"Selig sind, die Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden!"
Carsten Bolz
„Selig sind, die Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden!“
Predigt von Pfarrer Carsten Bolz am 20. Juli 1996 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin
Predigttext: 2. Kor. 1, 3-7
Liebe Gemeinde hier im Hinrichtungsschuppen!
„Selig sind, die Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden!“ (Mt 5,4), wir haben es uns eben noch einmal in Erinnerung gerufen. Leid tragen und getröstet werden – immer wieder das Thema, wenn wir uns hier zum Gottesdienst und zu den Gedenkfeiern versammeln. Leid tragen und getröstet werden auch vor 52 Jahren ein Thema, mehr ein Schrei vielleicht, ein großes Fragezeichen: Wer konnte dieses Leid tragen, wo war da Trost zu finden – war da Trost zu finden?
Paulus, mit dem, was er im zweiten Korintherbrief schreibt, hat mich neu auf eine alte Spur gebracht. Wir haben den Abschnitt gehört. Leid tragen und getröstet werden – auch für Paulus war das ein Thema und offenbar für die Christen in Korinth: Leid tragen und getröstet werden.
Das Erste also: Leid tragen! Den ganzen zweiten Korintherbrief durchzieht dieser Gedanke: Leiden gehört zum Christsein; christliche Existenz ist Existenz in der Schwachheit; christliche Existenz schließt Bedrängnis und Leiden mit ein. Gerade darin liegt ihre Stärke, gerade darin verbindet sie sich mit dem, an dem sie sich ausrichtet: mit Jesus Christus, dem gekreuzigten Retter.
Leid tragen – erzählt Paulus den Korinthern – ist etwas, um das ich genauso wenig umhinkann wie ihr. Und wenn einige ganz enthusiastische Superapostel predigen, dass ihr schon erlöst seid, dass euch irdisches Leiden nicht mehr zu kümmern braucht, dass ihr euer Leben ganz auf eure eigenen Bedürfnisse hin ausrichten könnt, dass euch das ganze Leid nicht mehr zu kümmern braucht, dann ist das eine Lebensphilosophie, die Jesu Foltertod am Kreuz leugnet.
Paulus berichtet von seiner eigenen Erfahrung und versucht, die Erfahrungen der Korinther aufzunehmen. Das ist nicht eine Aufforderung „Sieh zu, dass du auch leidest! Nur dann bist du auf dem richtigen Weg.“ Diese wäre vermessen. So redet Paulus nicht. Er beschreibt seine Erfahrung. Und wie viele Menschen haben das nach ihm genauso beschrieben. Als Beschreibung einer Erfahrung ist mir diese Bewertung des Leidens nachvollziehbar geworden.
Eine trauernde Mutter erzählt mir „Ich habe das Gefühl, dass mich das Leid, das ich trage, mit Christus verbindet. Sehr viel später ist mir das erst bewusst geworden. Zuerst war ich ganz voller Zorn und Trauer. Aber ich habe erfahren, dass mich mein Leiden sensibel macht für das Leiden anderer, dass ich viel offener mit Menschen darüber reden kann, auf sie hören kann; so wie Christus, der gelitten hat, auf uns hört. Deswegen habe ich das Gefühl, mein Leid verbindet mich mit Christus.“ Und – ich füge hinzu – es verbindet Menschen.
Leid tragen stiftet Gemeinschaft. Gemeinschaft mit Christus und Gemeinschaft unter den Menschen: Leidensgemeinschaft in doppelter Weise; auch 1944, auch 1996.
Dietrich Bonhoeffer fiel mir ein:
Christen und Heiden
Menschen gehen zu Gott in ihrer Not,
flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot,
um Errettung, aus Krankheit, Schuld und Tod.
So tun sie alle, Christen und Heiden.
Menschen gehen zu Gott in Seiner Not,
finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot,
sehn ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod.
Christen stehen bei Gott in Seinen Leiden.
Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not,
sättigt den Leib und die Seele mit seinem Brot,
stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod,
und vergibt ihnen beiden.
Das ist dann das Zweite, der einfache Trost: Gott leidet auch. Gott leidet mit, mit denen, die leiden. Leidensgemeinschaft – auch hier! Gott tröstet, indem er das Leiden trägt, erträgt, mitträgt. Gottes Dabeisein ist Trost, indem es befähigt, Leid zu tragen. Das ist etwas anderes, als das Ende des Leidens. Das ist Stärkung auf dem Weg, Ermutigung zum Weitergehen, zur Geduld.
Noch einmal Dietrich Bonhoeffer, in einer Predigt 1938 über Röm. 5: „Trübsal bringt Geduld.” Geduld heißt wörtlich übersetzt: Darunter bleiben, die Last nicht abwerfen, sondern tragen. Viel zu wenig wissen wir heute in der Kirche von dem eigentümlichen Segen des Tragens. Tragen, nicht abschütteln, tragen, aber auch nicht zusammenbrechen, tragen, wie Christus das Kreuz trug, drunter bleiben und dort unten – Christus finden. Legt Gott eine Last auf, so beugt der Geduldige sein Haupt und glaubt, es sei gut für ihn, gedemütigt zu werden – darunter bleiben! Aber darunter bleiben! Fest bleiben, stark bleiben heißt es ja nun auch; nicht schwächliches Nachgeben, weichen, keine Leidensseligkeit, sondern unter der Last als einer Gnade Gottes erstarken, den Frieden Gottes unerschütterlich bewahren. „Gottes Friede ist bei den Geduldigen.“ – soweit Dietrich Bonhoeffer.
Ob Menschen das so empfinden konnten, hier in Plötzensee, im Bendlerblock, in Konzentrationslagern oder an anderen Orten des Terrors? Ich weiß das nicht und gleichzeitig hoffe ich es, dass es dieses tröstliche Gefühl gab, dass Gott mit dabei ist – und manche Berichte von Bonhoeffer, von Lichtenberg, von anderen – lassen das anklingen.
Für mich ist dieses Mitsein Gottes in den Bildern des Plötzenseer Totentanzes in unserem Gemeindezentrum festgehalten. Sie kennen sie vielleicht, oder haben heute oder morgen noch Gelegenheit, sie anzusehen. Ich denke an das Kreuzigungsbild, vielleicht die brutalste Darstellung einer Hinrichtung, seit das Kreuz für uns vieles von seiner Brutalität verloren hat, seit es uns zum Symbol geworden ist, das die Qualen des Gekreuzigten in den Hintergrund treten lässt. Das Kreuzigungsbild in unserem Gemeindezentrum lässt keine Möglichkeit, dem Schrecken auszuweichen. Die Kreuzigung ist unverkennbar verlegt in diesen Hinrichtungsschuppen; Jesus Christus hängt mit den Handgelenken an den Haken des Eisenträgers, zu beiden Seiten die Schächer in gleicher Weise gemartert.
Hier, wo so unfassbar gemordet wurde, wurde Jesus Christus erneut gekreuzigt, hat sich Gott hineingegeben in das Leiden der Menschen, ist mit dabei gewesen. Das hat das Leiden nicht beenden können – dazu hätten Menschen begreifen müssen, was sie hier tun. Doch Paulus stärkt die Hoffnung, dass dieses Dabeisein Gottes, dass diese Leidensgemeinschaft Trost war, für die, die es ertragen mussten.
Und es gibt, und das ist das Dritte, Hinweise darauf, dass es diesen Trost gab und dass er weiterwirkt, dass auch wir davon noch getröstet werden können. Bonhoeffers Gedicht – wir singen es auch heute wieder am Ende des Gottesdienstes – redet von solchem Trost: „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar!“ Wunderbarer Trost, nicht erklärbar, nicht machbar, Ereignis mitten im Leiden. Trost, tiefer Trost: auch der ist nicht anzuordnen; kann – wie die Leidensgemeinschaft – nur Erfahrung sein. Er ist nicht automatisch da, ist anderes als ein Trostpflaster „Ist ja nicht so schlimm, wird schon wieder werden!“ Nein, es geht nicht um ein Erwecken von Hoffnungen, von außen herangetragen, von Hoffnungen, deren Erfüllung niemand garantieren kann. Ich verstehe diesen wunderbaren Trost, von dem Bonhoeffer redet, genau wie den Trost, den Paulus meint, als den erfahrenen Trost mit dem wir selber getröstet werden von Gott.
Es ist wie der Trost eines verheulten Kindes in den Armen der Mutter; es ist der Trost, der aufrichtet zu neuem Tun; ein Trost, der Tränen trocknet und in die Zukunft schauen lässt. Und wer könnte diesen Trost besser weitersagen als die Menschen, die ihn erfahren haben. Paulus behauptet: Getröstete trösten besser, zuverlässiger, glaubwürdiger. Und ist es nicht so, ist es nicht auch heute noch so, dass Menschen, deren ungerechtes Leiden uns bekannt ist und die das – wunderbar getröstet – durchstehen, dass sie uns zu glaubwürdigen Zeuginnen und Zeugen der Gerechtigkeit und der Menschenfreundlichkeit Gottes werden, dass es uns ein Trost ist, wenn ihr Leiden nicht vergeblich war. Bernhard Lichtenberg und Dietrich Bonhoeffer sind für mich solche getrösteten Tröster, neben den vielen Namenlosen. Auch Aung San Suu Kyi in Burma ist für mich so eine, oder Nelson Mandela, neben den vielen Namenlosen heute.
Ein Trost ist, dass es Menschen gibt, die ihr Leiden im Kampf gegen Ungerechtigkeit in Kauf nehmen. Ein Trost ist es, dass ihr Leiden nicht vergebens sein soll – Gott mag das geben – so wie das Leiden Jesu nicht vergebens war. Ein Trost ist es, dass aus dem Leiden Neues entstehen, Gerechtigkeit wachsen kann. Wir sind damit noch gar nicht am Ende, noch immer gibt es Ungerechtigkeiten zu beseitigen: Entschädigungsansprüche zum Beispiel, die anerkannt werden müssen, oder Gerichtsurteile auch, die aufgehoben werden müssen. Gerechtigkeit muss weiter wachsen, auch uns zum Trost.
Paulus rückt das Leiden in den Hintergrund, aber dort bleibt es, wird nicht aufgehoben. Unvermeidbar bietet es den Hintergrund des Trostes, und der steht im Vordergrund:
So soll aus der Leidensgemeinschaft eine Trostgemeinschaft werden; aus Leidensgemeinschaft entsteht Trostgemeinschaft; in der Leidensgemeinschaft ereignet sich Trostgemeinschaft.
Im Abendmahlsbild des Plötzenseer Totentanzes finde ich dies wieder: wunderbarer Trost in der Erfahrung von Gottes Gegenwart im Abendmahl. Gott ist auch dort mit dabei, gegenwärtig in Brot und Wein, trägt und tröstet die, die sich da unabhängig von konfessionellen Schranken zum Mahl versammeln.
In der Eucharistie, im Abendmahl sind wir eingeladen, mitgetragen, mitgetröstet, mithineingenommen in die Gemeinschaft, die auch für uns Trostgemeinschaft sein will. Und sollten wir nicht Trost und Ermutigung im Mahl finden können, auch wenn wir – zum Bedauern mancher – noch immer an getrennten Tischen feiern müssen?! Vielleicht ist ja auch das eine Leidensgemeinschaft, die uns zur Trostgemeinschaft werden kann!? Es gilt uns jedenfalls die Verheißung: Wo wir am Leiden – am Leiden Christi, am Leiden der Menschen – teilhaben, da haben wir auch am Trost teil.
„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott.“
Amen
„Selig sind, die Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden!“
Predigt von Pfarrer Carsten Bolz am 20. Juli 1996 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin
Predigttext: 2. Kor. 1, 3-7
Liebe Gemeinde hier im Hinrichtungsschuppen!
„Selig sind, die Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden!“ (Mt 5,4), wir haben es uns eben noch einmal in Erinnerung gerufen. Leid tragen und getröstet werden – immer wieder das Thema, wenn wir uns hier zum Gottesdienst und zu den Gedenkfeiern versammeln. Leid tragen und getröstet werden auch vor 52 Jahren ein Thema, mehr ein Schrei vielleicht, ein großes Fragezeichen: Wer konnte dieses Leid tragen, wo war da Trost zu finden – war da Trost zu finden?
Paulus, mit dem, was er im zweiten Korintherbrief schreibt, hat mich neu auf eine alte Spur gebracht. Wir haben den Abschnitt gehört. Leid tragen und getröstet werden – auch für Paulus war das ein Thema und offenbar für die Christen in Korinth: Leid tragen und getröstet werden.
Das Erste also: Leid tragen! Den ganzen zweiten Korintherbrief durchzieht dieser Gedanke: Leiden gehört zum Christsein; christliche Existenz ist Existenz in der Schwachheit; christliche Existenz schließt Bedrängnis und Leiden mit ein. Gerade darin liegt ihre Stärke, gerade darin verbindet sie sich mit dem, an dem sie sich ausrichtet: mit Jesus Christus, dem gekreuzigten Retter.
Leid tragen – erzählt Paulus den Korinthern – ist etwas, um das ich genauso wenig umhinkann wie ihr. Und wenn einige ganz enthusiastische Superapostel predigen, dass ihr schon erlöst seid, dass euch irdisches Leiden nicht mehr zu kümmern braucht, dass ihr euer Leben ganz auf eure eigenen Bedürfnisse hin ausrichten könnt, dass euch das ganze Leid nicht mehr zu kümmern braucht, dann ist das eine Lebensphilosophie, die Jesu Foltertod am Kreuz leugnet.
Paulus berichtet von seiner eigenen Erfahrung und versucht, die Erfahrungen der Korinther aufzunehmen. Das ist nicht eine Aufforderung „Sieh zu, dass du auch leidest! Nur dann bist du auf dem richtigen Weg.“ Diese wäre vermessen. So redet Paulus nicht. Er beschreibt seine Erfahrung. Und wie viele Menschen haben das nach ihm genauso beschrieben. Als Beschreibung einer Erfahrung ist mir diese Bewertung des Leidens nachvollziehbar geworden.
Eine trauernde Mutter erzählt mir „Ich habe das Gefühl, dass mich das Leid, das ich trage, mit Christus verbindet. Sehr viel später ist mir das erst bewusst geworden. Zuerst war ich ganz voller Zorn und Trauer. Aber ich habe erfahren, dass mich mein Leiden sensibel macht für das Leiden anderer, dass ich viel offener mit Menschen darüber reden kann, auf sie hören kann; so wie Christus, der gelitten hat, auf uns hört. Deswegen habe ich das Gefühl, mein Leid verbindet mich mit Christus.“ Und – ich füge hinzu – es verbindet Menschen.
Leid tragen stiftet Gemeinschaft. Gemeinschaft mit Christus und Gemeinschaft unter den Menschen: Leidensgemeinschaft in doppelter Weise; auch 1944, auch 1996.
Dietrich Bonhoeffer fiel mir ein:
Christen und Heiden
Menschen gehen zu Gott in ihrer Not,
flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot,
um Errettung, aus Krankheit, Schuld und Tod.
So tun sie alle, Christen und Heiden.
Menschen gehen zu Gott in Seiner Not,
finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot,
sehn ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod.
Christen stehen bei Gott in Seinen Leiden.
Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not,
sättigt den Leib und die Seele mit seinem Brot,
stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod,
und vergibt ihnen beiden.
Das ist dann das Zweite, der einfache Trost: Gott leidet auch. Gott leidet mit, mit denen, die leiden. Leidensgemeinschaft – auch hier! Gott tröstet, indem er das Leiden trägt, erträgt, mitträgt. Gottes Dabeisein ist Trost, indem es befähigt, Leid zu tragen. Das ist etwas anderes, als das Ende des Leidens. Das ist Stärkung auf dem Weg, Ermutigung zum Weitergehen, zur Geduld.
Noch einmal Dietrich Bonhoeffer, in einer Predigt 1938 über Röm. 5: „Trübsal bringt Geduld.” Geduld heißt wörtlich übersetzt: Darunter bleiben, die Last nicht abwerfen, sondern tragen. Viel zu wenig wissen wir heute in der Kirche von dem eigentümlichen Segen des Tragens. Tragen, nicht abschütteln, tragen, aber auch nicht zusammenbrechen, tragen, wie Christus das Kreuz trug, drunter bleiben und dort unten – Christus finden. Legt Gott eine Last auf, so beugt der Geduldige sein Haupt und glaubt, es sei gut für ihn, gedemütigt zu werden – darunter bleiben! Aber darunter bleiben! Fest bleiben, stark bleiben heißt es ja nun auch; nicht schwächliches Nachgeben, weichen, keine Leidensseligkeit, sondern unter der Last als einer Gnade Gottes erstarken, den Frieden Gottes unerschütterlich bewahren. „Gottes Friede ist bei den Geduldigen.“ – soweit Dietrich Bonhoeffer.
Ob Menschen das so empfinden konnten, hier in Plötzensee, im Bendlerblock, in Konzentrationslagern oder an anderen Orten des Terrors? Ich weiß das nicht und gleichzeitig hoffe ich es, dass es dieses tröstliche Gefühl gab, dass Gott mit dabei ist – und manche Berichte von Bonhoeffer, von Lichtenberg, von anderen – lassen das anklingen.
Für mich ist dieses Mitsein Gottes in den Bildern des Plötzenseer Totentanzes in unserem Gemeindezentrum festgehalten. Sie kennen sie vielleicht, oder haben heute oder morgen noch Gelegenheit, sie anzusehen. Ich denke an das Kreuzigungsbild, vielleicht die brutalste Darstellung einer Hinrichtung, seit das Kreuz für uns vieles von seiner Brutalität verloren hat, seit es uns zum Symbol geworden ist, das die Qualen des Gekreuzigten in den Hintergrund treten lässt. Das Kreuzigungsbild in unserem Gemeindezentrum lässt keine Möglichkeit, dem Schrecken auszuweichen. Die Kreuzigung ist unverkennbar verlegt in diesen Hinrichtungsschuppen; Jesus Christus hängt mit den Handgelenken an den Haken des Eisenträgers, zu beiden Seiten die Schächer in gleicher Weise gemartert.
Hier, wo so unfassbar gemordet wurde, wurde Jesus Christus erneut gekreuzigt, hat sich Gott hineingegeben in das Leiden der Menschen, ist mit dabei gewesen. Das hat das Leiden nicht beenden können – dazu hätten Menschen begreifen müssen, was sie hier tun. Doch Paulus stärkt die Hoffnung, dass dieses Dabeisein Gottes, dass diese Leidensgemeinschaft Trost war, für die, die es ertragen mussten.
Und es gibt, und das ist das Dritte, Hinweise darauf, dass es diesen Trost gab und dass er weiterwirkt, dass auch wir davon noch getröstet werden können. Bonhoeffers Gedicht – wir singen es auch heute wieder am Ende des Gottesdienstes – redet von solchem Trost: „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar!“ Wunderbarer Trost, nicht erklärbar, nicht machbar, Ereignis mitten im Leiden. Trost, tiefer Trost: auch der ist nicht anzuordnen; kann – wie die Leidensgemeinschaft – nur Erfahrung sein. Er ist nicht automatisch da, ist anderes als ein Trostpflaster „Ist ja nicht so schlimm, wird schon wieder werden!“ Nein, es geht nicht um ein Erwecken von Hoffnungen, von außen herangetragen, von Hoffnungen, deren Erfüllung niemand garantieren kann. Ich verstehe diesen wunderbaren Trost, von dem Bonhoeffer redet, genau wie den Trost, den Paulus meint, als den erfahrenen Trost mit dem wir selber getröstet werden von Gott.
Es ist wie der Trost eines verheulten Kindes in den Armen der Mutter; es ist der Trost, der aufrichtet zu neuem Tun; ein Trost, der Tränen trocknet und in die Zukunft schauen lässt. Und wer könnte diesen Trost besser weitersagen als die Menschen, die ihn erfahren haben. Paulus behauptet: Getröstete trösten besser, zuverlässiger, glaubwürdiger. Und ist es nicht so, ist es nicht auch heute noch so, dass Menschen, deren ungerechtes Leiden uns bekannt ist und die das – wunderbar getröstet – durchstehen, dass sie uns zu glaubwürdigen Zeuginnen und Zeugen der Gerechtigkeit und der Menschenfreundlichkeit Gottes werden, dass es uns ein Trost ist, wenn ihr Leiden nicht vergeblich war. Bernhard Lichtenberg und Dietrich Bonhoeffer sind für mich solche getrösteten Tröster, neben den vielen Namenlosen. Auch Aung San Suu Kyi in Burma ist für mich so eine, oder Nelson Mandela, neben den vielen Namenlosen heute.
Ein Trost ist, dass es Menschen gibt, die ihr Leiden im Kampf gegen Ungerechtigkeit in Kauf nehmen. Ein Trost ist es, dass ihr Leiden nicht vergebens sein soll – Gott mag das geben – so wie das Leiden Jesu nicht vergebens war. Ein Trost ist es, dass aus dem Leiden Neues entstehen, Gerechtigkeit wachsen kann. Wir sind damit noch gar nicht am Ende, noch immer gibt es Ungerechtigkeiten zu beseitigen: Entschädigungsansprüche zum Beispiel, die anerkannt werden müssen, oder Gerichtsurteile auch, die aufgehoben werden müssen. Gerechtigkeit muss weiter wachsen, auch uns zum Trost.
Paulus rückt das Leiden in den Hintergrund, aber dort bleibt es, wird nicht aufgehoben. Unvermeidbar bietet es den Hintergrund des Trostes, und der steht im Vordergrund:
So soll aus der Leidensgemeinschaft eine Trostgemeinschaft werden; aus Leidensgemeinschaft entsteht Trostgemeinschaft; in der Leidensgemeinschaft ereignet sich Trostgemeinschaft.
Im Abendmahlsbild des Plötzenseer Totentanzes finde ich dies wieder: wunderbarer Trost in der Erfahrung von Gottes Gegenwart im Abendmahl. Gott ist auch dort mit dabei, gegenwärtig in Brot und Wein, trägt und tröstet die, die sich da unabhängig von konfessionellen Schranken zum Mahl versammeln.
In der Eucharistie, im Abendmahl sind wir eingeladen, mitgetragen, mitgetröstet, mithineingenommen in die Gemeinschaft, die auch für uns Trostgemeinschaft sein will. Und sollten wir nicht Trost und Ermutigung im Mahl finden können, auch wenn wir – zum Bedauern mancher – noch immer an getrennten Tischen feiern müssen?! Vielleicht ist ja auch das eine Leidensgemeinschaft, die uns zur Trostgemeinschaft werden kann!? Es gilt uns jedenfalls die Verheißung: Wo wir am Leiden – am Leiden Christi, am Leiden der Menschen – teilhaben, da haben wir auch am Trost teil.
„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott.“
Amen