Kampf gegen Tyrannei ist Gehorsam vor Gott

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Asher Ben Natan

Kampf gegen Tyrannei ist Gehorsam vor Gott

Rede des israelischen Botschafters in Deutschland Asher Ben Natan in der Bonner Beethovenhalle am 20. Juli 1967

Das Recht der Menschen auf Freiheit und Menschenwürde, der Gedanke, dass das Leben einer Gesellschaft eher auf Vollkommenheit als auf Macht begründet ist, sind Postulate, die im jüdischen Denken tief verwurzelt sind.

Der Mensch im Ebenbild Gottes geschaffen, trägt in sich moralische Werte und Kräfte, die stärker sind als jede äußere Gewalt.

Ein altes hebräisches Wort sagt: „Widerstand gegen Tyrannei ist Gehorsam zu Gott.“ Es scheint mir ein geeignetes Wort für die Erhebung, derer heute hier gedacht wird. Die Männer des 20. Juli, wie auch viele mehr, die schon früher die Gefahren und Abgründe der nazistischen Tyrannei erkannt und bekämpft hatten, brachten Opfer, die sie ihrem Volk, aber auch ihrem eigenen Gewissen schuldig waren. Sie suchten ihr Volk und ihr Land zu retten, das durch die unaussprechlichen Verbrechen des Naziregimes beschmutzt und belastet wurde. Letzthin war das ein Kampf um die Freiheit eines Volkes. Ob nun dieser Kampf geführt wird gegen Tyrannei im eigenen Lande oder gegen Unterdrückung, die von außen droht - er beruht auf denselben moralischen Fundamenten. Widerstandskämpfer in den anderen Ländern wussten dies, als sie einen inneren und einen äußeren Feind zur gleichen Zeit bekämpfen mussten.

Ich will heute einige Worte zu Ihnen sprechen, zu dem Kampf des jüdischen Volkes um seine Freiheit.

Der erste Schritt, den das Volk zu seiner nationalen Befreiung unternahm, drückte sich im Widerstand gegen Tyrannei und Versklavung aus. Der Aufstand der Juden gegen die Pharaonen war ein Aufbegehren der Sklaven gegen ihre Unterdrücker.

Ihre Befreiung und der Exodus aus Ägypten war zu gleicher Zeit auch ein Bekenntnis zu einer Idee, zu einem Glauben. Dieses Ereignis, das mehr als 4.000 Jahre zurückliegt, wurde zum geschichtlichen Symbol dieses Volkes. Und noch heute ist es erlebte Geschichte, denn in jeder Generation wird jeder Jude aufgerufen, sich so zu verhalten und sich so zu sehen, als wäre er selbst aus Ägypten ausgezogen.

Die Geschichte des jüdischen Volkes ist die Geschichte seines Ringens um das Recht, im eigenen Land in Freiheit und Frieden leben zu können. Dieses Volk musste unzählige Male zur Waffe greifen, um seine Ideen und seine Freiheit zu verteidigen. Es musste gegen Ägypter, Philister, Phönizier, Assyrer und viele andere Völker, die schon lange vom Erdboden verschwunden sind, zum Kampfe antreten. Es musste sich gegen Hellenen und Römer, gegen Kreuzfahrer und Araber verteidigen und dennoch gab es nie auch nur einen Augenblick in der Geschichte, in dem es keine jüdische Ansiedlung im Heiligen Lande gab. Der größere Teil des Volkes hingegen wurde in alle Welt zerstreut und war dort der Willkür fremder Völker ausgesetzt, bei denen es ein prekäres Asyl fand.

In seiner langen Geschichte war das jüdische Volk allen nur erdenklichen Qualen, Folterungen und Vernichtungsarten ausgesetzt, denen Menschen fähig sind. Menschliches Erfindungsvermögen ist unerschöpflich, auch wenn es gilt, Menschen zu quälen und zu vernichten. Jedoch die größte Gefahr einer totalen Vernichtung und zugleich die abscheulichste, weil sie kalt berechnet und organisiert war, ist unserer Generation vorbehalten worden. Es ist bis heute vielen unverständlich und unfassbar, dass diese Gräueltaten in diesem Lande geschehen konnten. Dieses traurige Erbe wird erst dann überwunden sein, wenn die letzten Reste von blindem Hass, Intoleranz und rassistisch-nationalistischer Überheblichkeit, die noch mancherorts unterschwellig weiterleben, begraben sein werden.

Das Ende des 19. Jahrhunderts, das die Aufklärung und die Geburt nationaler Bewegungen mit sich brachte, sah auch die Wiederbelebung einer Bewegung der Juden, in ihr Land nach Zion zurückzukehren. In den Jahren bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war es Hunderttausenden, die entweder von dem Gedanken einer eigenen Heimstätte angezogen oder aus ihren Gastländern ausgestoßen wurden, gelungen, ein Land, das Wüste und Öde war, in einen blühenden Garten zu verwandeln. Es entstand eine neue Gesellschaftsordnung, altes Kulturgut wurde erneuert und das Hebräisch, eine uralte Sprache, die jahrtausendelang nur in den Gebeten weiterlebte, wurde wieder zur lebendigen Sprache des jüdischen Volkes.

Geschichtlich gesehen war dies ein Ereignis von einmaliger und monumentaler Bedeutung. Aber selbstverständlich für alle diejenigen, die dieses große menschlich-historische Abenteuer leben und miterleben durften.

Als am Ende des Zweiten Weltkrieges das Ausmaß der Vernichtung des jüdischen Volkes bekannt wurde, ging eine Welle des Entsetzens über die Welt. Noch irrten Hunderttausende, die der Hölle entkommen konnten, auf den Straßen Europas mit einem Ziel und einem Bestreben, nämlich in ihrem eigenen Land endlich Ruhe zu finden.

Das erwachende Weltgewissen fand seinen Ausdruck im Beschluss der Vereinten Nationen vom November 1947, die Gründung des Staates Israel zu ermöglichen.

Die Errichtung des Staates Israel und die Möglichkeit für das jüdische Volk mit seinen Nachbarn in friedlichem Einvernehmen zu leben, hätten unter die bedrückende Vergangenheit nicht nur einen Schlussstrich ziehen können, sondern hätten auch ein Auftakt sein können für eine segensreiche wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Mittleren Ostens. Es ist leider anders gekommen. Der junge Staat Israel musste schon in seinen ersten Tagen um seine Existenz kämpfen.

Vor 19 Jahren gab man 700.000 Juden, die damals in Israel lebten, nicht viel Chancen, dem Angriff gut ausgerüsteter Armeen aus 5 arabischen Ländern widerstehen zu können. Hass, Verhetzung und aufgepeitschter Nationalismus verblendeten die Massen und ihre Anführer in den arabischen Ländern und stürzte sie immer wieder in kostspielige Abenteuer. Eine fremde Macht hatte in der Zwischenzeit dieses Gebiet zum Spielraum ihrer eigennützigen Interessen gemacht und durch Waffenlieferungen neue Spannungen geschürt und Illusionen geschaffen.

1956 war die Welt erstaunt und verblüfft, dass 100 Stunden genügten, um ägyptische Truppen, die mit modernsten sowjetischen Waffen bestückt im Sinai aufmarschiert waren, zu besiegen und zu verjagen.

In den letzten Maitagen dieses Jahres schloss sich von Neuem ein stählerner Ring der Bedrohung um Israel. Aufrufe für einen totalen Krieg der Vernichtung und Vertreibung wurden in den arabischen Ländern fast täglich verbreitet.

Phantasie und Emotionen wurden bis zum Siedepunkt gebracht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Führer der arabischen Länder ein langsames und qualvolles Erwürgen des Staates Israel einem Zuschlagen vorgezogen hätten. Die Schließung des Wasserwegs des Golfes von Akaba, eine Intensivierung terroristischer Angriffe in Israel selbst und beschleunigte Vorarbeiten zwecks Abzweigung des Jordanwassers, all dies begleitet vom Truppenaufmarsch an den Grenzen Israels, sollten zur Demoralisierung, Schwächung und endgültigen Kapitulation führen.

Man rechnete darauf, dass Großmächte Israel die Hände binden oder tatenlos dem Geschehen zusehen würden.

Was nachher geschah, kann nicht mit der üblichen und wohl bekannten Terminologie von Blitzkrieg, Präventivschlag und überlegener Strategie erklärt werden.

Es war wohl ein Blitz, er war aber begleitet von einem Donner der Entrüstung, der Verzweiflung der Bevölkerung und der Entschlossenheit eines ganzen Volkes für seine Freiheit und seine Rechte bis zum letzten Mann zu kämpfen.

Der Geist der Makkabäer und der Verteidiger von Massada durchdrang das Land und inspirierte jeden seiner Soldaten und Bürger. Es war der Triumph des Menschen und ein bestechender Beweis, dass menschliche Qualitäten und Hingabe auch in einem modernen Krieg ausschlaggebend sein können.

Wogen der Sympathie schlugen uns in diesen Tagen aus der freien Welt entgegen. Auch in manchen Ländern, in denen eine freie Meinung Verrat bedeutet und auch in anderen, in denen die Politiker nicht nach der Meinung ihrer Mitbürger fragten, standen viele auf Seiten Israels, und es gab offene oder versteckte Sympathiebeweise. All dies war für uns Bestätigung und Ermutigung.

Die Haltung der deutschen Öffentlichkeit war besonders erfreulich und ermutigend. Sie hat viel dazu beigetragen, Brücken zu festigen und eine weitere Verständigung zu fördern.

Israel steht heute vor einer neuen und entscheidenden Phase seiner Existenz. Es hat von Neuem bewiesen, dass es bereit ist, seine Souveränität und Freiheit gegen alles und alle zu verteidigen. Die Anerkennung dieser Souveränität ist die Vorbedingung für alle Verhandlungen, die einen gerechten Frieden für alle herbeiführen könnten. Wer dies aber nicht verstehen und anerkennen will, wird selbst die Verantwortung tragen müssen für die Konsequenzen dieses Krieges und alles Elend und Leid, das er mit sich gebracht hat.

An dem Tag, an dem die Araber erkennen werden, dass ihr wahrer Feind nicht Israel ist, sondern Armut, Unwissenheit, Rückstand und Willkür, wird es möglich werden, Kräfte der Vernichtung in Quellen des Aufbaus und der Entwicklung zum gemeinsamen Wohl zu verwandeln. Dies aber ist unser aller Kampf um eine wahre Freiheit.






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