Der Mensch und seine Hoffnung auf Gott.

Karl Meyer

Der Mensch und seine Hoffnung auf Gott.



Predigt von Pater Dr. Karl Meyer am 20. Juli 1982 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Evangelium: Mk. 12, 18-27

Verehrte Anwesende, liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Das scheint auf den ersten Blick ein für diese Stunde recht eigenartiges Evangelium zu sein, dennoch ist es ein Schlüsseltext, mit dem wir die Tür in unsere Zukunft durchschreiten können.

Worum geht es? Das Thema ist der Mensch und seine Hoffnung auf Gott.

Was kann Hoffnung von Gott her geben?

Hoffnung kann der gesicherte Lebensraum der Familie bieten, dass Kinder da sind, die mein Erbe in sich tragen, dass mein Name erhalten bleiben wird.

Hoffnung kann eine gute Lebensordnung des Staates einflößen. Hoffnung kann die Ordnung der Natur, der stetige Gang der Dinge sein, und wahrlich ist sie ein Zeichen der Fürsorge Gottes. Es hat mich berührt, die alte Eiche am Eingang der Gedächtnisstätte zu sehen. Was ist nicht alles in der Nähe dieser Eiche geschehen! Dennoch grünt sie auch heute.

Hoffnung kann aber auch durch die eigentümliche Sicherheit auf dem Weg durch die Fremde und das Dunkel entstehen, die uns bisweilen geschenkt wird.

Alles genannte ist als Wegmarke auf den Weg gestellt, dass die Hoffnung daran wachse.

Dazu kommen Zeugnisse der Erlebnisse und Erfahrungen, der Lebensweisheit anderer, die überliefert und aufgeschrieben wurden. Besonders die Bibel ist voll von Zeugnissen großer und kleiner Hoffnung.

Aber welches Zeugnis spricht die Menschen jeweils an?

Die Sadduzäer erinnern sich – gerade angesichts der Person und der Lehre Jesu – an ein Gesetz des Mose, in dem der Fortgang der Sippe, das Fortleben in den Kindern, das Bestehen des Namens als ein hoher Wert erscheint.

Dieser hohe Wert wird von ihnen als höchster äußerster Wert im Namen Gottes gesetzt. Das verstehbare Wegzeichen, das als von Gott verordnete hilfreiche Lebensordnung in die Bibel gekommen ist, wird als Grenze für die Möglichkeiten Gottes gesehen. Auferstehung würde alles, was an göttlicher hoffnungsstärkender Ordnung in dieser Welt erkannt worden ist, auf den Kopf stellen. Das kann nicht sein.

Was soll Jesus zu dieser ‚Theologie der Stabilität’ sagen? Soll er zugeben, dass die Sadduzäer Recht haben?

Jesus tut das Gegenteil: Er hält diesen Leuten, die wahrlich die Bibel studiert haben, vor, dass sie die Schriften nicht kennen noch die Macht Gottes.

„Die Macht Gottes“: das ist der springende Punkt. Jesus kennt die Macht Gottes. Er hat sich Gott überlassen. Er hat ihm geglaubt, dass er wirklich jetzt helfen wolle, im jeweils ankommenden Augenblick. Er hat sich Gott als Handlanger angeboten. Und so sind unter seiner Hand erstaunliche Dinge passiert: Kranke wurden gesund, Besessene befreit, Stumme fingen an zu reden, versteinerte Herzen wurden zu menschlichen Herzen.

Auch Jesus liest die Schriften der Bibel, Auch er findet darin noch andere Texte der Hoffnung und Sicherheit. Die alten Geschichten vom Auszug aus Ägypten erweisen sich ihm als Vorspiele und Vorbilder für das, was durch ihn und in seiner Nähe passiert. Da werden sogar Stellen der Bibel sprechend, die für andere nichtssagend sind. Was heißt das denn schon: Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs? Heißt es denn überhaupt mehr als: Ich bin der Gott, den schon eure Väter angebetet haben, der schon damals hilfreich war, der dem Volk bis heute Bestand gegeben hat? Für Jesus ist da wirklich mehr gesagt. Dieser Gott, der sich damals nannte: „Ich bin der Ich-bin-für-euch-da“, erweist sich durch Jesus als gegenwärtig und für die Menschen eintretend. Wenn dieser Gott, der jetzt so mächtig handelt, sich als Gott Abrahams – eines sogenannten Toten – bezeichnet, dann bedeutet das auch, dass Abraham lebt.

Jesus nimmt sein Leben deswegen immer von Gott an. Was er an Leben hat, kann er deswegen auch immer verschenken; es wird ihm immer neu geschenkt. Am Kreuz, im Tod spricht er: Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist, mein Leben. Die Gemeinde Jesu nennt diesen Gott deshalb den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus – natürlich des lebenden Herrn.

Immer wieder haben sich Menschen in die Nachfolge Jesu begeben. Sie haben – auf sein Wort hin – bei keinem Vorzeichen der Hoffnung Halt gemacht, sondern haben der immer größeren Macht Gottes in der Gemeinschaft mit Christus vertraut.

Nicht die Familie war der Sicherungspunkt, nicht der Name, nicht die Sippe, nicht das Volk, nicht die Heimat, nicht die jeweils öffentlich gerühmte Tugend, nicht die eigenen Taten, von denen sie nicht wissen konnten, ob sie jemals öffentlich anerkannt werden würden.

Sie haben vielmehr die befreiende Macht Gottes erkannt, wenn sie sich – für den Menschen – entschieden. Wenn sie in der Bibel lasen, haben sie die richtigen Schriftstellen gefunden, die sie über Vorletztes weiterführten und in eine oft sehr ungewisse Zukunft gehen ließen.

Gott wird sich deshalb nicht scheuen, sich vor kommenden Generationen auch als der Gott des Alfred Delp, der Gott des Dietrich Bonhoeffer, der Gott des Helmuth James Graf von Moltke und vieler anderer mehr zu bezeichnen. Er ist nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebenden!

Gott, ein Gott von Lebenden, nicht von Toten! Dieses Zeugnis muss weitergetragen werden!

Fragen wir uns: Wie werden wir dahin kommen, diese Stelle so zu lesen wie Jesu, wie die Apostel, denen das Streitgespräch mit den Sadduzäern nicht aus dem Sinn ging?

Ich soll selbst in bescheidenen Anfängen der Macht Gottes mehr glauben als den Zeichen der Fürsorge Gottes, die ich schon verstehe, und ich soll das Leben, das ich empfangen habe, den Menschen weitergeben, die noch nichts von Gottes Trost verstehen, weil ihnen die einfachste Sicherheit mangelt – glaubend, dass neues Leben in mir nachströmt.

Und die, die Leid trugen um die Trümmer Deutschlands, die ihr Leben für dieses Volk aufs Spiel setzten, brauchen wir keine Sorge zu tragen: Gott ist ein Gott von Lebenden!

Ihr Zeugnis aber leite uns an, wenn unser Widerstand gefragt ist, den Widerstand wagen – weil Gott immer Leben genug für uns hat.







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20.07.1982
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