Dietrich Bonhoeffer – Dialog mit einem Toten?

INCLUDEPICTURE "file:///G:/Stiepani/Bilder/LOGO_GDW.jpg" \* MERGEFORMATINET Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Hellmut Schlingensiepen

Dietrich Bonhoeffer – Dialog mit einem Toten?

Rede von Hellmut Schlingensiepen am 19. Juli 2008 in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin aus Anlass der Eröffnung der Ausstellung "Zukunft will verantwortet werden"

Heiner Müller hat einmal gesagt: "Der Dialog mit den Toten darf nicht abreißen, bis sie herausgeben, was an Zukunft mit ihnen begraben worden ist." Diese Aussage gilt in besonderer Weise für die Menschen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Nur wenige von Ihnen haben uns ein so umfangreiches und beeindruckendes Werk für einen Dialog hinterlassen wie Dietrich Bonhoeffer. Auch wenn er nur 39 Jahre alt geworden ist, umfasst die seit zehn Jahren vorliegende Gesamtausgabe 16 Bände.

Dass wir uns heute so intensiv mit Bonhoeffer auseinandersetzen können, verdanken wir seinem Freund und Schüler Eberhard Bethge. Er veröffentlichte 1951 unter dem Titel "Widerstand und Ergebung", Bonhoeffers Briefe aus der Haft. Damit begann der öffentliche Dialog mit Dietrich Bonhoeffer. 1967 erschien Bethges Biographie über Bonhoeffer.

Den Titel unserer Ausstellung "Zukunft will verantwortet werden" haben wir dieser Biografie entnommen. Bethge schreibt über Bonhoeffers Rückkehr 1939 aus den USA nach Deutschland: "Nur Christ sein wollen, zeitlos folgender Jünger – das wurde jetzt zum fatalen Privileg. Das soviel Missverständlichere und Glanzlosere und Engere: Zeitgenosse an seinem Ort zu werden – das allein hieß nun Christ bleiben. […] Die irdische, bürgerliche und nationale Zukunft wollte verantwortet werden."

"Zukunft will verantwortet werden" oder wie Bonhoeffer schreibt: "Mag sein, dass der jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht. Die Frage ist nicht, wie ich mich heroisch aus der Affäre ziehe, sondern wie eine kommende Generation weiterleben soll."

Beim ersten Internationalen Bonhoeffer-Kongress 1972 erzählte einer der Redner eine Geschichte von seinem siebenjährigen Sohn, der mit Holzklötzen eine Stadt auf dem Wohnzimmerteppich gebaut und gesagt habe: "Die Hauptstraße werde ich Eberhard Bethge-Straße nennen." – Der Sohn war ich. Einige von Ihnen wissen vielleicht, dass mein Vater eine Bonhoeffer-Biografie geschrieben hat. Bethge und er waren enge Freunde. Daher ist es für mich immer auch ein persönlicher Dialog, wenn ich mich mit Bonhoeffer beschäftige.

Dieser Dialog begann allerdings erst 3 Jahrzehnte später, als man meinen Kollegen Christian Coers und mich Ende 2003 damit beauftragt hatte, einen Kurzfilm für Schulen und Erwachsenenbildung über Bonhoeffer zu produzieren. Der Film "Wer glaubt, der flieht nicht" kam im Herbst 2005 auf DVD heraus. Die Arbeit an der Ausstellung war für uns die Fortsetzung unseres Dialogs mit Bonhoeffer. Daher freut es uns, dass der Film hier, im Rahmen der Ausstellung, immer wieder gezeigt werden soll. Die DVD ist schon lange vergriffen, kann aber in den meisten kirchlichen und staatlichen Medienstellen ausgeliehen werden.

Kirchenrat Rolf Krebs, der "Beauftragte der Evangelischen Kirchen bei Landtag und Landesregierung von Nordrhein-Westfalen" hatte den Film gesehen und bat uns 2006, eine Bonhoeffer-Ausstellung für den Landtag in Düsseldorf zu konzipieren und umzusetzen.

Von Bonhoeffer kannte ich 2003, als wir mit der Arbeit an dem Film begannen, vor allem die erste Zeile des Gedichtes – "Von Guten Mächten wunderbar geborgen." – Die "Wortmarke Bonhoeffers", wie ein Bankier das Gedicht mir gegenüber einmal genannt hat. In der Tat kennen sehr viele Menschen diese Zeilen, auch wenn sie den Namen Bonhoeffer noch nie gehört haben.

Eins habe ich bei der Arbeit an dem Film sehr schnell gemerkt: Jeder, der sich eingehender mit Bonhoeffer beschäftigt, gewinnt ein zumindest etwas anderes Bild von ihm! Wir mussten und wir durften uns auf die Suche machen und in den Dialog eintreten, um unser eigenes Bonhoeffer-Bild zu entwickeln. Anfangs wollte allerdings gar kein Bild entstehen, stattdessen kamen immer neue Fragen: Was ist für uns Heutige, vor allem wenn wir nicht Theologie studiert haben, bei Bonhoeffer noch wichtig? Hat er "n u r" geredet? Welche Bonhoefferworte gehen uns unmittelbar an? Was ist sein Beitrag zum Widerstand gegen die Nationalsozialisten? Und noch viele andere Fragen.

Was mich besonders bewegt ist Bonhoeffers bewusste Entscheidung 1939 aus dem sicheren Exil in den USA nach Deutschland zurückzukehren. Er und sein Bruder Karl-Friedrich nahmen eins der letzten Schiffe, mit denen man vor Kriegsausbruch nach Deutschland zurückkehren konnte. Bonhoeffer schrieb seinem Freund dem amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr damals: "Ich habe kein Recht, an der Wiederherstellung des christlichen Lebens in Deutschland nach dem Krieg mitzuwirken, wenn ich nicht die Prüfungen dieser Zeit mit meinem Volk teile." Diese bewusste Entscheidung verbindet Dietrich Bonhoeffer mit Helmuth James von Moltke und Adam von Trott. Einen Ansatz diese Entscheidung zu verstehen, habe ich bei Klemens von Klemperer gefunden, der über Widerstand und Exil schreibt: "Widerstand und Exil […] schließen einander […] nicht aus: […] auch das Exil stellte keineswegs ein Paradies dar […] Schmerz und Armut waren […] ständige Begleiter, ebenso die Enttäuschung über die Unmöglichkeit, aus der Ferne zu handeln."

Mein Partner und ich wollten selber ein Gefühl für Bonhoeffer bekommen! Wir wollten uns, soweit es eben geht, in seine Zeit versetzen, wir wollten versuchen, seine Gefühle zu verstehen und wir wollten wissen: Was hat er getan, und warum hat er so und nicht anders gehandelt? Wir möchten, "lebendige Medien zur deutschen Geschichte" schaffen. Wie kann das gehen? Bei der Ausstellung und in dem Film lassen wir Dietrich Bonhoeffer selber zu Wort kommen. Er wird zum Zeitzeugen und beantwortet einige der Fragen, die wir ihm gerne gestellt hätten. Daher stehen im Mittelpunkt der Ausstellung neun Zitate Bonhoeffers! Wir haben die Zahl der Zitate bewusst beschränkt, um nicht mit einer Überfülle von Informationen von den Inhalten dieser uns besonders wichtigen Zitate abzulenken.

Aber wir wollen Bonhoeffers Bekanntheit auch nutzen, um einen Blick auf einige seiner Weggefährten zu werfen, die, wie wir finden, Aufmerksamkeit verdienen und weniger bekannt sind.

Jede Auseinandersetzung mit Geschichte bleibt selektiv, unscharf und vor allem subjektiv. Auch diese Ausstellung kann nur einen kleinen persönlichen Ausschnitt zeigen. Unseren sehr persönlichen Blick auf Bonhoeffer.

Dass wir die Zitate in Bonhoeffers Silhouette abbilden, ist für uns Sinnbild für die Suche nach dem Menschen hinter den Zitaten. Die Fahnen bewegen sich im Luftzug, das Lesen wird erschwert. Der Betrachter muss sich wirklich auf Bonhoeffer und seine Weggefährten einlassen wollen.

Es ist wichtig die Erinnerung an die Schreckensepoche der Deutschen Geschichte wach zu halten. Aber es scheint uns, dass in den Medien immer noch in erster Linie Tätergeschichte erzählt wird. Wir finden die Auseinandersetzung mit Menschen wie Bonhoeffer, Moltke und Trott viel spannender. Ihre Gedanken, Wünsche und Handlungen fordern uns noch heute. Sie sind noch heute aktuell.

Ich komme zum Schluss: Als mein Sohn gerade fünf Jahre alt geworden war, hat er zu mir gesagt: "Bonhoeffer war ein Guter in einer Zeit, als selbst die Polizisten böse waren."

Er hat viele Bilderbücher über die Polizei, und als Freund einer Polizei die für Ordnung und Gerechtigkeit sorgt, hat er sich wohl gefragt, wieso die Polizei damals in Flossenbürg nicht eingegriffen hat. Er ist neugierig, neugierig darauf, womit sein Vater sich beschäftigt. Neugierig sein und neugierig machen – Verstehen und verständlich machen - Das ist das Ziel unserer Arbeit.

Wir würden uns freuen, wenn die Ausstellung, die heute hier eröffnet wird, zum Dialog mit Dietrich Bonhoeffer beiträgt.






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