Ihr Handeln hat die Entwicklung der Demokratie in Deutschland erst ermöglicht
INCLUDEPICTURE "file:///G:/Stiepani/Bilder/LOGO_GDW.jpg" \* MERGEFORMATINET Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Hans Koschnick
Ihr Handeln hat die Entwicklung der Demokratie in Deutschland erst ermöglicht
Rede des Vorsitzenden der Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ e.V. Dr. h.c. Hans Koschnick am 19. Juli 2003 in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin aus Anlass der Eröffnung der Ausstellung „Gegen Diktatur - Demokratischer Widerstand in Deutschland 1933-1945/1945-1989“
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
als ich am 20. Juli 1989 mit der Gedenkrede in Plötzensee der Opfer des deutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus gedachte, konnte ich nicht ahnen, dass knapp 3 Monate später die Berliner Mauer fallen und die Zeit der unseligen Trennung unseres Landes vorbei sein würde. Durch Staatsmacht brutal gesichert, schien dieses Bauwerk - Dokumentation der Teilung unseres Volkes - den Stürmen der sich wandelnden Welt zu trotzen. Zum Glück kam es anders, gewiss nicht über Nacht, jedoch zeitlich noch unerwartet. Freiheitliches Aufbegehren, Widerstand gegen totalitäre Staats- und Gesellschaftsmacht und ein beharrliches Bewusstsein davon, dass ein Volk nicht aus außenpolitischen Gründen und schon gar nicht aus vermeintlich gesellschaftspolitischen Zwängen auf Dauer auseinandergerissen bleiben kann, zeitigten Erfolg.
Eine lange, schwierige und keineswegs immer erfolgreiche Zeit des Ringens um individuelle Freiheit, demokratische Selbstbestimmung und Rechtsstaatlichkeit fand seinen Abschluss. Die Freude über das „Erreichte“ gipfelte am Tag der Öffnung der „eisernen bzw. betongegossenen Mauer“ in dem immer wieder aufflammenden Lied „So ein Tag, so wunderschön wie heute“. Es symbolisierte beeindruckend das ursprüngliche, das menschliche Gefühl all derer, die auf eine gemeinsame Zukunft hofften.
Gar wenig war in jenen Stunden von denen die Rede, die in beharrlichem Engagement die Säulen totalitärer Herrschaft unterminierten, von denen, die lange vorher aufgestanden waren gegen Unrecht und totalitäre Gewalt und die das Bewusstsein von friedensorientierter Veränderung in unserem Volke lebendig hielten. Nein, die Freude überwog, das Prinzipielle sollte in der öffentlichen Wahrnehmung später - doch nicht zu spät - seinen Ausdruck finden. Allerdings, so wenig der aus dem Arbeiteraufbegehren zum Volksaufstand sich entwickelnde 17. Juni 1953 im kollektiven Bewusstsein unseres Volkes seinen Platz fand, so wenig hatte über lange Jahre Verdienst und Opfergang des deutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in den tragenden Reflexionen einer neukonzipierten wehrhaften Demokratie seinen unbestrittenen Bestand gehabt.
Wie häufig mussten diejenigen, die nicht vergessen oder verdrängen wollten, auf das Erbe und auf die sich daraus ergebenden Verpflichtungen des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus hinweisen, um neuer Tyrannei die Stirn zu bieten. Immer wieder galt es, die gefährdeten Grundlagen unveräußerlicher Menschenrechte, von Freiheiten und Pflichten eines jeden Einzelnen, von der prinzipiellen Sicherung rechtsstaatlicher Gemeinschaft und gegenseitiger solidarischer Verbundenheit in die Erinnerung zu rufen. Diese sollten nicht im Dunst des allgegenwärtigen Tagesablaufs versinken. Man wandte sich gegen ein einfaches Hinnehmen der Zeitumstände, gegen ein „sich durch den Tag mogeln“, gegen ein „die Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“.
Dem Widerstehen, dem Aufbegehren, der Suche nach der Verwirklichung von mehr Menschlichkeit, dem Eintreten für Freiheit und Gerechtigkeit ist diese Ausstellung gewidmet. Sie soll nicht nur Einzelne in ihrer bewiesenen Zivilcourage würdigen, nicht nur ihr Engagement für eine gerechte Sache verdeutlichen, nicht nur Gruppen für ihr Eintreten auch und gerade unter größter persönlicher Gefährdung heraustreten lassen, sondern soll auch in einer sich immer geschichtsloser gebärdenden Gesellschaft individuelle Zeichen vorbildhafter Gesinnung sichtbar machen. Sie will zugleich zeigen, dass zwei Diktaturen auf deutschem Boden es nicht vermocht haben, trotz Zwang und physischem wie psychischem Terror den entschiedenen Menschen wehr- und willenlos zu machen. Dem „Aufstand des Gewissens“, in seiner Motivation für alle Widerstandskämpfer als prägend verstanden, steht die Zivilcourage eines jeden Einzelnen zur Seite, der sich entschlossen hatte, gegen den Strom der Zeit zu schwimmen.
Wer über Motivation der Zielsetzung von Widerstehen in schwieriger Zeit verantwortungsvoll reflektieren will, muss sich mit beiden deutschen Systemen beschäftigen. Und zwar auch dann, wenn er die Gewaltherrschaft in der früheren SBZ und dem nachfolgenden SED-System als ein Ergebnis der unseligen Entwicklung zwischen 1933 und 1945 betrachtet.
Die Methoden und Zwangsmaßnahmen beider Diktaturen waren gewiss unterschiedlich, die vorgeschobenen Begründungen der Gewalt auch. Sie sind deshalb auch nur bedingt vergleichbar. Doch für die betroffenen Menschen, für alle die, die für Freiheit und Gerechtigkeit eintraten, waren sie allesamt gleichermaßen und keineswegs selten von ähnlichem, bisweilen unsagbaren Leid begleitet.
Am Anfang des Kampfes gegen ein sich etablierendes NS-Regime stehen die fast in Vergessenheit geratenen Namen derer, die schon Anfang der 30er Jahre warnten: „Wer Hitler wählt, wählt den Krieg“. Sie haben nach der Usurpation der Staatsmacht durch die „braune Führung“ sogleich begonnen Widerstand zu leisten und waren damit sofort massivster Verfolgung ausgesetzt.
Die Warnungen der Vertreter der Arbeiterbewegungen und auch die Proteste engagierter Christen, die in der Verletzung des „inneren Friedens“ gegenüber politisch Andersdenkenden, in Meinungsterror und Ausgrenzung zukünftiges Unheil erkannten, wurden von der Mehrzahl der Deutschen nicht ernst genug genommen. Erst als man die Vorboten einer friedensfeindlichen, zudem gewaltsamen Unrechtspolitik gegenüber dem In- und Ausland erkannte, wuchs ab 1937 zunehmend auch bei einigen Kräften des anfangs unkritischen, überwiegend national-konservativen Lagers der Wille zum Widerstehen. Gerade sie, die, von Herkunft und Tradition geprägt, einer staatsbürgerlichen Emanzipation im Rahmen republikbewusster Politik eher skeptisch - wenn nicht ablehnend - gegenüber standen, hatten später den aktivsten Anteil an der Vorbereitung und Durchführung des 20. Juli 1944. Triebfeder ihres Handelns war die Sorge um die Erhaltung bzw. Rückgewinnung des Friedens, war das Streben nach Wiedererlangung individueller Freiheit, waren die Bemühungen um eine Wiederherstellung rechtsstaatlicher Bindungen der Staatsgewalt. Nicht zuletzt bekümmerte sie der Verlust des internationalen Ansehens der deutschen Nation.
Da Widerstand gegen die Obrigkeit nicht zu den ihnen überlieferten Werten gehörte und für sie häufig mit dem Odium des Hochverrats gegenüber den Regierenden behaftet war, war zunächst der Abschied vom Mittun im System des Nationalsozialismus für sie persönlich ein quasi revolutionärer Akt.
Der Übergang von einem passiven Widerstand zum aktiven Widerstand war fließend. Die sofortige Aufnahme eines aktiven Widerstandes, etwa eine Arbeit im Untergrund gleich nach 1933, war - im Wesentlichen - nur den geschlossenen Gruppen aus dem überzeugten demokratischen und dem kommunistischen Lager der Weimarer Zeit möglich. Sie lehnten das NS-System prinzipiell ab und wollten ihre Position durch konkretes Handeln bekräftigen.
Wir wissen, dass Hoffnungen auf Einsicht über den Unrechtscharakter des Regimes sich bei den sogenannten Eliten zunächst als Fehleinschätzung erwiesen. Schließlich erhielt Hitler doch vom Ausland alles das, was den Demokraten der Weimarer Republik verwehrt oder nur in kleinster Münze zugestanden worden war. Seine Politik schien deshalb für nicht wenige eine wirklich erfolgversprechende Vertretung deutscher Interessen gegenüber dem Ausland zu sein. Warnungen vor den Folgen einer häufig auf Völkerrechtsbruch basierenden Politik wurden in den Wind geschlagen. Bei der inzwischen erreichten Zustimmung der Bevölkerung zur damaligen Führung des deutschen Staates waren deshalb Erwartungen auf eine entschiedene Reaktion der Eliten, aber auch breiter Schichten, kaum realistisch.
Gleichwohl wuchs bei den politisch Besorgten das Bewusstsein, dass mit Anwendung von Gewalt keine tragfähigen zwischenstaatlichen Lösungen zu erreichen sind und „Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ politisch keine konstruktive Perspektive in der modernen Welt mehr sein könne. Getragen wurde dies von der Erkenntnis, dass die Überschätzung der eigenen Kräfte und die Unterschätzung der Verteidigungsfähigkeit des demokratischen Europas im Kriegsfalle nur zu neuen katastrophalen Konsequenzen für die deutsche Nation führen musste.
Das mobilisierte Vertreter früherer gesellschaftlicher Führungsschichten, die sich später in den Kreisen um Ludwig Beck und Carl Friedrich Goerdeler versammelten. Sie waren enttäuscht von der Appeasement-Politik der westlichen Demokratien, die die Übergriffe Hitlers hinnahmen, weil ihnen seine antibolschewistische Agitation bedeutungsvoller schien als seine den Frieden in Europa gefährdende Außenpolitik. Manche Ansätze, ihm Einhalt bei seinem außenpolitischen Parforceritt zu gebieten, scheiterten. Die Sorgen um den Erhalt des Friedens nahmen zu und drängten zu entschiedeneren Aktionen.
Aus den Berichten der Angehörigen und Freunde, aus den Unterlagen der Archive und aus wissenschaftlichen Dokumentationen, ja selbst aus den Berichten des Reichssicherheitshauptamtes wissen wir heute, was die Frauen und Männer des Widerstands umtrieb, was sie bewegte. Ihre zu Recht gehegten Befürchtungen, Hitler werde Deutschland in den Krieg führen und ihr Wissen, dass dann das Vaterland am Ende schlimmer geschunden und geschwächt sein würde als am Ende des Ersten Weltkriegs, trieb sie zum Handeln. Das ließ sie nach Gleichgesinnten Ausschau halten. Sie verbanden sich mit früher einflussreichen Vertretern der demokratischen Parteien der Weimarer Republik. Zu ihnen stießen Männer der Kirche, die, wie Dietrich Bonhoeffer und Alfred Delp, nicht nur aus religiöser, sondern auch aus politischer Motivation zum Widerstand bereit waren.
Bei aller Gefährdung, die eine allzu breite Diskussion über eine bessere Zukunft mit sich bringen konnte, fand man sich in den Familien gestärkt. Manche Aktivität ging vom Engagement der Frauen aus, die ihrerseits dem Regime wegen seiner Gewaltpolitik, seiner Friedlosigkeit, seiner propagierten Religionsfeindlichkeit in bemerkenswerter Ablehnung gegenüberstanden und ihr Leben dabei ebenfalls aufs Spiel setzten.
Der Schritt weg von der vermeintlichen Staatsräson hin zum aktiven Widerstand, die Diskussionen um die Pflichten aus der Eidesbindung und die Problematik eines Anschlages auf eine zwar als verbrecherisch erkannte, gleichwohl aber im Volk weitgehend akzeptierte Führung verlangte eine Gewissensentscheidung, die den Einzelnen aus dem bisherigen Konsens seiner Gesellschaftskreise herausführte. Einsamkeit war ein Preis dieser aus Gewissenspflicht gewachsenen Entscheidung - und sie war nicht leicht zu tragen.
Wer wie ich gleich nach 1933 den Gang des Vaters durch Gefängnis, Zuchthaus und Konzentrationslager sowie die nachfolgende polizeiliche Überwachung erlebte, dabei auch von der Mutter für längere Zeit wegen ihrer Inhaftierung getrennt war, weiß um die Einsamkeit der Eltern, weiß um die bohrenden Fragen im Freundeskreis nach dem Sinn eines Widerstandes - mindestens in Bezug auf die Folgen für die Familie. Die Gewissheit, das aushalten zu müssen, die Hoffnung, dass letztlich doch die Angehörigen den Weg gutheißen würden, ist heute leicht auszusprechen. Damals verlangte es viel - manchmal kaum Nachvollziehbares - von allen Widerstandsbereiten!
Die gescheiterten Versuche der Widerstandsgruppen aus der Arbeiterbewegung, aus der Jugendbewegung und der studentischen Generation („Weiße Rose“), aus den Kirchen sowie aus den Kreisen, die sich anfangs nur auf den „Tag danach“, auf den Neuanfang nach einem befürchteten schrecklichen Kriegsende vorbereiteten - wie etwa der „Kreisauer Kreis“ um Helmuth James Graf von Moltke -, ließen die Erkenntnis reifen, dass bei dem etablierten Machtsicherungssystem des „Dritten Reiches“ nur ein gewaltsamer Umsturz zum Ziel führen konnte. Das wiederum verlangte, Entscheidungskräfte in der Wehrmacht dafür zu gewinnen. Deshalb wurde auf eine Handvoll entscheidender, die Befehlsstruktur des Militärs tatsächlich beeinflussender Männer gesetzt.
Man fand in Henning von Tresckow, in Claus Graf Schenk von Stauffenberg und ihren Freunden diese Männer, die bereit waren, den entscheidenden Schritt zur Entmachtung der Deutschland ruinierenden Staatsführung zu gehen. Sie wollten zugleich dafür sorgen, dass die Truppe für eine bestimmte Zeit zur Gewährleistung der Sicherheit im Innern zur Verfügung stand. Ohne Truppenverbände schien sonst ein Bürgerkrieg unausweichlich und damit der Verlust einer gebotenen Friedensfähigkeit gegenüber den Alliierten zwangsläufig. Insoweit gab es nur eine Chance zur Beendigung der braunen Herrschaft: Und das war die von patriotischen und verantwortungsbewussten Offizieren getragene Bereitschaft zur Tat.
Dass eine so ungewöhnliche Aktion wie die Beseitigung einer verbrecherischen Staatsführung ihre besondere Absicherung durch die Einbindung von Repräsentanten der demokratischen Parteien der Weimarer Zeit, aber auch von tragenden Kräften aus der Verwaltung und der Wirtschaft benötigte, war für die zum Umsturz Bereiten notwendige Konsequenz. Zwar war anfangs die Einbeziehung der Vertreter der Arbeiterbewegung keinesfalls unumstritten, doch gerade die zur Tat bereiten Offiziere und jüngere Repräsentanten des bürgerlichen Widerstandes drängten auf eine Bündelung aller handlungsbereiten Kräfte. Sie gelang! Diese Einigung war in der Ablehnung des Terrorsystems und der Verzweiflung über die Verbrechen am eigenen Volk wie an den Menschen anderer Nationen begründet; das verband selbst unterschiedlichste Gruppierungen. Alle wollten der Gewaltherrschaft Einhalt gebieten, wollten den Krieg beenden und damit auch den Kriegsgegnern beweisen, dass es ein „anderes Deutschland“ gab, welches Partner für eine notwendige Friedenslösung sein konnte. Dafür waren sie bereit, mit ihrem Leben einzustehen. Sie mussten es, als am 20. Juli 1944 das Attentat auf Hitler scheiterte. Der erkennbar gewordene Widerstand wurde vom Regime in Blut erstickt.
Es hat lange gedauert, bis der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in allen seinen Facetten in der Bundesrepublik akzeptiert und anerkannt worden ist - in der DDR wurde ohnehin nur ein ideologisch passender Ausschnitt gezeigt. Es war zunächst und vor allem der 20. Juli 1944, der das Bild vom Widerstand in der westdeutschen Öffentlichkeit geprägt hat. Erst nach der Beschäftigung mit dem Aufbegehren einer studentischen Generation („Weiße Rose“) wurde in den 70er Jahren sich mit dem Widerstand aus der republiktreuen Arbeiterschaft intensiver auseinandergesetzt. Im Osten Deutschlands stand demgegenüber der kommunistische Widerstand im Mittelpunkt.
Das heute in dieser Gedenkstätte in vergleichender Perspektive auch dem Widerstand gegen die SED-Diktatur Raum gegeben wird, wäre noch gestern schwer denkbar gewesen. Heute wird jedoch eine Ausstellung eröffnet, die Personen aus beiden geschichtlichen Epochen vorstellt. Sie haben eine Gemeinsamkeit: Ihr Handeln hat die Entwicklung der Demokratie in Deutschland maßgeblich erst ermöglicht. Ohne das Handeln dieser vielen Einzelnen hätte sich wohl kaum aus den Trümmern des Nationalsozialismus so schnell eine Entwicklung zu einem demokratischen Gemeinwesen vollziehen können, das sich auf positive Traditionen gründet und beziehen kann.
Während der 20. Juli 1944 in der öffentlichen Wahrnehmung seit mehr als 20 Jahren gerade in Westdeutschland als Symbol für Widerstand gegen den Nationalsozialismus verstanden wurde, haben wir uns erst vor kurzem öffentlichkeitswirksam mit der Symbolkraft des Widerstandes in der DDR befasst. Der 17. Juni 1953, dessen 50. Wiederkehr in diesem Jahr mit zahlreichen großen und kleinen Veranstaltungen begangen wurde, wird endlich als ein Ereignis verstanden, bei dem eine Traditionslinie demokratischer Erhebungen in Deutschland fortgesetzt wird. Diese Ausstellung fügt nunmehr zusammen, was zusammen gehört.
Widerstand und Widerstehen gegen zwei totalitäre Systeme auf deutschem Boden ist allerdings keine pathetisch zu würdigende Erfolgsgeschichte. Es waren eher kleine Gruppen und Einzelpersonen, die unter schwierigsten Umständen nicht zuletzt gesellschaftliche Ausgrenzung, vielfältige berufliche Nachteile und obendrein Gefahr für Leib und Leben in Kauf genommen haben. Sie wollten nicht von ihren Überzeugungen von Demokratie und Menschenrechten abweichen. Über die Grenzen der zeitlichen Epochen von Nationalsozialismus und SED-Regime hinweg hat es Menschen gegeben, die eben diesen Grundsätzen stets treu geblieben sind. Sie sind ein grundlegendes Element unserer heutigen staatlichen Identität. Daher ist es von besonderer Bedeutung, dass in dieser Ausstellung erstmals beide - in sich natürlich unterschiedlichen - Epochen betrachtet werden unter der gemeinsamen Überschrift „Für Demokratie und Menschenrechte“. Den Ausstellungsinitiatoren - dem Zentralverband Demokratischer Widerstandskämpfer- und Verfolgtenorganisationen (ZDWV) und ihrer Vorsitzenden Annemarie Renger - und den Ausstellungsmachern der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, allen voran dem Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Johannes Tuchel, ist daher besonders zu danken. Sie haben diese schwierige und sensible Aufgabe auf sich genommen und hervorragend gemeistert.
Die vielfältigen Ebenen des Widerstandes und Widerstehens - vom geplanten Tyrannenmord im Nationalsozialismus bis hin zum systemkritischen Dissens oder zur Fluchthilfe im SED-Regime - werden in dieser als Wanderausstellung konzipierten Dokumentation anhand von einzelnen Biografien vorgestellt. Auch dies hat eine Vorgeschichte. Nachdem es bereits zahlreiche Veröffentlichungen zu einzelnen Schicksalen von Widerstandskämpfern aus der Zeit des Nationalsozialismus gibt, haben unsere Freunde Karl Wilhelm Fricke, Peter Steinbach und Johannes Tuchel im vergangenen Jahr erstmals einen Band vorgelegt, in dem ganz unterschiedliche Biografien von Menschen enthalten sind, die sich zwischen 1945 und 1949 gegen die sowjetische Besatzungspolitik und zwischen 1949 und 1970 gegen die SED-Diktatur wandten. Diese 55 „politischen Lebensbilder“ - so nennen die Autoren ihre Sammlung - zeigen zunächst einmal in ihrer ganzen Breite die unterschiedlichen Ansätze und Aktivitäten über einen Zeitraum von mehr als 25 Jahren.
Sie erlauben einen Zugang gerade auch für jüngere Menschen, die die Umstände der Zeit oftmals nicht mehr kennen oder nachvollziehen können. Nachvollziehen kann man aber vielleicht die Lebenssituation, in der zum Beispiel junge Studenten sich gegen Unfreiheit, Ungerechtigkeit und Zwang auflehnen. Prominentes Beispiel in der Ausstellung ist natürlich die „Weiße Rose“, aber doch vielleicht ebenso interessant und Neugier weckend das Schicksal sehr viel Unbekannterer: des Studenten Arno Esch etwa, der wegen seines Engagements an der Rostocker Universität von den Sowjets schließlich zum Tode verurteilt und in Moskau hingerichtet wurde.
Es ist gut, diese Nachkriegsaktivitäten besonders zu erwähnen. Denn aus den vorgestellten Biografien geht hervor, dass es sich oft um junge Menschen in der SBZ/DDR handelte, die die letzten Tage des „Tausendjährigen Reiches“ noch bewusst erlebt hatten. Sie gingen voller Elan an den Neuaufbau. Ihre Hoffnungen wurden jedoch in der FDJ wie in anderen Organisationen schnell enttäuscht. Gleichwohl blieben sie nicht inaktiv, sondern handelten ihren Überzeugungen gemäß.
Die heute zu eröffnende Ausstellung stellt sich der Aufgabe, die verschiedenen Traditionslinien des Widerstandes aufzuzeigen und sichtbar zu machen. Auch nach 1945 gab es eine bemerkenswerte Vielfalt von dem, was heute wieder gefordert wird - „Zivilcourage“. Es gab sie auch immer wieder in Systemen, die Abweichungen nicht duldeten und mit ausuferndem Aufwand verfolgten und bestraften.
Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit mag das verdeutlichen. Ich verweise auf den ungeklärten Tod des Matthias Domaschk und die Aktivitäten der Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen in Jena. Die ausgestellten Dokumente und Bilder zeigen zum einen, mit welchem Aufwand und auch mit welchen perfiden Mitteln versucht wurde, diese Gruppen, diese Personen, wie es in der Sprache der Staatssicherheit hieß, zu „zersetzen“. Aber sie zeigen auch: Es ist ihnen nicht gelungen.
Einige der Namen, die aufgeführt werden, sind uns wohlbekannt. Sie haben eine gute Rolle bei dem Aufbau eines vereinten, demokratischen Deutschlands gespielt. Viele andere sollten bekannter werden - sie haben für mich Vorbildcharakter. Es ist das Verdienst dieser Ausstellung, uns diese Menschen näher zu bringen, sie in die Erinnerung zurückzurufen und ihnen somit auch einen Platz in der Geschichte zu geben. Menschen, die sich mit der Unterstützung von Angehörigen und Freunden, aber auch ganz alleine gegen übermächtig erscheinende Staats- und Überwachungsapparate gestellt haben, weil sie ihre Überzeugungen von Demokratie und menschlichem Miteinander gelebt haben. Wir sehen sie nicht als überhöhte Helden, sie sind vielmehr, und das ist eine sehr positive Botschaft der Ausstellung, eben auch „ganz normale“ Deutsche.
Sie zeigen uns: So bedrückend auch die Umstände sein mögen, wer auf sein Gewissen hört, wird sich an Menschlichkeit, Freiheit und Recht orientieren. Die Möglichkeit zum Handeln aus eigenverantwortlichem Tun wird in dieser Ausstellung erneut belegt. Hoffentlich nutzen viele Landsleute diese Chance, sich umfassender mit der Bedeutung eines freiheitlich begründeten Widerstehens vertraut zu machen!
Ich wünsche dieser Ausstellung viele Besucherinnen und Besucher, die die Chance zur Reflexion über die Möglichkeiten und Grenzen des Widerstehens gegen Diktaturen in Deutschland nutzen!
Hans Koschnick
Ihr Handeln hat die Entwicklung der Demokratie in Deutschland erst ermöglicht
Rede des Vorsitzenden der Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ e.V. Dr. h.c. Hans Koschnick am 19. Juli 2003 in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin aus Anlass der Eröffnung der Ausstellung „Gegen Diktatur - Demokratischer Widerstand in Deutschland 1933-1945/1945-1989“
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
als ich am 20. Juli 1989 mit der Gedenkrede in Plötzensee der Opfer des deutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus gedachte, konnte ich nicht ahnen, dass knapp 3 Monate später die Berliner Mauer fallen und die Zeit der unseligen Trennung unseres Landes vorbei sein würde. Durch Staatsmacht brutal gesichert, schien dieses Bauwerk - Dokumentation der Teilung unseres Volkes - den Stürmen der sich wandelnden Welt zu trotzen. Zum Glück kam es anders, gewiss nicht über Nacht, jedoch zeitlich noch unerwartet. Freiheitliches Aufbegehren, Widerstand gegen totalitäre Staats- und Gesellschaftsmacht und ein beharrliches Bewusstsein davon, dass ein Volk nicht aus außenpolitischen Gründen und schon gar nicht aus vermeintlich gesellschaftspolitischen Zwängen auf Dauer auseinandergerissen bleiben kann, zeitigten Erfolg.
Eine lange, schwierige und keineswegs immer erfolgreiche Zeit des Ringens um individuelle Freiheit, demokratische Selbstbestimmung und Rechtsstaatlichkeit fand seinen Abschluss. Die Freude über das „Erreichte“ gipfelte am Tag der Öffnung der „eisernen bzw. betongegossenen Mauer“ in dem immer wieder aufflammenden Lied „So ein Tag, so wunderschön wie heute“. Es symbolisierte beeindruckend das ursprüngliche, das menschliche Gefühl all derer, die auf eine gemeinsame Zukunft hofften.
Gar wenig war in jenen Stunden von denen die Rede, die in beharrlichem Engagement die Säulen totalitärer Herrschaft unterminierten, von denen, die lange vorher aufgestanden waren gegen Unrecht und totalitäre Gewalt und die das Bewusstsein von friedensorientierter Veränderung in unserem Volke lebendig hielten. Nein, die Freude überwog, das Prinzipielle sollte in der öffentlichen Wahrnehmung später - doch nicht zu spät - seinen Ausdruck finden. Allerdings, so wenig der aus dem Arbeiteraufbegehren zum Volksaufstand sich entwickelnde 17. Juni 1953 im kollektiven Bewusstsein unseres Volkes seinen Platz fand, so wenig hatte über lange Jahre Verdienst und Opfergang des deutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in den tragenden Reflexionen einer neukonzipierten wehrhaften Demokratie seinen unbestrittenen Bestand gehabt.
Wie häufig mussten diejenigen, die nicht vergessen oder verdrängen wollten, auf das Erbe und auf die sich daraus ergebenden Verpflichtungen des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus hinweisen, um neuer Tyrannei die Stirn zu bieten. Immer wieder galt es, die gefährdeten Grundlagen unveräußerlicher Menschenrechte, von Freiheiten und Pflichten eines jeden Einzelnen, von der prinzipiellen Sicherung rechtsstaatlicher Gemeinschaft und gegenseitiger solidarischer Verbundenheit in die Erinnerung zu rufen. Diese sollten nicht im Dunst des allgegenwärtigen Tagesablaufs versinken. Man wandte sich gegen ein einfaches Hinnehmen der Zeitumstände, gegen ein „sich durch den Tag mogeln“, gegen ein „die Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“.
Dem Widerstehen, dem Aufbegehren, der Suche nach der Verwirklichung von mehr Menschlichkeit, dem Eintreten für Freiheit und Gerechtigkeit ist diese Ausstellung gewidmet. Sie soll nicht nur Einzelne in ihrer bewiesenen Zivilcourage würdigen, nicht nur ihr Engagement für eine gerechte Sache verdeutlichen, nicht nur Gruppen für ihr Eintreten auch und gerade unter größter persönlicher Gefährdung heraustreten lassen, sondern soll auch in einer sich immer geschichtsloser gebärdenden Gesellschaft individuelle Zeichen vorbildhafter Gesinnung sichtbar machen. Sie will zugleich zeigen, dass zwei Diktaturen auf deutschem Boden es nicht vermocht haben, trotz Zwang und physischem wie psychischem Terror den entschiedenen Menschen wehr- und willenlos zu machen. Dem „Aufstand des Gewissens“, in seiner Motivation für alle Widerstandskämpfer als prägend verstanden, steht die Zivilcourage eines jeden Einzelnen zur Seite, der sich entschlossen hatte, gegen den Strom der Zeit zu schwimmen.
Wer über Motivation der Zielsetzung von Widerstehen in schwieriger Zeit verantwortungsvoll reflektieren will, muss sich mit beiden deutschen Systemen beschäftigen. Und zwar auch dann, wenn er die Gewaltherrschaft in der früheren SBZ und dem nachfolgenden SED-System als ein Ergebnis der unseligen Entwicklung zwischen 1933 und 1945 betrachtet.
Die Methoden und Zwangsmaßnahmen beider Diktaturen waren gewiss unterschiedlich, die vorgeschobenen Begründungen der Gewalt auch. Sie sind deshalb auch nur bedingt vergleichbar. Doch für die betroffenen Menschen, für alle die, die für Freiheit und Gerechtigkeit eintraten, waren sie allesamt gleichermaßen und keineswegs selten von ähnlichem, bisweilen unsagbaren Leid begleitet.
Am Anfang des Kampfes gegen ein sich etablierendes NS-Regime stehen die fast in Vergessenheit geratenen Namen derer, die schon Anfang der 30er Jahre warnten: „Wer Hitler wählt, wählt den Krieg“. Sie haben nach der Usurpation der Staatsmacht durch die „braune Führung“ sogleich begonnen Widerstand zu leisten und waren damit sofort massivster Verfolgung ausgesetzt.
Die Warnungen der Vertreter der Arbeiterbewegungen und auch die Proteste engagierter Christen, die in der Verletzung des „inneren Friedens“ gegenüber politisch Andersdenkenden, in Meinungsterror und Ausgrenzung zukünftiges Unheil erkannten, wurden von der Mehrzahl der Deutschen nicht ernst genug genommen. Erst als man die Vorboten einer friedensfeindlichen, zudem gewaltsamen Unrechtspolitik gegenüber dem In- und Ausland erkannte, wuchs ab 1937 zunehmend auch bei einigen Kräften des anfangs unkritischen, überwiegend national-konservativen Lagers der Wille zum Widerstehen. Gerade sie, die, von Herkunft und Tradition geprägt, einer staatsbürgerlichen Emanzipation im Rahmen republikbewusster Politik eher skeptisch - wenn nicht ablehnend - gegenüber standen, hatten später den aktivsten Anteil an der Vorbereitung und Durchführung des 20. Juli 1944. Triebfeder ihres Handelns war die Sorge um die Erhaltung bzw. Rückgewinnung des Friedens, war das Streben nach Wiedererlangung individueller Freiheit, waren die Bemühungen um eine Wiederherstellung rechtsstaatlicher Bindungen der Staatsgewalt. Nicht zuletzt bekümmerte sie der Verlust des internationalen Ansehens der deutschen Nation.
Da Widerstand gegen die Obrigkeit nicht zu den ihnen überlieferten Werten gehörte und für sie häufig mit dem Odium des Hochverrats gegenüber den Regierenden behaftet war, war zunächst der Abschied vom Mittun im System des Nationalsozialismus für sie persönlich ein quasi revolutionärer Akt.
Der Übergang von einem passiven Widerstand zum aktiven Widerstand war fließend. Die sofortige Aufnahme eines aktiven Widerstandes, etwa eine Arbeit im Untergrund gleich nach 1933, war - im Wesentlichen - nur den geschlossenen Gruppen aus dem überzeugten demokratischen und dem kommunistischen Lager der Weimarer Zeit möglich. Sie lehnten das NS-System prinzipiell ab und wollten ihre Position durch konkretes Handeln bekräftigen.
Wir wissen, dass Hoffnungen auf Einsicht über den Unrechtscharakter des Regimes sich bei den sogenannten Eliten zunächst als Fehleinschätzung erwiesen. Schließlich erhielt Hitler doch vom Ausland alles das, was den Demokraten der Weimarer Republik verwehrt oder nur in kleinster Münze zugestanden worden war. Seine Politik schien deshalb für nicht wenige eine wirklich erfolgversprechende Vertretung deutscher Interessen gegenüber dem Ausland zu sein. Warnungen vor den Folgen einer häufig auf Völkerrechtsbruch basierenden Politik wurden in den Wind geschlagen. Bei der inzwischen erreichten Zustimmung der Bevölkerung zur damaligen Führung des deutschen Staates waren deshalb Erwartungen auf eine entschiedene Reaktion der Eliten, aber auch breiter Schichten, kaum realistisch.
Gleichwohl wuchs bei den politisch Besorgten das Bewusstsein, dass mit Anwendung von Gewalt keine tragfähigen zwischenstaatlichen Lösungen zu erreichen sind und „Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ politisch keine konstruktive Perspektive in der modernen Welt mehr sein könne. Getragen wurde dies von der Erkenntnis, dass die Überschätzung der eigenen Kräfte und die Unterschätzung der Verteidigungsfähigkeit des demokratischen Europas im Kriegsfalle nur zu neuen katastrophalen Konsequenzen für die deutsche Nation führen musste.
Das mobilisierte Vertreter früherer gesellschaftlicher Führungsschichten, die sich später in den Kreisen um Ludwig Beck und Carl Friedrich Goerdeler versammelten. Sie waren enttäuscht von der Appeasement-Politik der westlichen Demokratien, die die Übergriffe Hitlers hinnahmen, weil ihnen seine antibolschewistische Agitation bedeutungsvoller schien als seine den Frieden in Europa gefährdende Außenpolitik. Manche Ansätze, ihm Einhalt bei seinem außenpolitischen Parforceritt zu gebieten, scheiterten. Die Sorgen um den Erhalt des Friedens nahmen zu und drängten zu entschiedeneren Aktionen.
Aus den Berichten der Angehörigen und Freunde, aus den Unterlagen der Archive und aus wissenschaftlichen Dokumentationen, ja selbst aus den Berichten des Reichssicherheitshauptamtes wissen wir heute, was die Frauen und Männer des Widerstands umtrieb, was sie bewegte. Ihre zu Recht gehegten Befürchtungen, Hitler werde Deutschland in den Krieg führen und ihr Wissen, dass dann das Vaterland am Ende schlimmer geschunden und geschwächt sein würde als am Ende des Ersten Weltkriegs, trieb sie zum Handeln. Das ließ sie nach Gleichgesinnten Ausschau halten. Sie verbanden sich mit früher einflussreichen Vertretern der demokratischen Parteien der Weimarer Republik. Zu ihnen stießen Männer der Kirche, die, wie Dietrich Bonhoeffer und Alfred Delp, nicht nur aus religiöser, sondern auch aus politischer Motivation zum Widerstand bereit waren.
Bei aller Gefährdung, die eine allzu breite Diskussion über eine bessere Zukunft mit sich bringen konnte, fand man sich in den Familien gestärkt. Manche Aktivität ging vom Engagement der Frauen aus, die ihrerseits dem Regime wegen seiner Gewaltpolitik, seiner Friedlosigkeit, seiner propagierten Religionsfeindlichkeit in bemerkenswerter Ablehnung gegenüberstanden und ihr Leben dabei ebenfalls aufs Spiel setzten.
Der Schritt weg von der vermeintlichen Staatsräson hin zum aktiven Widerstand, die Diskussionen um die Pflichten aus der Eidesbindung und die Problematik eines Anschlages auf eine zwar als verbrecherisch erkannte, gleichwohl aber im Volk weitgehend akzeptierte Führung verlangte eine Gewissensentscheidung, die den Einzelnen aus dem bisherigen Konsens seiner Gesellschaftskreise herausführte. Einsamkeit war ein Preis dieser aus Gewissenspflicht gewachsenen Entscheidung - und sie war nicht leicht zu tragen.
Wer wie ich gleich nach 1933 den Gang des Vaters durch Gefängnis, Zuchthaus und Konzentrationslager sowie die nachfolgende polizeiliche Überwachung erlebte, dabei auch von der Mutter für längere Zeit wegen ihrer Inhaftierung getrennt war, weiß um die Einsamkeit der Eltern, weiß um die bohrenden Fragen im Freundeskreis nach dem Sinn eines Widerstandes - mindestens in Bezug auf die Folgen für die Familie. Die Gewissheit, das aushalten zu müssen, die Hoffnung, dass letztlich doch die Angehörigen den Weg gutheißen würden, ist heute leicht auszusprechen. Damals verlangte es viel - manchmal kaum Nachvollziehbares - von allen Widerstandsbereiten!
Die gescheiterten Versuche der Widerstandsgruppen aus der Arbeiterbewegung, aus der Jugendbewegung und der studentischen Generation („Weiße Rose“), aus den Kirchen sowie aus den Kreisen, die sich anfangs nur auf den „Tag danach“, auf den Neuanfang nach einem befürchteten schrecklichen Kriegsende vorbereiteten - wie etwa der „Kreisauer Kreis“ um Helmuth James Graf von Moltke -, ließen die Erkenntnis reifen, dass bei dem etablierten Machtsicherungssystem des „Dritten Reiches“ nur ein gewaltsamer Umsturz zum Ziel führen konnte. Das wiederum verlangte, Entscheidungskräfte in der Wehrmacht dafür zu gewinnen. Deshalb wurde auf eine Handvoll entscheidender, die Befehlsstruktur des Militärs tatsächlich beeinflussender Männer gesetzt.
Man fand in Henning von Tresckow, in Claus Graf Schenk von Stauffenberg und ihren Freunden diese Männer, die bereit waren, den entscheidenden Schritt zur Entmachtung der Deutschland ruinierenden Staatsführung zu gehen. Sie wollten zugleich dafür sorgen, dass die Truppe für eine bestimmte Zeit zur Gewährleistung der Sicherheit im Innern zur Verfügung stand. Ohne Truppenverbände schien sonst ein Bürgerkrieg unausweichlich und damit der Verlust einer gebotenen Friedensfähigkeit gegenüber den Alliierten zwangsläufig. Insoweit gab es nur eine Chance zur Beendigung der braunen Herrschaft: Und das war die von patriotischen und verantwortungsbewussten Offizieren getragene Bereitschaft zur Tat.
Dass eine so ungewöhnliche Aktion wie die Beseitigung einer verbrecherischen Staatsführung ihre besondere Absicherung durch die Einbindung von Repräsentanten der demokratischen Parteien der Weimarer Zeit, aber auch von tragenden Kräften aus der Verwaltung und der Wirtschaft benötigte, war für die zum Umsturz Bereiten notwendige Konsequenz. Zwar war anfangs die Einbeziehung der Vertreter der Arbeiterbewegung keinesfalls unumstritten, doch gerade die zur Tat bereiten Offiziere und jüngere Repräsentanten des bürgerlichen Widerstandes drängten auf eine Bündelung aller handlungsbereiten Kräfte. Sie gelang! Diese Einigung war in der Ablehnung des Terrorsystems und der Verzweiflung über die Verbrechen am eigenen Volk wie an den Menschen anderer Nationen begründet; das verband selbst unterschiedlichste Gruppierungen. Alle wollten der Gewaltherrschaft Einhalt gebieten, wollten den Krieg beenden und damit auch den Kriegsgegnern beweisen, dass es ein „anderes Deutschland“ gab, welches Partner für eine notwendige Friedenslösung sein konnte. Dafür waren sie bereit, mit ihrem Leben einzustehen. Sie mussten es, als am 20. Juli 1944 das Attentat auf Hitler scheiterte. Der erkennbar gewordene Widerstand wurde vom Regime in Blut erstickt.
Es hat lange gedauert, bis der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in allen seinen Facetten in der Bundesrepublik akzeptiert und anerkannt worden ist - in der DDR wurde ohnehin nur ein ideologisch passender Ausschnitt gezeigt. Es war zunächst und vor allem der 20. Juli 1944, der das Bild vom Widerstand in der westdeutschen Öffentlichkeit geprägt hat. Erst nach der Beschäftigung mit dem Aufbegehren einer studentischen Generation („Weiße Rose“) wurde in den 70er Jahren sich mit dem Widerstand aus der republiktreuen Arbeiterschaft intensiver auseinandergesetzt. Im Osten Deutschlands stand demgegenüber der kommunistische Widerstand im Mittelpunkt.
Das heute in dieser Gedenkstätte in vergleichender Perspektive auch dem Widerstand gegen die SED-Diktatur Raum gegeben wird, wäre noch gestern schwer denkbar gewesen. Heute wird jedoch eine Ausstellung eröffnet, die Personen aus beiden geschichtlichen Epochen vorstellt. Sie haben eine Gemeinsamkeit: Ihr Handeln hat die Entwicklung der Demokratie in Deutschland maßgeblich erst ermöglicht. Ohne das Handeln dieser vielen Einzelnen hätte sich wohl kaum aus den Trümmern des Nationalsozialismus so schnell eine Entwicklung zu einem demokratischen Gemeinwesen vollziehen können, das sich auf positive Traditionen gründet und beziehen kann.
Während der 20. Juli 1944 in der öffentlichen Wahrnehmung seit mehr als 20 Jahren gerade in Westdeutschland als Symbol für Widerstand gegen den Nationalsozialismus verstanden wurde, haben wir uns erst vor kurzem öffentlichkeitswirksam mit der Symbolkraft des Widerstandes in der DDR befasst. Der 17. Juni 1953, dessen 50. Wiederkehr in diesem Jahr mit zahlreichen großen und kleinen Veranstaltungen begangen wurde, wird endlich als ein Ereignis verstanden, bei dem eine Traditionslinie demokratischer Erhebungen in Deutschland fortgesetzt wird. Diese Ausstellung fügt nunmehr zusammen, was zusammen gehört.
Widerstand und Widerstehen gegen zwei totalitäre Systeme auf deutschem Boden ist allerdings keine pathetisch zu würdigende Erfolgsgeschichte. Es waren eher kleine Gruppen und Einzelpersonen, die unter schwierigsten Umständen nicht zuletzt gesellschaftliche Ausgrenzung, vielfältige berufliche Nachteile und obendrein Gefahr für Leib und Leben in Kauf genommen haben. Sie wollten nicht von ihren Überzeugungen von Demokratie und Menschenrechten abweichen. Über die Grenzen der zeitlichen Epochen von Nationalsozialismus und SED-Regime hinweg hat es Menschen gegeben, die eben diesen Grundsätzen stets treu geblieben sind. Sie sind ein grundlegendes Element unserer heutigen staatlichen Identität. Daher ist es von besonderer Bedeutung, dass in dieser Ausstellung erstmals beide - in sich natürlich unterschiedlichen - Epochen betrachtet werden unter der gemeinsamen Überschrift „Für Demokratie und Menschenrechte“. Den Ausstellungsinitiatoren - dem Zentralverband Demokratischer Widerstandskämpfer- und Verfolgtenorganisationen (ZDWV) und ihrer Vorsitzenden Annemarie Renger - und den Ausstellungsmachern der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, allen voran dem Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Johannes Tuchel, ist daher besonders zu danken. Sie haben diese schwierige und sensible Aufgabe auf sich genommen und hervorragend gemeistert.
Die vielfältigen Ebenen des Widerstandes und Widerstehens - vom geplanten Tyrannenmord im Nationalsozialismus bis hin zum systemkritischen Dissens oder zur Fluchthilfe im SED-Regime - werden in dieser als Wanderausstellung konzipierten Dokumentation anhand von einzelnen Biografien vorgestellt. Auch dies hat eine Vorgeschichte. Nachdem es bereits zahlreiche Veröffentlichungen zu einzelnen Schicksalen von Widerstandskämpfern aus der Zeit des Nationalsozialismus gibt, haben unsere Freunde Karl Wilhelm Fricke, Peter Steinbach und Johannes Tuchel im vergangenen Jahr erstmals einen Band vorgelegt, in dem ganz unterschiedliche Biografien von Menschen enthalten sind, die sich zwischen 1945 und 1949 gegen die sowjetische Besatzungspolitik und zwischen 1949 und 1970 gegen die SED-Diktatur wandten. Diese 55 „politischen Lebensbilder“ - so nennen die Autoren ihre Sammlung - zeigen zunächst einmal in ihrer ganzen Breite die unterschiedlichen Ansätze und Aktivitäten über einen Zeitraum von mehr als 25 Jahren.
Sie erlauben einen Zugang gerade auch für jüngere Menschen, die die Umstände der Zeit oftmals nicht mehr kennen oder nachvollziehen können. Nachvollziehen kann man aber vielleicht die Lebenssituation, in der zum Beispiel junge Studenten sich gegen Unfreiheit, Ungerechtigkeit und Zwang auflehnen. Prominentes Beispiel in der Ausstellung ist natürlich die „Weiße Rose“, aber doch vielleicht ebenso interessant und Neugier weckend das Schicksal sehr viel Unbekannterer: des Studenten Arno Esch etwa, der wegen seines Engagements an der Rostocker Universität von den Sowjets schließlich zum Tode verurteilt und in Moskau hingerichtet wurde.
Es ist gut, diese Nachkriegsaktivitäten besonders zu erwähnen. Denn aus den vorgestellten Biografien geht hervor, dass es sich oft um junge Menschen in der SBZ/DDR handelte, die die letzten Tage des „Tausendjährigen Reiches“ noch bewusst erlebt hatten. Sie gingen voller Elan an den Neuaufbau. Ihre Hoffnungen wurden jedoch in der FDJ wie in anderen Organisationen schnell enttäuscht. Gleichwohl blieben sie nicht inaktiv, sondern handelten ihren Überzeugungen gemäß.
Die heute zu eröffnende Ausstellung stellt sich der Aufgabe, die verschiedenen Traditionslinien des Widerstandes aufzuzeigen und sichtbar zu machen. Auch nach 1945 gab es eine bemerkenswerte Vielfalt von dem, was heute wieder gefordert wird - „Zivilcourage“. Es gab sie auch immer wieder in Systemen, die Abweichungen nicht duldeten und mit ausuferndem Aufwand verfolgten und bestraften.
Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit mag das verdeutlichen. Ich verweise auf den ungeklärten Tod des Matthias Domaschk und die Aktivitäten der Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen in Jena. Die ausgestellten Dokumente und Bilder zeigen zum einen, mit welchem Aufwand und auch mit welchen perfiden Mitteln versucht wurde, diese Gruppen, diese Personen, wie es in der Sprache der Staatssicherheit hieß, zu „zersetzen“. Aber sie zeigen auch: Es ist ihnen nicht gelungen.
Einige der Namen, die aufgeführt werden, sind uns wohlbekannt. Sie haben eine gute Rolle bei dem Aufbau eines vereinten, demokratischen Deutschlands gespielt. Viele andere sollten bekannter werden - sie haben für mich Vorbildcharakter. Es ist das Verdienst dieser Ausstellung, uns diese Menschen näher zu bringen, sie in die Erinnerung zurückzurufen und ihnen somit auch einen Platz in der Geschichte zu geben. Menschen, die sich mit der Unterstützung von Angehörigen und Freunden, aber auch ganz alleine gegen übermächtig erscheinende Staats- und Überwachungsapparate gestellt haben, weil sie ihre Überzeugungen von Demokratie und menschlichem Miteinander gelebt haben. Wir sehen sie nicht als überhöhte Helden, sie sind vielmehr, und das ist eine sehr positive Botschaft der Ausstellung, eben auch „ganz normale“ Deutsche.
Sie zeigen uns: So bedrückend auch die Umstände sein mögen, wer auf sein Gewissen hört, wird sich an Menschlichkeit, Freiheit und Recht orientieren. Die Möglichkeit zum Handeln aus eigenverantwortlichem Tun wird in dieser Ausstellung erneut belegt. Hoffentlich nutzen viele Landsleute diese Chance, sich umfassender mit der Bedeutung eines freiheitlich begründeten Widerstehens vertraut zu machen!
Ich wünsche dieser Ausstellung viele Besucherinnen und Besucher, die die Chance zur Reflexion über die Möglichkeiten und Grenzen des Widerstehens gegen Diktaturen in Deutschland nutzen!