Lebendige Traditionen
Dieter Thomas
Lebendige Traditionen
Rede von Dieter Thomas, Vorstandsmitglied der Stiftung „20. Juli 1944“, am 20. Juli 1995 im Berliner Rathaus
Frau Bürgermeisterin, verehrte Gäste, liebe Freunde,
Vor einem Jahr versammelten wir uns hier in großer und prominenter Runde, um uns der 50. Wiederkehr des Tages vom 20. Juli 1944 zu erinnern. Wir wollten aber nicht, dass dieser Erinnerungstag zu einer Zäsur würde, so als habe es nach diesem 50. Jahrestag mit dem Gedenken sein Bewenden, so als sei dieser Tag und die mit ihm verbundenen Ereignisse nun endgültig dem Buch der Geschichte überantwortet und lebendiger Erinnerung nicht mehr zugänglich.
Dass sich am heutigen Tage die Tradition der vergangenen 5 Jahrzehnte fortsetzt, beweist Ihre Einladung, Frau Bürgermeisterin. Und wenn ich „Tradition“ sage, so möchte ich dieses Wort auch im rechten Sinn verstanden wissen. Ernst Reuter hat hier in Berlin 1952 wirklich Tradition begründet, als in einer Gedenkstunde der Grundstein für das Mahnmal in der Stauffenbergstraße gelegt wurde. Und in den folgenden Jahren versammelte der Senat von Berlin die Überlebenden und Hinterbliebenen gemeinsam mit aktiven Politikern der Nachkriegsjahre im Hotel Gerhus, später in Schöneberg und seit 1989 hier im Rathaus des wiedervereinigten Berlin. Immer war der Regierende Bürgermeister der Gastgeber, immer waren seine Mitarbeiter, vor allem die Protokollabteilung, diejenigen, die umsichtig und mit viel Fingerspitzengefühl die Vorarbeit leisteten und der Veranstaltung den Rahmen gaben. Gerade ihnen möchte ich nach so vielen Jahren im Namen aller Gäste des heutigen Abends einen herzlichen Dank sagen. Freilich, ihre Mühe wäre umsonst gewesen, hätten die Bürgermeister dieser Stadt nicht hinter ihnen gestanden, in den Jahren, als es noch getrennte Gedenkfeiern in Berlin und Bonn gab und auch seit es die große gemeinsame Veranstaltung der Bundesregierung, des Senats, der Stiftungen und der Verfolgtenverbände hier in Berlin gibt. Ich sagte, alle Bürgermeister haben sich hier engagiert, und wenn ich nach Ernst Reuter noch 4 andere Namen nenne, so deshalb, weil diese Männer in besonderem Maße neue Denkanstöße für lebendige Traditionen vermittelten. Ich meine Willi Brandt, Dietrich Stobbe, Richard von Weizsäcker, dem wir die Zusammenführung der Feiern in Berlin danken, und Eberhard Diepgen nach der Wende von 1989. Die Zahl der damals Beteiligten und die der gleichen Generation, also vor allem der Witwen, ist klein geworden, sowohl in der Stiftung als auch in den Verbänden, in deren Namen ich heute hier zu danken habe. 51 Jahre nach dem 20. Juli 1944 geht die Generation der Kinder schon dem Rentenalter entgegen oder hat es bereits erreicht, und die Enkelgeneration steht heute dort, wo Entscheidungen getroffen werden.
Das Erbe des deutschen Widerstandes darf aber gerade von dieser Generation nicht wie ein Gral in die Zukunft getragen werden, von dem man dauernd fürchten muss, er könne verlöschen. Der Bundespräsident hat uns alle im vergangenen Jahr am Abend im Schloss Bellevue daran erinnert, dass das Erbe des deutschen Widerstandes in der Erkenntnis liegt, dass man den totalitären Staat, gleich welcher Couleur, nicht erst bekämpfen dürfe, wenn er sich im Staat bereits eingenistet habe. Man müsse ihn vielmehr vom ersten Tag an bekämpfen, und zwar mit aller Kompromisslosigkeit. Und die ältere Generation, die das alles noch kannte, habe die Pflicht, es den jüngeren Menschen, die schon aus Altersgründen den totalitären Staat nicht mehr erlebt hätten, einzuimpfen, dass Totalitarismus nicht erst bei der Unterjochung und Ausrottung von Menschen beginne, sondern mit Hetze, Demütigung und Unterdrückung im ganz alltäglichen Leben.
Der Bundespräsident hat diesen Widerstand zu seinem bevorzugten Aufgabengebiet erklärt, und daran sei am Vorabend es 20. Juli 1995 noch einmal erinnert.
Frau Bürgermeisterin, wir alle danken Ihnen nochmals für die Einladung.
Lebendige Traditionen
Rede von Dieter Thomas, Vorstandsmitglied der Stiftung „20. Juli 1944“, am 20. Juli 1995 im Berliner Rathaus
Frau Bürgermeisterin, verehrte Gäste, liebe Freunde,
Vor einem Jahr versammelten wir uns hier in großer und prominenter Runde, um uns der 50. Wiederkehr des Tages vom 20. Juli 1944 zu erinnern. Wir wollten aber nicht, dass dieser Erinnerungstag zu einer Zäsur würde, so als habe es nach diesem 50. Jahrestag mit dem Gedenken sein Bewenden, so als sei dieser Tag und die mit ihm verbundenen Ereignisse nun endgültig dem Buch der Geschichte überantwortet und lebendiger Erinnerung nicht mehr zugänglich.
Dass sich am heutigen Tage die Tradition der vergangenen 5 Jahrzehnte fortsetzt, beweist Ihre Einladung, Frau Bürgermeisterin. Und wenn ich „Tradition“ sage, so möchte ich dieses Wort auch im rechten Sinn verstanden wissen. Ernst Reuter hat hier in Berlin 1952 wirklich Tradition begründet, als in einer Gedenkstunde der Grundstein für das Mahnmal in der Stauffenbergstraße gelegt wurde. Und in den folgenden Jahren versammelte der Senat von Berlin die Überlebenden und Hinterbliebenen gemeinsam mit aktiven Politikern der Nachkriegsjahre im Hotel Gerhus, später in Schöneberg und seit 1989 hier im Rathaus des wiedervereinigten Berlin. Immer war der Regierende Bürgermeister der Gastgeber, immer waren seine Mitarbeiter, vor allem die Protokollabteilung, diejenigen, die umsichtig und mit viel Fingerspitzengefühl die Vorarbeit leisteten und der Veranstaltung den Rahmen gaben. Gerade ihnen möchte ich nach so vielen Jahren im Namen aller Gäste des heutigen Abends einen herzlichen Dank sagen. Freilich, ihre Mühe wäre umsonst gewesen, hätten die Bürgermeister dieser Stadt nicht hinter ihnen gestanden, in den Jahren, als es noch getrennte Gedenkfeiern in Berlin und Bonn gab und auch seit es die große gemeinsame Veranstaltung der Bundesregierung, des Senats, der Stiftungen und der Verfolgtenverbände hier in Berlin gibt. Ich sagte, alle Bürgermeister haben sich hier engagiert, und wenn ich nach Ernst Reuter noch 4 andere Namen nenne, so deshalb, weil diese Männer in besonderem Maße neue Denkanstöße für lebendige Traditionen vermittelten. Ich meine Willi Brandt, Dietrich Stobbe, Richard von Weizsäcker, dem wir die Zusammenführung der Feiern in Berlin danken, und Eberhard Diepgen nach der Wende von 1989. Die Zahl der damals Beteiligten und die der gleichen Generation, also vor allem der Witwen, ist klein geworden, sowohl in der Stiftung als auch in den Verbänden, in deren Namen ich heute hier zu danken habe. 51 Jahre nach dem 20. Juli 1944 geht die Generation der Kinder schon dem Rentenalter entgegen oder hat es bereits erreicht, und die Enkelgeneration steht heute dort, wo Entscheidungen getroffen werden.
Das Erbe des deutschen Widerstandes darf aber gerade von dieser Generation nicht wie ein Gral in die Zukunft getragen werden, von dem man dauernd fürchten muss, er könne verlöschen. Der Bundespräsident hat uns alle im vergangenen Jahr am Abend im Schloss Bellevue daran erinnert, dass das Erbe des deutschen Widerstandes in der Erkenntnis liegt, dass man den totalitären Staat, gleich welcher Couleur, nicht erst bekämpfen dürfe, wenn er sich im Staat bereits eingenistet habe. Man müsse ihn vielmehr vom ersten Tag an bekämpfen, und zwar mit aller Kompromisslosigkeit. Und die ältere Generation, die das alles noch kannte, habe die Pflicht, es den jüngeren Menschen, die schon aus Altersgründen den totalitären Staat nicht mehr erlebt hätten, einzuimpfen, dass Totalitarismus nicht erst bei der Unterjochung und Ausrottung von Menschen beginne, sondern mit Hetze, Demütigung und Unterdrückung im ganz alltäglichen Leben.
Der Bundespräsident hat diesen Widerstand zu seinem bevorzugten Aufgabengebiet erklärt, und daran sei am Vorabend es 20. Juli 1995 noch einmal erinnert.
Frau Bürgermeisterin, wir alle danken Ihnen nochmals für die Einladung.