Widerstandskämpfer und Kriegsopfer

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Karl Weishäupl

Widerstandskämpfer und Kriegsopfer

Gedenkrede des Präsidenten des Verbandes der Kriegs- und Wehrdienstopfer, Behinderten und Sozialrentner Deutschlands e.V. (VdK) am 20. Juli 1978 in der Stadthalle Bonn-Bad Godesberg

Zuerst möchte ich den Veranstaltern für die Einladung zu dieser Feierstunde danken. Es ist für mich eine ehrenvolle Aufgabe, zum Tag des Widerstandes zu sprechen. Diesen Vorzug hat mir Ihr Vorsitzender Karl Ibach eingeräumt.

Erstmals spricht zu Ihnen der Vertreter eines großen Verbandes, der vorwiegend die sozialen Interessen der Opfer beider Weltkriege vertritt. Ihr Vorsitzender Karl Ibach arbeitet mit meiner Organisation, dem Verband der Kriegs- und Wehrdienstopfer, Behinderten und Sozialrentner Deutschland e.V. (VdK) seit Jahren eng zusammen. Als Angehöriger der Kriegsgeneration habe ich im Zweiten Weltkrieg an den Feldzügen in Polen, Frankreich, Griechenland und Kreta, Russland und Italien teilgenommen.

Der Widerstand gegen Hitler war legitim. Er bezog seine Rechtfertigung aus dem Gesetz der sittlichen Verpflichtung, einen Diktator zu beseitigen, der Freiheit, Menschenwürde und Recht mit Füßen trat und millionenfach morden ließ. Die Widerstandskämpfer wussten um die Einsamkeit ihres Weges. Sie wussten, dass - um Henning von Tresckow zu zitieren - der sittliche Wert eines Menschen erst dort beginnt, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben hinzugeben. Dieses Wissen um Recht und Pflicht zum Widerstand blieb den meisten Soldaten der kämpfenden Truppe damals versagt. Auch sie kämpften legitim getreu ihrem Fahneneid - wie es damals hieß - für Führer, Volk und Vaterland. Die Legitimität des Einsatzes für Hitler ist weggefallen. Die Legitimität für Volk und Vaterland bleibt. Sie gilt jetzt für die Bundeswehr, denn: Wir haben eine Demokratie, einen freiheitlichen Rechts- und Sozialstaat, dessen Grundgesetz die Menschenrechte und die Menschenwürde schützt. Sollte die grundgesetzliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland in Gefahr geraten, durch extreme Kräfte wesentlich verändert zu werden oder sich zu einer neuen Diktatur zu entwickeln, so ist für die heutigen Streitkräfte die Problematik des 20. Juli 1944 nicht mehr vorhanden. Artikel 20 des Grundgesetzes bestimmt „Gegen jeden der es unternimmt diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Sorgen wir - Widerstandskämpfer und Kriegsopfer - gemeinsam dafür, dass unsere demokratische Ordnung erhalten bleibt. Wir haben vieles gemeinsam, in erster Linie das Opfer. Die Männer und Frauen des Widerstandes haben - hier ist ein Superlativ angebracht - größte Opfer gebracht. Sie wurden verfolgt, gefoltert, vergast, hingerichtet und ermordet. Millionen mussten sterben, weil sie aus religiöser oder politischer Grundüberzeugung gegen die Hitler-Diktatur waren. Die Widerstandskämpfer, die das Inferno überlebt haben, sind ein Leben lang gezeichnet von den Schrecken der Verfolgung. Sie, die Sie im Widerstand waren, gehören - um Winston Churchill zu zitieren - „zu dem Edelsten und Größten, das in der politischen Geschichte aller Völker je hervorgebracht worden ist“ und: „Ihre Taten und Opfer sind das unzerstörbare Fundament eines neuen Aufbaus.“

3½ Millionen deutsche Soldaten haben im Zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren, 4½ Millionen sind als Kriegsbeschädigte heimgekehrt oder haben als Kriegerwitwen, Kriegerwaisen und Kriegereltern den Ernährer verloren. Ein Leben lang haben die Kriegsopfer unter den Folgen zu leiden.

Das Opfer ist uns also gemeinsam. Und dieses gemeinsame Opfer verpflichtet. Verpflichtet in erster Linie dazu, diesen unseren freiheitlichen Rechtsstaat zu erhalten, den wir gemeinsam mit aufgebaut haben. Die Verpflichtung besteht auch darin, immerwährend für Frieden, Freiheit, Toleranz, Pluralität und soziale Gerechtigkeit einzutreten. Wir haben sittliche Werte zu schützen und eine klare Absage an zerstörerische Ideologien zu erteilen. Unser gemeinsamer Kampf sollte dem Fanatismus, dem Radikalismus und Terrorismus gelten, weil sie der Nährboden für totalitäre Regime sein könnten.

Gegenwärtig haben wir gemeinsam eine sehr wichtige Aufgabe zu lösen. Die bittere Erfahrung, dass in Diktaturen die politische und religiöse Gesinnung hart bestraft wird und die bittere Erfahrung, dass Krieg und Gewalt nur Leid schaffen und keine Probleme lösen, hat uns doch gelehrt, mit ganzer Kraft für den Frieden und die politische Einigung Europas einzutreten. Wir brauchen ein gemeinsames Haus, ein politisch geeintes Europa mit einer demokratischen Verfassung und mit einem freien und unmittelbar gewählten europäischen Parlament.

Dies sind nur einige Gemeinsamkeiten als Basis für das Miteinander, wenn es darum geht, für Frieden, Freiheit und Recht einzutreten.

Lassen Sie mich auf der Suche nach Gemeinsamkeiten noch Einiges zur Bewältigung unserer Vergangenheit sagen:

Erstens:

Bis heute von ihm nicht dementiert, steht folgende Äußerung des Bundestagsabgeordneten Norbert Blüm, Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse, über den Fall Filbinger im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ Nr. 28 vom 10. Juli: „... ob einer im KZ Hitler gedient hat oder an der Front, macht in meinen Augen nur einen graduellen Unterschied aus. Das KZ stand schließlich nur so lange, wie die Front hielt.“ Diese Aussage ist unerhört. Der Vergleich zwischen SS-Schergen in Konzentrationslagern und den Soldaten, die an der Front kämpften, ist unredlich. Auf der einen Seite sind die Büttel eines Gewaltsystems, die freiwillig einen makabren Dienst versehen haben und auf der anderen Seite steht das Heer derer, die größtenteils aufgrund der Wehrpflicht zur deutschen Wehrmacht und teilweise Waffen-SS einberufen wurden und am Krieg teilnehmen mussten. Mit Recht hat die CSU davon gesprochen, dass es sich bei der Bemerkung Blüms um eine Beleidigung aller ehemaligen Frontsoldaten und um eine Geschichtsfälschung handelt. Dies ist ein typisches Beispiel dafür, wie Vergangenheit nicht bewältigt werden kann.

Zweitens:

Der Fall eines ehemaligen Marinerichters ist ebenfalls Symptom für eine nicht bewältigte Vergangenheit. Im Kriegs- und Verteidigungsfall wird es immer Kriegsgerichte geben und damit Militärrichter. Diese werden gezwungen sein, beispielsweise bei Desertionen oder Mordtaten harte Urteile und möglicherweise auch Todesurteile zu fällen. Todesurteile sind, wenn es doch „Einzelfälle“ waren, einprägsam, auch für den Richter, der daran beteiligt war. Sich daran nicht mehr erinnern zu können, ist Verdrängung der Vergangenheit und ein schlechter Dienst an der Glaubwürdigkeit eines heute führenden Politikers. Auch in diesem Falle ist aber eine Verallgemeinerung und Verurteilung aller Militärrichter unzulässig. Eine Verallgemeinerung schadet einer richtig verstandenen Vergangenheitsbewältigung.

Drittens:

Es ist ein heftiger Streit entbrannt, ob die Universität Oldenburg den Namen des Widerstandskämpfers und Friedens-Nobel-Preisträgers Carl von Ossietzky erhalten soll. Wer den Widerstand aus unserem Geschichtsbewusstsein verdrängen will, hat ein gestörtes Verhältnis zur Zeitgeschichte und damit zur jüngsten deutschen Vergangenheit. Wer den deutschen Widerstand respektiert und die Widerstandskämpfer achtet, sollte bereit sein, wenigstens einer der jungen Universitäten den Namen eines profilierten Widerstandskämpfers, der seine unerschrockene Gesinnung mit dem Leben bezahlt hat, zu geben.

Diese und andere Vorgänge berechtigen zu der Behauptung, dass die jüngste Geschichte oft falsch- oder fehlinterpretiert wird. Wen wundert das, wenn man weiß, dass Zeitgeschichte - und dazu gehören Verfolgung und Widerstand im Dritten Reich ebenso wie die richtige Zuordnung des Dienstes mit der Waffe in Krieg und Frieden - in allen unseren Schulen zu kurz kommt.

Lassen Sie mich abschließend feststellen:

Sie als Widerstandskämpfer haben das andere Deutschland, das bessere, im Ausland glaubwürdig repräsentiert und dazu beigetragen, dass auch die überwiegende Mehrheit unserer Jugend dem heutigen Staat Bundesrepublik Deutschland positiv gegenübersteht. Wir im VdK haben als Kriegsopfer und ehemalige Kriegsteilnehmer nach 1945 ebenfalls Brücken der Verständigung gebaut, und wir haben uns mit den einstigen Kriegsgegnern und auch mit den Widerstandskämpfern, etwa der Resistance in Frankreich, ausgesöhnt. Heute haben wir über 600 Partnerschaften zwischen VdK-Gliederungen und ausländischen Gruppierungen in Europa. Dies ist praktische Arbeit für den Frieden, für die Freiheit und die Gerechtigkeit. Der Sinn dieser Feierstunde ist es, die Männer des Widerstandes zu achten und zu ehren. Sorgen wir dafür, dass der Aufstand gegen die NS-Gewaltherrschaft in unserem Volk nicht in Vergessenheit gerät. Sehen wir auch unsere wichtigste Aufgabe darin, unbequeme Mahner vor antidemokratischen, faschistischen und kommunistischen Tendenzen zu bleiben. Mobilisieren wir gemeinsam den Widerstand gegen solche Tendenzen, gleichgültig wo sie auftreten.

Schließlich: Gedenken wir auch bei jeder Feier und Veranstaltung derer, die im Widerstand und im Krieg ihr Leben geopfert haben. Dann hat unsere weitere Zusammenarbeit ihren Sinn.






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20.07.1978
Dr. Klaus von Dohnanyi
Dr. Klaus von Dohnanyi