Zum 25-jährigen Jubiläum des Zentralverbandes Demokratischer Widerstandskämpfer- und Verfolgtenorganisationen (ZDWV)

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Werner Goldberg

Zum 25-jährigen Jubiläum des Zentralverbandes Demokratischer Widerstandskämpfer- und Verfolgtenorganisationen (ZDWV)

Gedenkansprache des Vorsitzenden des Bundes der Verfolgten des Naziregimes (BVN) Berlin Werner Goldberg am 20. Juli 1979 in der Stadthalle Bonn-Bad Godesberg

Liebe Kameradinnen und Kameraden!

25 Jahre ZDWV. Vor 25 Jahren, 1954, war die Teilung unseres Vaterlandes in das Stadium der Perfektionierung getreten, auch wenn es den Mauerbau und die Selbstschussanlagen noch nicht gab. Der europäische Einigungsgedanke war dominierend und suchte in der europäischen Verteidigungsgemeinschaft eine greifbare Verwirklichung. Die expandierende und imperialistische Politik der Sowjetunion kräftigte den Konsensus der demokratischen Kräfte in Europa. Dass sich in Deutschland in dieser Zeit überparteiliche Zusammenschlüsse und Gründungen von Demokraten häuften, ist sicher kein Zufall gewesen. Wir treten daher heute in die Ära der Jubiläen solcher Gründungen ein, und manchmal beschleicht einen heute das Unbehagen, dass solche Jubiläen nicht mehr als nur ein nostalgischer Rückblick in die Gründungszeit seien und nicht eigentlich als eine Bestätigung der Notwendigkeit und der Zweckmäßigkeit auch in der Gegenwart und für die Zukunft angesehen werden. Natürlich weiß auch ich und wissen wir alle, dass die Zeit und die darin vorgegangene Entwicklung manches verändert haben. Manche Prioritäten werden heute anders gesetzt, als wir es uns vielleicht wünschen.

Aber gerade das fordert meines Erachtens eine grundlegende Betrachtung anlässlich eines 25-jährigen Jubiläums heraus, die jenseits der materiellen Wertvorstellungen liegt und vielleicht auch den Charakter einer Tischrede sprengt. Dennoch will ich in aller gebotenen Kürze versuchen, die Probleme wenigstens strukturell aufzuzeigen, um deren Lösungen wir uns nur dann mit Erfolg bemühen, wenn wir in ihnen eine Übereinstimmung finden können. Zur Jahreswende 1941/42 haben sich Churchill und Roosevelt bei Neufundland auf einem Kriegsschiff getroffen und ihre Absichten in der Atlantik-Charta der Weltöffentlichkeit zugänglich gemacht. Sie bauten auf Erfahrungen auf und wiesen in eine Zukunft der freiheitlichen Gestaltung des Lebens der Menschen und der Völker untereinander. Eine Hoffnung für die Welt für die Zeit nach der Niederringung Deutschlands war geboren worden, der sich bald viele Nationen anschlossen. Das Wort von den 4 Freiheiten war geboren und internationale Richtlinien für die Völkerzukunft formuliert worden. Liest man sie heute, so wird man feststellen können, dass sie eigentlich Selbstverständlichkeiten enthalten, die keiner Festlegungen bedürfen. Sie ergeben sich nämlich aus dem ewigen Sittengesetz, den ethischen und moralischen Gesetzen menschlichen Zusammenlebens schlechthin. Damals waren sie allerdings eben nicht so selbstverständlich, denn Hitler hatte sie mit Füßen getreten und sich über sie hinweggesetzt, um sich selber zum Maß der Dinge zu machen. Und wenn ich es recht überlege, so ist die Beurteilung unseres gemeinsamen Verfolgungsschicksals eigentlich ohne den Maßstab dieser sittlichen Normen gar nicht denkbar. Ich gehe noch weiter: Die Verfolgung wäre überhaupt nicht angreifbar oder kritisierbar, wenn es diese Normen nicht gäbe! Rechte des Einzelnen basieren darauf und stellen ein wichtiges Stück westeuropäischer Kulturgeschichte dar! Formulierungen in Verfassungen und Gesetzen würden ohne sie nicht zustande gekommen sein und folgen diesen Grundsätzen.

Das Abweichen von diesen Normen durch Hitler und das Außerkraftsetzen dieser Grundsätze durch die Nationalsozialisten wurde damals als ein Fortschritt gepriesen und sogar gefeiert. Damit wurde zugleich das Unrechtsbewusstsein verdrängt, wenngleich es sich oft wenigstens gefühlsmäßig erhalten hatte. „Tribunal der Sieger“ heißt ein Buch über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse! Womit doch der Versuch in Zweifel gezogen wird, den sittlichen und ethischen Gesetzen wieder zur Geltung zu verhelfen; denn dazu gehört schließlich auch der Strafanspruch gegenüber denen, die diese Gesetze verletzt haben.

Die Widerstandskämpfer sind ein leuchtendes Beispiel dafür, dass sie sich nicht mit machtpolitischen Realitäten abgefunden haben, als Hitler alle jene Grundsätze über den Haufen warf. Auch heute darf es nicht angehen, sich etwa vermeintlicher Realitäten zu beugen, nur weil es opportun erscheint. Werden nicht gleichzeitig auch alle sittlichen Normen und Grundlagen gewahrt, muss das zu folgenschweren Irritationen führen. Vor allem wird ja vergessen, dass diese ebenfalls eine gewichtige Machtrealität darstellen. Verlassen wir selbst diese Grundsätze, so werden wir uns nicht darüber wundern dürfen, wenn unsere Anliegen immer weniger Gehör und Beachtung finden, wenn unser Einfluss schwindet und somit zu dem biologisch bedingten natürlichen Schwund noch ein weiterer hinzukommt.

Es ist eben nicht alles Fortschritt - wer weiß das besser als wir - was Veränderung preist oder dafür wirbt! Fortschritt kann sich nur aus den Wurzeln der Vergangenheit nähren und aus der Gegenwart neue Kraft zu weiteren Entwicklungen schöpfen. Diese müssen jedoch jene Werte enthalten, von denen ich sprach. Sie müssen von ihnen geprägt sein und sie müssen ihrer Erhaltung dienen. Und damit komme ich zur Zukunftsbetrachtung und dazu, was wir als Schicksalsgemeinschaft dazu beitragen können. Orientieren wir uns daran, was uns gedemütigt, geplagt und empört hat. Bleiben wir uns selber treu, indem wir uns frei von Zwängen bewegen. Je mehr Unrecht sich in der Welt breit machen sollte, um so wichtiger wird unsere Stimme sein. Wir sollten das Erlebte zu schätzen wissen, weil wir im Laufe von Jahrzehnten Denkende und Nachdenkende geworden sind. Empfinden wir mit Zuversicht und auch mit einer gewissen Behaglichkeit, was es für uns als großen und unschätzbaren Wert bedeutet, den uns niemand rauben kann. Daraus können wir immer wieder neue Kraft gewinnen.

In diesem Sinne wünsche ich dem ZDWV und zugleich „Freiheit und Recht“ weiterhin ein erfolgreiches Wirken und die Kraft, die für diese Überzeugungsarbeit benötigt wird. Besonderer Dank an unseren Vorsitzenden Karl Ibach. Dank dem Gesamtvorstand und allen Mitgliedern der angeschlossenen Verbände für die Treue, die sie unserem Anliegen durch alle die Jahre bewahrt haben. Ich bin gewiss, dass wir auch zukünftig darauf bauen können!






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