"Gott hat dem Menschen die Fähigkeit zur Wahrheit mitgegeben."
Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Karl Meyer
„Gott hat dem Menschen die Fähigkeit zur Wahrheit mitgegeben.“
Predigt von Pater Dr. Karl Meyer, OP im Rahmen des Ökumenischen Gottesdienstes am 20. Juli 2007 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin
Liebe Schwestern und Brüder in Jesus Christus!
Große Worte werden uns heute auf den Weg gegeben.
Aber eigentlich ist es nur ein Wort:
Unser Gott schenkt uns seinen Namen: Ich bin der „Ich bin da“.
Namen werden anvertraut, um jemanden in Beziehung treten zu lassen. Aber Namen werden missbraucht, um Personen in den Griff zu bekommen.
Israels Gott gibt deswegen seinen Namen nicht einfachhin preis.
Ich bin der „Ich bin da.“. Das ist kein Name unter anderen Namen, sondern der „Ich bin da“ gewährt sich aus Liebe und entzieht sich wieder aus Liebe. Als der treue Gott ist er schon der Gott der Väter Abraham, Isaak und Jakob, aber noch mehr ist er der treue Gott für die unbekannte Zukunft. „Ich werde da sein, als der ich da sein werde.“ übersetzt Martin Buber den Gottesnamen.
Er ist über jede bekannte Weise überwältigend gegenwärtig.
Unvergesslich bleibt das Wort Alfred Delps:
„Inmitten der ‚Wunden der Not’ habe ich die ‚Wunder der Not’ erfahren, die ‚heilende Kraft Gottes’, ja die Innigkeit der Gottesbegegnung, ‚Freundschaft, Liebe, Dialog durch alle Seinsschichten, so daß plötzlich das Herz die Fülle des zuströmenden Lebens und Glückes nicht zu fassen vermag’. Freilich, diese Erfahrung: ‚Gott ist als ein Brunnen in uns’ wechselt ab mit den Erfahrungen der ‚Wüste’.“
Immer ist Israels Gott Gott für den Menschen.
Der Gegenwärtige meint mich. Er will ganz mit mir in Beziehung treten.
Es ist nur natürlich, dass Mose Gott sagen hört: Ich habe das Elend gesehen.
Israels Gott kennt die wirkliche Lage seiner Menschen. Sie ist Elend.
Das Elend ist nie nur die äußere Realität, es ist vorgängig immer die Realität der eigenen Seele. Das heißt: der Mensch ist unten.
Aber unten sein ist schlecht, und deswegen entwerfen die Menschen unentwegt Systeme, in denen sie selbst, die eigene Gruppe oben ist und die anderen dafür unten.
Gott hat dem Menschen die Fähigkeit zur Wahrheit mitgegeben.
Jeder Mensch darf auf seinem Weg in das Licht der ganzen Wahrheit treten.
Manche lehnen das ab und werden für ihre Mitmenschen mörderisch.
Andere haben die Gnade, in das Licht der Wahrheit zu treten. Das hat Mose auf der Flucht vor dem Pharao erkannt. Er ist schwach und hat Angst. Aber er glaubt auch die tiefere Wahrheit: Gott ist da und trägt.
Gott kennt in seinem Geschöpf – nach seinem Bild geschaffen - auch die tiefe Bereitschaft zum Guten und zum Recht und die Fertigkeit zum Helfen.
Mose hat diese Bereitschaft in großem Maße. Gott greift diesen Impuls auf und sendet ihn.
Gott sendet ihn mehr, zu einer größeren Aufgabe, als es ihm lieb ist.
Mose weicht nicht aus und wird im Namen Gottes zum Anführer derer, die ganz unten sind.
Was Mose erfährt und in sein Bewusstsein integrieren muss, was Generationen immer wieder aus dem „Gesetz des Mose“ gelernt haben, das weiß Jesus.
Er kennt die tragende Gegenwart Gottes.
Er war sich seines Vaters sicher. Er ist einfach der Sohn des Vaters.
Nur unten, in der absoluten Empfänglichkeit strömen die Wasser der Liebe zusammen. Jesus ist der, der bleibend unten ist.
In Jesus dürfen wir deswegen gleichzeitig die Fülle sehen. „Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden.“ In ihm ist die Gegenwart Gottes in der Welt.
Der Sohn ist ganz unmündig und nicht emanzipiert..
Weil er absolut hinhört, ist er ganz Ohr, ist mit dem Willen des Vaters eins.
Der Wille des Vaters aber verlangt, dass er keinen verloren gehen lässt.
Dafür gibt er sein Leben, verliert er die Ehre. Er kann es sich aus der Einheit mit dem Vater leisten.
Kein anderes Zeugnis für Gottes Treue reicht an das Zeugnis Jesu heran.
Deswegen sollen wir seinem Bild nachgestaltet werden.
Viele Beispiele gibt es dafür .
Wir gedenken heute besonders derer, die ihr Leben, ihr Sterben, ihren Tod unter der Tyrannei Hitlers in Israels Glaubensweg und in den Tod und die Auferstehung Jesu einschreiben durften.
Einige können wie von Anfang an in der Wahrheit stehen. Sie waren immer schon unten und gingen auf niederem Weg.
Ich denke an Franz Jägerstetter, einen Familienvater, Bauer und Mesner aus Oberösterreich, der wie Stauffenberg, Moltke und Delp auch dieses Jahr hundert Jahre alt geworden wäre.
Während manche auf dem Weg in den Widerstand zögerten bei der Frage, ob sie den Eid, den sie auf Hitler geleistet hatten, brechen durften, wusste Franz Jägerstetter, dass er nie einen Eid auf Hitler, den er klar als Verbrecher erkannte, leisten und Hitlers Krieg führen durfte.
Alle goldenen Brücken, die ihm die Richter am Reichskriegsgericht bauten, um sein Leben zu retten, hat er nicht betreten. Auch Gespräche mit dem Pfarrer und dem Bischof von Linz, die ihn auf seine Verantwortung für die Familie aufmerksam machten, stimmten ihn nicht um. So wurde er am 9. 8. 1943 in Brandenburg hingerichtet.
In einem Abschiedsbrief schreibt er: "Immer wieder möchte man einem das Gewissen erschweren betreffs Gattin und Kinder. Sollte die Tat, die man begeht, dadurch vielleicht besser sein, weil man verheiratet ist und Kinder hat? Oder ist deswegen die Tat besser oder schlechter, weil es Tausende anderer Katholiken auch tun?... Zu was hat denn Gott alle Menschen mit einem Verstande und freien Willen ausgestattet, wenn es uns, wie so manche sagen, gar nicht einmal zusteht, zu entscheiden, ob dieser Krieg, den Deutschland führt, gerecht oder ungerecht ist? Zu was braucht man dann noch eine Erkenntnis zwischen dem, was Gut oder Böse ist?"
Es ist eine Gnade für Deutschland, für Österreich, diesen Mann zu haben, aber seine Wahrheit ist nicht leicht zu hören.
Mit Staunen erfüllt uns noch heute die unglaubliche Klarsicht Moltkes, der auf dem Höhepunkt von Hitlers Triumphen an seinen Freund Yorck schreibt: „Nun, da wir damit rechnen müssen, einen Triumph des Bösen zu erleben, und, während wir gerüstet waren, alles Leid und Unglück auf uns zu nehmen, statt dessen im Begriff sind, einen viel schlimmeren Sumpf von äußerem Glück, Wohlbehagen und Wohlstand durchwaten zu müssen, ist es wichtiger als je, sich über die Grundlagen einer positiven Staatslehre klar zu werden.“
Andere im Herzen einfache Menschen gehören dazu. Ich greife aus den über 2.800, die hier in Plötzensee hingerichtet wurden, Konstanty Drozdowski heraus, der in Danzig geflohenen französischen Kriegsgefangenen geholfen hatte. Wir könnten die Namen derjenigen hier vor Gott noch einmal nennen, die Inge Deutschkron gestern Abend genannt hat, die jahrelang ein todgeweihtes Leben führten, weil sie mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit Mitmenschen für die Juden waren.
Jeder hat seinen unverwechselbaren Weg, der nicht austauschbar ist.
Nicht wenige mussten ein langes Erbe gesellschaftlicher Standards abarbeiten. Sie mussten erst viel lernen und lassen, bis sie hier in diesen Schuppen als gefesselte und doch freie Menschen gingen.
Ich denke an Ferdinand Freiherr von Lüninck, dem das Zentrum als eine von den Arbeitern bestimmte Partei nicht seinem Stande entsprach, der als Monarchist in der DNVP Hoffnungen auf Hitler setzte und 1933 Oberpräsident von Westfalen wurde und sich sogar gegen den Bischof von Münster stellte. Aber sein christlicher Glaube war ihm entscheidende Richtschnur. Als er sah, dass er die menschen- und glaubensfeindliche Politik der Nazis nicht korrigieren konnte, legte er 1938 das Amt nieder, trat aus der NSDAP aus und ging in den Widerstand. Am 14. November 1944 ging er hier ins ewige Leben.
Die grauenhaften Fleischerhaken hier sagen:
Hier sind Wege in die helle Wahrheit gegangen worden und an ihr Ziel gekommen. Hier haben Menschen das Joch Jesu auf sich genommen. Die Wahrheit Jesu ist zwar gesellschaftlich ganz unten und doch ist sie von der Erde erhöht, am Kreuz und am Galgen. Sie ist anziehend.
Wir wollen denen, die für die Wahrheit ihr Leben eingesetzt haben, Ehre erweisen. Das geht nicht einfach mit Reden und spätem Beifall. Die Tugend der Ehre liegt in dem, der Ehre erweisen kann. Wir können aber nur Ehre erweisen, wenn wir den Weg in die Wahrheit aus unseren jeweiligen Vorbedingungen heraus auf je unsere Weise gehen.
Es ist ein Weg, der die Unwahrheit zutiefst im eigenen Leben erkennt und dann erst als äußere Darstellung in Staat und Gesellschaft wahrnimmt.
Die tiefste Grundlage der Heilung ist demgegenüber der Glaube an den Gott, der sich als der zeigt, als der er da sein wird. Dieser Gott sorgt sich um die Ehre derjenigen, die seine Ehre suchen. Er hält die, die für ihn unten sind, oben.
Die Menschen jeder Zeit brauen unheimlich viel zusammen – auch wir. Vieles Unmenschliche und Zerstörerische ist verdeckt durch beifallerheischendes Äußeres – auch bei uns.
Die Verantwortung für spätere Ausbrüche steht bei uns und wird unter Gottes Gericht aufgedeckt.
Wir müssen uns fragen: Was sind heute die Felder sich anbahnender Vernichtung? Wo braut sich Fremdenfeindlichkeit zusammen, d.h. Voreingenommenheit gegen alle, die mich in meiner Lebensvorstellung befremden, angefangen vom ungeborenen Kind, das der Lebensplanung im Wege steht, über die Menschen, die durch die Globalisierung an Europas Grenzen drängen, bis hin zu den Alten, die offenkundig nutzlos sind und immer noch nicht sterben wollen? Wie gesagt: Der Blick geht nicht auf äußere Strukturen, sondern auf mich: Wo wächst etwas davon in mir?
Die Frage schließt sich an: Aus welchen Quellen leben wir?
Leben wir hauptsächlich aus gesellschaftlichen Standards? Das können auch kirchliche Standards sein. Dann brauchen wir viel, um oben zu sein, und werden wenig zum Teilen erübrigen. Oder glauben wir, dass Gott jetzt mir liebend gegenwärtig ist und genug Leben gibt?
Sind wir in dem Sinne Weise und Kluge, die wissen, wie man vorwärts kommt, oder gehören wir zu den Unmündigen, die hinhören und in vielen kleinen Geschehnissen und Entscheidungen die Zusage heraushören: Ich bin der, der für dich da sein wird. Und die aus diesem Wissen die eigene Lebenswelt einfach zu deuten vermögen und danach handeln.
Die den Weg der Wahrheit gegangen sind, sind in Christus Jesus Vorbild für kommende Generationen, und sie sind aus seinem Geist Zustrom an Kraft. Mögen auch wir daraus dem Namen dieses einen Gottes die Ehre erweisen, die ihm gebührt!
Amen
Karl Meyer
„Gott hat dem Menschen die Fähigkeit zur Wahrheit mitgegeben.“
Predigt von Pater Dr. Karl Meyer, OP im Rahmen des Ökumenischen Gottesdienstes am 20. Juli 2007 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin
Liebe Schwestern und Brüder in Jesus Christus!
Große Worte werden uns heute auf den Weg gegeben.
Aber eigentlich ist es nur ein Wort:
Unser Gott schenkt uns seinen Namen: Ich bin der „Ich bin da“.
Namen werden anvertraut, um jemanden in Beziehung treten zu lassen. Aber Namen werden missbraucht, um Personen in den Griff zu bekommen.
Israels Gott gibt deswegen seinen Namen nicht einfachhin preis.
Ich bin der „Ich bin da.“. Das ist kein Name unter anderen Namen, sondern der „Ich bin da“ gewährt sich aus Liebe und entzieht sich wieder aus Liebe. Als der treue Gott ist er schon der Gott der Väter Abraham, Isaak und Jakob, aber noch mehr ist er der treue Gott für die unbekannte Zukunft. „Ich werde da sein, als der ich da sein werde.“ übersetzt Martin Buber den Gottesnamen.
Er ist über jede bekannte Weise überwältigend gegenwärtig.
Unvergesslich bleibt das Wort Alfred Delps:
„Inmitten der ‚Wunden der Not’ habe ich die ‚Wunder der Not’ erfahren, die ‚heilende Kraft Gottes’, ja die Innigkeit der Gottesbegegnung, ‚Freundschaft, Liebe, Dialog durch alle Seinsschichten, so daß plötzlich das Herz die Fülle des zuströmenden Lebens und Glückes nicht zu fassen vermag’. Freilich, diese Erfahrung: ‚Gott ist als ein Brunnen in uns’ wechselt ab mit den Erfahrungen der ‚Wüste’.“
Immer ist Israels Gott Gott für den Menschen.
Der Gegenwärtige meint mich. Er will ganz mit mir in Beziehung treten.
Es ist nur natürlich, dass Mose Gott sagen hört: Ich habe das Elend gesehen.
Israels Gott kennt die wirkliche Lage seiner Menschen. Sie ist Elend.
Das Elend ist nie nur die äußere Realität, es ist vorgängig immer die Realität der eigenen Seele. Das heißt: der Mensch ist unten.
Aber unten sein ist schlecht, und deswegen entwerfen die Menschen unentwegt Systeme, in denen sie selbst, die eigene Gruppe oben ist und die anderen dafür unten.
Gott hat dem Menschen die Fähigkeit zur Wahrheit mitgegeben.
Jeder Mensch darf auf seinem Weg in das Licht der ganzen Wahrheit treten.
Manche lehnen das ab und werden für ihre Mitmenschen mörderisch.
Andere haben die Gnade, in das Licht der Wahrheit zu treten. Das hat Mose auf der Flucht vor dem Pharao erkannt. Er ist schwach und hat Angst. Aber er glaubt auch die tiefere Wahrheit: Gott ist da und trägt.
Gott kennt in seinem Geschöpf – nach seinem Bild geschaffen - auch die tiefe Bereitschaft zum Guten und zum Recht und die Fertigkeit zum Helfen.
Mose hat diese Bereitschaft in großem Maße. Gott greift diesen Impuls auf und sendet ihn.
Gott sendet ihn mehr, zu einer größeren Aufgabe, als es ihm lieb ist.
Mose weicht nicht aus und wird im Namen Gottes zum Anführer derer, die ganz unten sind.
Was Mose erfährt und in sein Bewusstsein integrieren muss, was Generationen immer wieder aus dem „Gesetz des Mose“ gelernt haben, das weiß Jesus.
Er kennt die tragende Gegenwart Gottes.
Er war sich seines Vaters sicher. Er ist einfach der Sohn des Vaters.
Nur unten, in der absoluten Empfänglichkeit strömen die Wasser der Liebe zusammen. Jesus ist der, der bleibend unten ist.
In Jesus dürfen wir deswegen gleichzeitig die Fülle sehen. „Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden.“ In ihm ist die Gegenwart Gottes in der Welt.
Der Sohn ist ganz unmündig und nicht emanzipiert..
Weil er absolut hinhört, ist er ganz Ohr, ist mit dem Willen des Vaters eins.
Der Wille des Vaters aber verlangt, dass er keinen verloren gehen lässt.
Dafür gibt er sein Leben, verliert er die Ehre. Er kann es sich aus der Einheit mit dem Vater leisten.
Kein anderes Zeugnis für Gottes Treue reicht an das Zeugnis Jesu heran.
Deswegen sollen wir seinem Bild nachgestaltet werden.
Viele Beispiele gibt es dafür .
Wir gedenken heute besonders derer, die ihr Leben, ihr Sterben, ihren Tod unter der Tyrannei Hitlers in Israels Glaubensweg und in den Tod und die Auferstehung Jesu einschreiben durften.
Einige können wie von Anfang an in der Wahrheit stehen. Sie waren immer schon unten und gingen auf niederem Weg.
Ich denke an Franz Jägerstetter, einen Familienvater, Bauer und Mesner aus Oberösterreich, der wie Stauffenberg, Moltke und Delp auch dieses Jahr hundert Jahre alt geworden wäre.
Während manche auf dem Weg in den Widerstand zögerten bei der Frage, ob sie den Eid, den sie auf Hitler geleistet hatten, brechen durften, wusste Franz Jägerstetter, dass er nie einen Eid auf Hitler, den er klar als Verbrecher erkannte, leisten und Hitlers Krieg führen durfte.
Alle goldenen Brücken, die ihm die Richter am Reichskriegsgericht bauten, um sein Leben zu retten, hat er nicht betreten. Auch Gespräche mit dem Pfarrer und dem Bischof von Linz, die ihn auf seine Verantwortung für die Familie aufmerksam machten, stimmten ihn nicht um. So wurde er am 9. 8. 1943 in Brandenburg hingerichtet.
In einem Abschiedsbrief schreibt er: "Immer wieder möchte man einem das Gewissen erschweren betreffs Gattin und Kinder. Sollte die Tat, die man begeht, dadurch vielleicht besser sein, weil man verheiratet ist und Kinder hat? Oder ist deswegen die Tat besser oder schlechter, weil es Tausende anderer Katholiken auch tun?... Zu was hat denn Gott alle Menschen mit einem Verstande und freien Willen ausgestattet, wenn es uns, wie so manche sagen, gar nicht einmal zusteht, zu entscheiden, ob dieser Krieg, den Deutschland führt, gerecht oder ungerecht ist? Zu was braucht man dann noch eine Erkenntnis zwischen dem, was Gut oder Böse ist?"
Es ist eine Gnade für Deutschland, für Österreich, diesen Mann zu haben, aber seine Wahrheit ist nicht leicht zu hören.
Mit Staunen erfüllt uns noch heute die unglaubliche Klarsicht Moltkes, der auf dem Höhepunkt von Hitlers Triumphen an seinen Freund Yorck schreibt: „Nun, da wir damit rechnen müssen, einen Triumph des Bösen zu erleben, und, während wir gerüstet waren, alles Leid und Unglück auf uns zu nehmen, statt dessen im Begriff sind, einen viel schlimmeren Sumpf von äußerem Glück, Wohlbehagen und Wohlstand durchwaten zu müssen, ist es wichtiger als je, sich über die Grundlagen einer positiven Staatslehre klar zu werden.“
Andere im Herzen einfache Menschen gehören dazu. Ich greife aus den über 2.800, die hier in Plötzensee hingerichtet wurden, Konstanty Drozdowski heraus, der in Danzig geflohenen französischen Kriegsgefangenen geholfen hatte. Wir könnten die Namen derjenigen hier vor Gott noch einmal nennen, die Inge Deutschkron gestern Abend genannt hat, die jahrelang ein todgeweihtes Leben führten, weil sie mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit Mitmenschen für die Juden waren.
Jeder hat seinen unverwechselbaren Weg, der nicht austauschbar ist.
Nicht wenige mussten ein langes Erbe gesellschaftlicher Standards abarbeiten. Sie mussten erst viel lernen und lassen, bis sie hier in diesen Schuppen als gefesselte und doch freie Menschen gingen.
Ich denke an Ferdinand Freiherr von Lüninck, dem das Zentrum als eine von den Arbeitern bestimmte Partei nicht seinem Stande entsprach, der als Monarchist in der DNVP Hoffnungen auf Hitler setzte und 1933 Oberpräsident von Westfalen wurde und sich sogar gegen den Bischof von Münster stellte. Aber sein christlicher Glaube war ihm entscheidende Richtschnur. Als er sah, dass er die menschen- und glaubensfeindliche Politik der Nazis nicht korrigieren konnte, legte er 1938 das Amt nieder, trat aus der NSDAP aus und ging in den Widerstand. Am 14. November 1944 ging er hier ins ewige Leben.
Die grauenhaften Fleischerhaken hier sagen:
Hier sind Wege in die helle Wahrheit gegangen worden und an ihr Ziel gekommen. Hier haben Menschen das Joch Jesu auf sich genommen. Die Wahrheit Jesu ist zwar gesellschaftlich ganz unten und doch ist sie von der Erde erhöht, am Kreuz und am Galgen. Sie ist anziehend.
Wir wollen denen, die für die Wahrheit ihr Leben eingesetzt haben, Ehre erweisen. Das geht nicht einfach mit Reden und spätem Beifall. Die Tugend der Ehre liegt in dem, der Ehre erweisen kann. Wir können aber nur Ehre erweisen, wenn wir den Weg in die Wahrheit aus unseren jeweiligen Vorbedingungen heraus auf je unsere Weise gehen.
Es ist ein Weg, der die Unwahrheit zutiefst im eigenen Leben erkennt und dann erst als äußere Darstellung in Staat und Gesellschaft wahrnimmt.
Die tiefste Grundlage der Heilung ist demgegenüber der Glaube an den Gott, der sich als der zeigt, als der er da sein wird. Dieser Gott sorgt sich um die Ehre derjenigen, die seine Ehre suchen. Er hält die, die für ihn unten sind, oben.
Die Menschen jeder Zeit brauen unheimlich viel zusammen – auch wir. Vieles Unmenschliche und Zerstörerische ist verdeckt durch beifallerheischendes Äußeres – auch bei uns.
Die Verantwortung für spätere Ausbrüche steht bei uns und wird unter Gottes Gericht aufgedeckt.
Wir müssen uns fragen: Was sind heute die Felder sich anbahnender Vernichtung? Wo braut sich Fremdenfeindlichkeit zusammen, d.h. Voreingenommenheit gegen alle, die mich in meiner Lebensvorstellung befremden, angefangen vom ungeborenen Kind, das der Lebensplanung im Wege steht, über die Menschen, die durch die Globalisierung an Europas Grenzen drängen, bis hin zu den Alten, die offenkundig nutzlos sind und immer noch nicht sterben wollen? Wie gesagt: Der Blick geht nicht auf äußere Strukturen, sondern auf mich: Wo wächst etwas davon in mir?
Die Frage schließt sich an: Aus welchen Quellen leben wir?
Leben wir hauptsächlich aus gesellschaftlichen Standards? Das können auch kirchliche Standards sein. Dann brauchen wir viel, um oben zu sein, und werden wenig zum Teilen erübrigen. Oder glauben wir, dass Gott jetzt mir liebend gegenwärtig ist und genug Leben gibt?
Sind wir in dem Sinne Weise und Kluge, die wissen, wie man vorwärts kommt, oder gehören wir zu den Unmündigen, die hinhören und in vielen kleinen Geschehnissen und Entscheidungen die Zusage heraushören: Ich bin der, der für dich da sein wird. Und die aus diesem Wissen die eigene Lebenswelt einfach zu deuten vermögen und danach handeln.
Die den Weg der Wahrheit gegangen sind, sind in Christus Jesus Vorbild für kommende Generationen, und sie sind aus seinem Geist Zustrom an Kraft. Mögen auch wir daraus dem Namen dieses einen Gottes die Ehre erweisen, die ihm gebührt!
Amen