Darstellung über den deutschen Widerstand laufende Diskussion hat nun einen festen Ort: Sie ist in Bad Sachsa zu besichtigen. Dafür Herrn Prof. Tuchel und dem ganzen Team meinen herzlichen Dank;

Herrn Winands vom Bundeskanzleramt (BKM) danke ich für die Zurverfügungstellung der finanziellen Mittel;

und der Bad-Sachsa-Holding und allen, die dazu beigetragen haben, dass diese Ausstellung die ihr gebührende Beachtung findet, danke ich herzlich.

72 Jahre danach haben wir also diesen Ort der Erinnerung an das Leid und Schicksal der 46 Kinder des 20. Juli geschaffen, die hier in Sippenhaft waren. Aber wie heißt es so schön: lieber spät als gar nicht !

Ein letztes Wort an Sie, verehrte Kinder: Ich weiß, dass es manchem nicht möglich war und ist, an den Ort zurückzukehren, den Sie mit schmerzlichen und traumatischen Erinnerungen verbinden. Ihnen sprechen wir unseren großen Respekt aus. Denen die heute gekommen sind, danke ich von Herzen und sage Ihnen in aller Klarheit, auch wenn kein Bürger unserer Stadt Verantwortung für das hatte, was Ihnen damals von der Nazi-Diktatur angetan wurde:

Im Namen der Stadt Bad Sachsa entschuldige ich mich bei Ihnen allen für das Leid und die traumatischen Erlebnisse, die Sie mit unserer Stadt verbinden und bitte Sie um Verzeihung. Ich hoffe, wir sehen uns anlässlich des 75. Jahrestages des 20. Juli im Jahr 2019 wieder gesund in Bad Sachsa. Sie sind jederzeit herzlich willkommen.

Ich danke Ihnen!






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