Freiheit und Demokratie

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Karl Ibach

Freiheit und Demokratie

Begrüßungsansprache des Ersten Vorsitzenden des Zentralverbandes Demokratischer Widerstandskämpfer- und Verfolgtenorganisationen (ZDWV) Karl Ibach am 20. Juli 1970 in der Bonner Beethovenhalle

Wenn der Vorsitzende des Zentralverbandes demokratischer Widerstandskämpfer- und Verfolgtenorganisationen – der seit vielen Jahren diese Veranstaltung trägt – im Auftrag seiner Freunde das Wort ergreift, so geschieht das nicht nur zu einer freundlichen Begrüßung aller Anwesenden. Diese Begrüßung soll so kurz wie herzlich sein; angesichts so vieler bedeutender Personen aus dem In- und Ausland sehe ich absichtlich davon ab, einzelne Namen zu nennen, da ich sonst unangenehme Unterlassungen begehen könnte. Allen Erschienenen gilt unser sehr herzlicher Gruß und Dank.

Es liegt aber auch nicht in meiner Absicht den geschichtsphilosophischen Betrachtungen über die historische Bedeutung und den Sinn der Tat des 20. Juli 1944 eine neue Interpretation hinzuzufügen – vielmehr will ich lediglich einige schlichte Feststellungen treffen und Gedanken zum Ausdruck bringen, die in den Kreisen meiner Freunde lebendig sind.

In aller Deutlichkeit eine Feststellung vorweg: Der 20. Juli 1944 ist nicht der einzige Aspekt des deutschen Widerstandes gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft. Es kann gar nicht oft und laut genug wiederholt werden, dass ein heftiger opferreicher Widerstand gegen Hitler schon seit 1933 – und noch zuvor – vorhanden war, der mit den brutalsten Mitteln unterdrückt wurde. Es soll nicht verschwiegen und darf nicht übersehen werden, dass dieser Widerstand der ersten Stunde vornehmlich von dem kleinen, unbekannten Mann getragen wurde, dem wir mit diesen Worten ein verdientes Denkmal setzen wollen.

Der Aufstand des 20. Juli 1944 war jedoch der sichtbarste Ausdruck und Höhepunkt aller Bestrebungen zur Beseitigung der Hitler-Tyrannei – deswegen hat dieser Tag für uns eine besondere symbolische Bedeutung: er steht zusammenfassend und stellvertretend für den gesamten antinazistischen Widerstand.

Jenseits aller subtilen Erwägungen und trotz des tatsächlichen Scheiterns – wir bleiben dabei: nehmt alles nur in allem: Es ist Deutschlands stolzester Tag – der Tag der deutschen Erhebung! Wir erheben darum an diesem 26. Jahrestag des Aufstandes gegen die Hitler-Tyrannei erneut die Forderung, den 20. Juli zum Nationalgedenktag zu erklären und ein Ehrenmal für die Helden und Märtyrer des Widerstandes zu errichten. Wenn wir uns in unserer wechselvollen und tragischen Geschichte umblicken, wüssten wir keinen anderen Tag, der besser als Nationalfeiertag des gesamten deutschen Volkes in West und Ost geeignet wäre.

Gemessen an den dabei beteiligten Menschen und den von ihnen vertretenen Ideen gibt es kein anderes Ereignis, in dem alle Ströme unserer Geschichte münden, alle geistigen, politischen, humanistischen Traditionen repräsentiert sind wie bei dieser Bewegung, die am 20. Juli 1944 ihren sichtbaren Ausdruck und Höhepunkt fand in dem heldenhaften Versuch, die Schmach der Hitlerei zu beseitigen.

Wir mahnen darum an diesem Jahrestag die Regierung und alle politisch führenden Kräfte, sich der Verpflichtung gegenüber den Vorkämpfern für Freiheit und Demokratie bewusst zu sein. Eine weithin wirkende Ehrung ihrer ersten Vorkämpfer stände dieser Republik gut an und würde gleichzeitig zu der Besinnung auf die Wurzeln ihrer Existenz hinführen.

Der Tag der deutschen Erhebung bleibt Deutschlands stolzester Tag, der gleichzeitig in eine europäische Zukunft weist. Mit der Errichtung eines würdigen Ehrenmals des Widerstandes für alle Opfer der Hitler-Diktatur und der Erklärung des 20. Juli zum Nationalgedenktag würde sich unsere Republik selbst die größte Ehre erweisen.

Wir haben zu der Regierung dieser Bundesrepublik Deutschland das Vertrauen, dass sie unsere Auffassung über die geschichtliche Bedeutung des Widerstandes gegen den nazistischen Ungeist teilt, wissen wir doch an der Spitze der Regierung in Bundeskanzler Willy Brandt einen Mann, der ein Hitler-Gegner der ersten Stunde war, und in dem wir einen Schicksalsgefährten und Freund sehen. Wir begrüßen und unterstützen seine Bemühungen, Entspannung und Versöhnung nach dem Osten zu suchen, so wie wir alle Bemühungen unseres anderen großen Freundes – des verstorbenen Bundeskanzlers Konrad Adenauer – unterstützt haben, die Versöhnung nach dem Westen einzuleiten.

Vor wenigen Monaten hat es einen Zwist um die Bedeutung eines anderen historischen Tages gegeben: des 8. Mai 1945. Wir wollen auch hierzu eine ganz klare und eindeutige Aussage machen: der 8. Mai 1945 ist nicht der Tag der Niederlage (wenn der Niederlage – dann der Niederlage des Nationalsozialismus), nicht der Tag der Kapitulation, keineswegs ein Tag der Schmach – sondern der Tag der Befreiung von der Schmach, der Tag der Befreiung von einem Mörder-Regime und somit ein Tag der Erleichterung und des Neubeginns.

Seit einigen Jahren macht eine Partei bei uns von sich reden, die wir als eine Nachgeburt des Hitlerismus bezeichnen und die ein Bundesminister treffend charakterisierte als den Fußschweiß der Gesellschaft bei ihrem Marsch in die Zukunft. Ich mag den Namen dieser Partei nicht aussprechen, weil darin die beiden ehrenwerten Begriffe „national“ und demokratisch“ fürchterlich missbraucht worden sind, aber Sie wissen sicher, welche Partei ich meine. Weil wir in dieser Partei eine Gefahr für Freiheit und Demokratie sahen, haben wir verantwortungsbewusst ein Verbot gefordert. Inzwischen hat das deutsche Wählervolk in einigen Wahlen der jüngsten Zeit dieser Partei eine furchtbare Schlappe zugefügt, wodurch sich ein Verbotsverfahren – im Augenblick zumindest – erübrigen dürfte.

Es ist mir aber eine angenehme Aufgabe, dem deutschen Wählervolk für sein Reifezeugnis von dieser Stelle Anerkennung und Dank auszusprechen. Wir fühlen uns jedoch durch diese erfreuliche Entwicklung hinsichtlich unserer Verbotsforderung nicht widerlegt – sondern vielmehr bestätigt. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir mit unseren Warnrufen die demokratischen Abwehrkräfte gegen eine Neuauflage des Nazismus auf den Plan gerufen haben.

Und so begreifen wir auch unsere Aufgabe in der Zukunft – wie die capitolinischen Gänse im alten Rom beim Herannahen eines Feindes – immer wachsam zu sein und zu warnen, wenn für Freiheit und Demokratie Gefahr im Verzug ist.

Uralt ist das Forschen der Menschen nach dem Sinn des Lebens. Im Gedenken an die Männer und Frauen des Widerstandes, die wir heute hier ehren wollen und die wohl den höchsten Sinn im Opfer für die Freiheit erkannten, mag jetzt der große Dichter Goethe zu Wort kommen, der seinen „Faust“ sagen lässt:

„Ja, diesem Sinne bin ich ganz ergeben,

Das ist der Weisheit letzter Schluss,

Nur der verdient sich Freiheit und das Leben,

Der täglich sie erobern muss.“







Weitere Reden

20.07.1970
 Gerhard Jahn
Gerhard Jahn