Predigt
Ökumenischer Gottesdienst anlässlich des 81. Jahrestages des 20. Juli 1944
am 20. Juli 2025 um 9 Uhr in der Gedenkstätte Plötzensee – zu Röm 5,1-5
- P. Klaus Mertes SJ -
Gerecht gemacht also aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn. Durch ihn haben wir auch im Glauben den Zugang zu der Gnade erhalten, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes. Mehr noch, wir rühmen uns ebenso der Bedrängnisse; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.
1
Paulus schreibt einen Teil seiner Briefe an die Gemeinden aus dem Gefängnis. Manchmal geht es um ganz konkrete Anliegen, zum Beispiel um die Sorge für einen entlaufenen Sklaven: „Ich, Paulus, ein alter Mann, der jetzt für Christus Jesus im Kerker liegt, bitte dich (= Philemon) für mein Kind Onesimus, dem ich im Gefängnis zum Vater geworden bin.“ Die Gedanken des Gefangenen gehen zu den Sorgen derer, die draußen sind. Mich erinnert das an Moltkes Briefe an seine Frau, wenn er sich etwa aus dem Gefängnis in Tegel heraus um Details der Gutsverwaltung in Kreisau kümmerte. Und das ist nicht nur bei ihm der Fall. In vielen Abschiedsbriefen der Widerstandskämpfer finden sich neben tiefen Einsichten ganz praktische Anweisungen an die daheim.
Paulus ermutigt aber auch diejenigen, die sich um ihn sorgen. Immerhin erwartet ihn im Gefängnis der Prozess, und eventuell ein Todesurteil. In Rom wird es dann auch soweit kommen. Einerseits spürt er im Gefängnis das Alleinsein: „Komm bald zu mir“, schreibt er an Titus. Aber er tröstet auch. Er sagt allerding nicht: „Mir geht es hier gut, macht euch keine Sorgen“, sondern vielmehr: „Ihr sollt wissen, dass alles, was mir zugestoßen ist, die Verbreitung des Evangeliums gefördert hat. Denn im ganzen Prätorium ist offenbar geworden, dass ich um Christi willen im Gefängnis sitze.“
Der Trost besteht also nicht in Beruhigung und Beschwichtigung von gutgemeinten Sorgen. Die Sorgen sind ja berechtigt: „Ich wurde geschlagen, erhielt fünfmal die neununddreißig Hiebe; dreimal wurde ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt“, und so weiter. Es geht vielmehr um eine Sinnerfahrung. „Im ganzen Prätorium ist offenbar geworden, dass ich um Christi willen im Gefängnis sitze.“ Das heißt auch: Die mich ins Gefängnis stecken, begreifen nicht, dass sie an dem mitwirken, was sie an mir bekämpfen. Sie wirken am Sieg des Evangeliums mit, ausgerechnet sie. Da klingt ein österlicher Triumph an.
In der Untersuchungshaft schrieb Dietrich Bonhoeffer 1943: „Es ist das Befreiende von Karfreitag und Ostern, dass die Gedanken weit über das persönliche Geschick hinaus gerissen werden zum letzten Sinn alles Lebens, Leidens und Geschehens überhaupt, und dass man eine große Hoffnung fasst.“ Sinnerfahrung und Hoffnung hängen zusammen. Von Vaclac Havel, einem Gefängnisinsassen aus späteren Zeiten, stammt der Satz: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht.“ Alfred Delp drückt dieselbe Erkenntnis aus, ohne das Wort Hoffnung in den Mund zu nehmen. „Es sollen einmal andere besser und glücklicher leben dürfen, weil wir gestorben sind.“ Die Anspannung im Gefängnis, die Folter, die Tage der Einsamkeit, die gefesselten Hände, die Erwartung der Verhandlung, die Tage des Wartens vor der Vollstreckung des Todesurteils – all das hat einen den Sinn.
Diktatoren und Tyrannen erkennt man ja daran, dass sie es als Niederlage erleben, wenn ihnen die Demütigung und Versklavung anderer Menschen und Völker nicht gelingt – wenn also die Unterworfenen ihnen nicht huldigen. Widerstand ist für sie eine Bedrohung, und sei es nur das Flugblatt einer Studentengruppe, das Abhören eines „Feindsenders“, das Auslegen von Postkarten und Ankleben von Zetteln, das bloße Nachdenken über die Zeit nach der Diktatur. Der Sieg über die Diktatur ist deswegen zunächst ein geistiger Sieg: „Ich huldige nicht. Ich unterwerfe mich nicht.“
Dieser Sieg ist nicht sichtbar. Unsichtbarkeit gehört zur Hoffnung dazu. „Hoffnung, die man sieht, ist keine Hoffnung“, meint Paulus. Aber sie ist doch da, als Sinnerfahrung. Die dunkle Seite der Macht spürt die Kraft in dieser Hoffnung, die auf einer Sinnerfahrung beruht, ganz genau. Deswegen schreit und tobt sie ja, wie einst der gefährliche Verrückte vom Volksgerichtshof. Sie bestätigt so, dass da etwas ist, was sehr stark ist. Hoffnung. Noch einmal mit Bonhoeffer: „Es ist das Befreiende von Karfreitag und Ostern, dass die Gedanken weit über das persönliche Geschick hinaus gerissen werden zum letzten Sinn alles Lebens, Leidens und Geschehens überhaupt, und dass man eine große Hoffnung fasst.“
2
Hoffnung ist die Frucht am Ende eines langen Weges. „Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld Bewährung, Bewährung Hoffnung.“ (Röm 5,2) Die Hoffnung steht nicht am Anfang, sondern am Ende. Es gibt Hoffnungen, die sich als Illusionen entpuppen. Viele von denen, die später in den Widerstand gingen, waren am Anfang vom „nationalen Aufbruch“ begeistert und verbanden mit ihm Hoffnungen, die sich später als illusorisch entpuppten, mehr noch: Hoffnungen, die in sich bereits den Keim der Unmenschlichkeit und Zerstörung trugen. Manche klammerten sich bis zum Schluss an diese Hoffnungen, obwohl es schon längst offensichtlich war, dass sie illusorisch waren und dass die Zerstörung ihr finales Stadium erreicht hatte.
Pseudo-Hoffnungen sind, so könnte man mit Paulus sagen, Früchte der Ungeduld. „Hypoménein“ ist das Wort, das Paulus benutzt, wörtlich übersetzt: „drunterbleiben“, den Schwierigkeiten nicht ausweichen. Menschen in Bedrängnis sind anfällig für das Ausweichen in schnelle Lösungen, und damit auch für die Verheißung von schnellen Lösungen. Sie machen Druck – auch auf die Politik –, weil sie selbst unter Druck stehen. Sie öffnen ihr Ohr denen, die Kompromisse verachten. Sie halten Politik als „geduldiges Bohren von harten Brettern“ (Max Weber) für ein Zeichen von Schwäche. Sie unterscheiden ungern zwischen lösbarem und unlösbarem Problem. Vielmehr setzen sie lieber auf die ganz großen Lösungen, die alle Probleme beseitigen und angeblich in ein neues goldenes Zeitalter führen. Wenn das goldene Zeitalter dann nicht kommt, bleibt nur die Verzweiflung. Der Suizid des Tyrannen ist sein tiefstes und letztes Wort über sich selbst und über die, die ihm bis in den Abgrund hinein folgten. Das war im April 1945 so, und es wird sich auf die eine oder andere Weise immer wieder bei den Tyrannen und Tyranneien dieser Welt wiederholen.
Ganz anders die Hoffnung, die durch die Bewährung gegangen ist. „Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld Bewährung, Bewährung Hoffnung.“ Hoffnung ist die Frucht eines Prozesses, der verwandelt. Wir gehen durch Feuer und kommen anders heraus, als wir hineingegangen sind. Diese Hoffnung ist mehr als der Optimismus, mehr als der Wunsch, möglichst unbehelligt aus einer schwierigen Situation herauszukommen. Dieser Wunsch darf ja sein. Moltke, Delp und Gerstenmaier diskutierten in den langen, quälenden Tegeler Monaten immer wieder die Frage, ob vielleicht doch noch ein Wunder geschehen könnte, dass sie ohne Todesurteil aus dem Prozess vor dem Volkgerichtshof herauskommen würden. Und mit ihnen taten es auch viele andere. Aber sie mussten schließlich akzeptieren, dass sie die Antwort auf diese Frage nicht in der Hand hatten.
Optimismus (espoir), so schreibt die französische Philosophin Corine Pelluchon, „resultiert oft aus mangelnder Ehrlichkeit und fehlendem Mut; er ist eine Form der Verleugnung, die den Ernst der Lage verschleiert oder glauben macht, man habe die Lösung für alle Probleme ... Die Hoffnung (espérance) taucht unerwartet am Ende eines harten Kampfes auf, bei dem man dachte, man würde sterben. Sie bricht an wie die Morgendämmerung, wenn das besiegte Individuum alles aufgibt, alle Selbstüberzeugungen und Erwartungen. Dieses Loslassen ist eine Selbsthingabe, eine Selbstverleugnung oder Loslösung. Sie gibt dem Individuum eine Ahnung von der Lebenskraft, in der es seinen Ursprung hat.“
„Das Loslassen ist das Schwierigste“, sagt Delp. Dafür schenkt es die Ahnung von einer Lebenskraft, in der die menschliche Person ihren Ursprung hat – eine Ahnung von Gottes Gegenwart. Die Hoffnung ist eine theologische Tugend. Sie verbindet uns mit der Quelle des Lebens.