Warum kommen wir hier jedes Jahr zusammen?

Heinrich Albertz

Warum kommen wir hier jedes Jahr zusammen?

Begrüßungsworte des Bürgermeisters und Innensenators von Berlin Dr. Heinrich Albertz am 19. Juli 1966 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

Meine Damen und Herren!

Warum kommen wir hier jedes Jahr zusammen? Die, die es am eigenen Leibe erfahren haben, was damals geschah? Und die Jüngeren, die lernen wollen, wie es geschehen konnte? Die Deutschen haben es nicht leicht mit ihren Gedenktagen. Es sind Tage ihrer Niederlagen, ihrer enttäuschten Hoffnungen, ihres Verzichtes, ihres Opfers. Oder Tage ihrer Papiere, Verfassungen – wie weit Wirklichkeit und Ziel dieser Verfassungen voneinander entfernt sind, haben wir gerade in den letzten Tagen neu gelernt.

Aber heute sind wir zusammen, um wieder und wieder die Welt deutlich zu machen, in der wir leben. Die Welt der Gewalt und des Bösen, aber auch die Welt der Besten, die Menschen waren wie du und ich und in sich den leuchtenden Kern sichtbar werden ließen, der Menschsein bedeutet. Der 19. und 20. Juli 1944 hat diesen unverlierbaren Glanz in aller Finsternis. Wir gedenken dieser Tage. Aber wir gedenken zugleich aller, die in den dunkelsten Jahren Deutschlands in unserem Lande und dort, wo damals Deutsche ihre böse Herrschaft ausübten, das Licht der Menschlichkeit nicht verlöschen ließen.

Ich begrüße Sie alle, die Sie sich in dieser Stunde um dieses Licht versammelt haben. Ich begrüße unseren Freund Mozer aus einem Land, das in einer exemplarischen Weise Finsternis und Helle jener Jahre an sich erfahren hat. Ich begrüße unsere jüdischen Mitbürger, die, indem sie da sind und ihre Lieder singen, uns umgeben mit ihrem Opfer und ihrer Verheißung.

Möchten wir mehr tun als nur reden. Möchten wir der Nation dienen, die es bitter nötig hat, dass Pflicht und Anspruch des deutschen und des internationalen Widerstandes nicht untergeht in Bequemlichkeit, Lüge und Vergessen.

Möchten wir in dieser Stunde wissen, wer diese Nation ist: durch keine Mauer und kein neues Unrecht voneinander zu trennen.



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