Der Widerstand war nicht vergeblich

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Klaus Wowereit

Der Widerstand war nicht vergeblich

Ansprache des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Klaus Wowereit am 20. Juli 2005 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Sehr geehrte Damen und Herren,

in diesem Jahr haben wir an vielen Orten des 60. Jahrestages des Kriegsendes gedacht. In Gedenkveranstaltungen, Fernsehbeiträgen, Kinofilmen und literarischen Werken ist uns noch einmal vor Augen geführt worden, mit welch schrecklichen Verbrechen Deutschland die Welt überzogen hatte und mit welcher Wucht sich der Krieg schließlich gegen seine Urheber richtete. Der 8. Mai 1945 war der Tag der Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Die bittere Erkenntnis, der wir uns stellen müssen, ist: Deutschland hat sich nicht selbst von seiner Gewaltherrschaft befreit.

Dennoch sind wir auch heute wieder zusammen gekommen, um daran zu erinnern, dass es Menschen gab, die dem organisierten Unrecht nicht tatenlos zusahen. Das waren Menschen und Gruppen, die sich in den Jahren 1933 bis 1945 gegen die nationalsozialistische Diktatur gewehrt und ihre Handlungsspielräume genutzt haben. Das waren Menschen, die Zivilcourage im Alltag zeigten und zum Beispiel Juden beim Überleben im Untergrund halfen. „Stille Helden“ hat Inge Deutschkron sie genannt. Ohne diese „Stillen Helden“ wäre sie heute nicht mehr am Leben.

Der 20. Juli erinnert uns vor allem an jene, die alles und auf jede persönliche Gefahr hin taten, um Deutschland von einer verbrecherischen Gewaltherrschaft zu befreien. Zwischen widerständigem Verhalten im Alltag und dem aktiven Hinwirken auf einen Umsturz liegen Welten. Und doch gibt es eine Gemeinsamkeit: Die aufrechte Weigerung, sich in den Strudel der Unmenschlichkeit hineinziehen zu lassen.

Hier, in Plötzensee, wurden zwischen 1933 und 1945 Tausende von Menschen ermordet. Wir gedenken ihrer, weil unter ihnen viele weitsichtige Frauen und Männer waren, die früh erkannten, welches Unheil das nationalsozialistische Deutschland anrichtete.

Menschen, die sich dem völligen moralischen Verfall widersetzten und gegen das massenhafte Morden, gegen die völlige Rechtlosigkeit an den Maßstäben der Mitmenschlichkeit, des Rechts und des Anstands festhielten. Mutige Frauen und Männer, die dem Unrecht Einhalt gebieten wollten. Sie haben gehandelt statt tatenlos zuzusehen. Sie haben auf ihr Gewissen gehört statt auf Befehle. Und sie waren bereit, dafür in den Tod zu gehen.

Gewiss: Der Aufstand vom 20. Juli 1944 hat nicht unmittelbar zum Erfolg geführt. Das Hitler-Regime wurde nicht gestürzt. Es ist nicht gelungen, die verbrecherische Maschinerie zu stoppen. Der Massenmord an den Juden ging weiter und der Krieg forderte gerade noch in den letzten Monaten Millionen Opfer. Dennoch: Der Widerstand war nicht vergeblich.

Freya von Moltke hat vor einem Jahr anlässlich des 20. Juli gesagt: „Es hat sich gelohnt, weil der deutsche Widerstand europäische Menschlichkeit durch die Jahre der Unmenschlichkeit in Deutschland lebendig gehalten hat.“

Der 20. Juli 1944 war der Aufstand des anderen, des besseren Deutschland. Der Deutsche Widerstand hat für Werte gekämpft, die auch heute die Grundlage für ein zivilisiertes Zusammenleben sind: Für Freiheit, Toleranz und Rechtstaatlichkeit im Innern, für Frieden, Ausgleich und europäische Integration in der Beziehung zu unseren Nachbarn.

Die Frauen und Männer des 20. Juli haben an die Möglichkeit einer besseren politischen Ordnung geglaubt. Und sie waren bereit, alles zu geben, damit diese Ordnung Wirklichkeit wird. Die Erinnerung an sie ist auch heute für uns wichtig. Sie sollte uns gerade in einer Zeit Mut machen, in der es Zweifel an der europäischen Integration gibt. So groß die Schwierigkeiten gegenwärtig sind, Europa auf einen Nenner zu bringen und gemeinsame Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft zu finden: Europa ist die immer noch gültige Antwort auf viele vorangegangene Jahrhunderte, in denen Krieg und Gewalt den Umgang der Europäer miteinander prägten.

Die Frauen und Männer des 20. Juli 1944 wussten, dass in einem geeinten und friedlichen Europa die Zukunft Deutschlands liegen würde. Diese Überzeugung und ihr Mut, danach zu handeln: Das ist das Vermächtnis der Frauen und Männer des 20. Juli 1944.

Wir verneigen uns vor den aufrechten Frauen und Männern des Widerstandes.







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