Totengedenken

Dieter Thomas

Totengedenken

Totengedenken von Dieter Thomas am 20. Juli 1994 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Wir gedenken unserer Toten!

Heute vor 50 Jahren, in den späten Abendstunden des 20. Juli 1944, starben deutsche Offiziere vor dem Exekutionskommando in der Bendlerstraße. Sie setzten ihr Leben ein, um Deutschland von Adolf Hitler zu befreien. Wir ehren ihre Namen auf der Gedenktafel im Ehrenhof in der Stauffenbergstraße.

Wir gedenken aller Frauen und Männer, die in der Folge des 20. Juli 1944 nach Qualen vor Freislers Volksgerichtshof und vor den Sondergerichten, aber auch ohne Urteil und Untersuchung in Plötzensee, in der Lehrter Straße und in den anderen Lagern, Zuchthäusern und Gefängnissen des Dritten Reiches ermordet wurden.

Wir gedenken aller Frauen und Männer, die schon seit 1933 in den bitteren Jahren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im Widerstand lebten und schließlich ihr Leben hingeben mussten. Es waren Frauen und Männer aus den Parteien der Weimarer Republik, es waren Frauen und Männer aus den Gewerkschaften, es waren Unternehmer und Arbeiter, Beamte und Angestellte, es waren Professoren und Studenten, Offiziere, Soldaten und Männer der Kirchen, aber es waren auch Menschen aus dem weiten Kreis derer, die, jeder für sich und oft allein, die nationalsozialistische Lebensauffassung nicht zu ertragen vermochten.

Wir gedenken aller, die sterben mussten, weil sie eine andere Hautfarbe hatten, einem anderen Volk oder einer anderen Religion angehörten oder sogenanntem lebensunwertem Leben zugerechnet wurden. Wir gedenken vor allem der Millionen deutscher jüdischer Mitbürger und der jüdischen Bürger aus dem besetzten Europa, die in den Vernichtungslagern in den Weiten des Ostens ermordet wurden und verschwanden, so, als hätte es sie nie gegeben.

Wir gedenken der Frauen und Männer in den von Deutschland besetzten Staaten Europas, die sich in den Widerstandsorganisationen mit der Unterwerfung durch Hitlers Gewaltherrschaft nicht abfanden und dafür sterben mussten.

Ein Meer von Leiden und Tod durch zwölf Jahre hindurch, eine Hoffnung, dass dieses millionenfache Leiden uns auch nach einem halben Jahrhundert mahnt, Gewalt und Unrecht zu widerstehen und Toleranz zu üben auch gegenüber denen, die guten Gewissens eine andere Meinung vertreten; eine Mahnung an uns Deutsche, aber auch an Europa und die Welt.

Wir denken an unsere Toten in Dankbarkeit und in der Stille.





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