Das Volk stand hinter ihnen

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Emil Henk

Das Volk stand hinter ihnen.

Ansprache des Vorsitzenden des Kuratoriums der „Stiftung Hilfswerk 20. Juli 1944“ Emil Henk am 19. Juli 1953 im Ehrenhof des Bendlerblocks in der Bendlerstraße, Berlin

Die Männer des 20. Juli und ihre Hinterbliebenen danken der Stadt Berlin und ihrem Regierenden Bürgermeister insbesondere für diese Gedenkstunde, die ihnen die erste öffentliche Anerkennung für ihre Tat zollt und die ihre Ehre aller Welt bekannt gibt – eine Tat allerdings, die dem deutschen Volk noch nicht in das geschichtliche Bewusstsein eingegangen ist.

Dass diese Würdigung von Berlin ausgegangen ist, von dieser tapferen Stadt, die seit vielen Jahren im Brennpunkt der Weltspannungen steht, das empfinden wir als eine ganz besondere Ehre. Denn Berlin führt seit Jahren den Kampf um die Freiheit, genau wie es am 20. Juli – neun Jahre zuvor - getan wurde. Das deutsche Volk kennt leider die große geschichtliche Bedeutung dieses Tages noch nicht: es kennt nicht die historische Leistung der Männer, die für die Freiheit ihres Volkes ihr Leben gelassen haben. Das deutsche Volk weiß noch nichts davon, dass dieser Tag ein riesiger Opfertag der besten Männer, ein Opfertag für die Freiheit und Würde des Menschen war.

Was diese Menschen wollten, war die Freiheit und die rechtliche und soziale Ordnung des Lebens. Sie haben es nicht erreicht: aber sie haben die Ehre des deutschen Volkes vor der Welt für immer gerettet. Wir müssen die Größe und die Bedeutung dieses Tages vor der Geschichte retten, und wir müssen dem deutschen Volk immer wieder klarmachen, dass unsere besten Köpfe, unsere mutigsten Herzen hinter diesem Tag stehen. Wir müssen dem deutschen Volk klarmachen, dass diese Männer das weltpolitisch Richtige, das Rettende gewollt haben, während der Dämon Hitler uns an den Abgrund führte – und auf das Richtige kommt es in der Geschichte immer an.

Der Regierende Bürgermeister betonte bereits, dass der Aufstand des 20. Juli kein Aufstand einer Partei, einer Gruppe oder gar der Offiziere war. Hinter diesen Männern, die die Freiheit so liebten, dass sie den Tod nicht fürchteten, standen alle Schichten unseres Volkes, alle sozialen Klassen und alle politischen Gruppen, führende Männer des Heeres, unbestechlich im Charakter, führende Männer des freiheitlichen Bürgertums und die maßgebenden, glänzenden Köpfe der Arbeiterschaft, die die Massenbasis für einen deutschen Aufstand geben sollten. Sie alle waren an diesem Umsturz beteiligt. Das andere Deutschland, das edlere, das kulturelle und wahrhaft politische Deutschland, gehörte zu diesem Kreis. Und ich muss sagen: in der Geschichte ist es selten geschehen, dass sich die Kirche zu einem Staatsstreich und zum Tyrannenmord bekannte.

In der Düsterheit des „Dritten Reiches“ haben sie es getan und haben sie es tun müssen; - und wir wollen es anerkennen. Sie haben es tun müssen, wenn sie – wie das ganze deutsche Volk – ihren geschichtlichen Auftrag nicht hätten verleugnen wollen. Wir sind geistig kein einheitliches Volk; aber hier waren die Lebensideen aller Schichten unseres Volkes vom totalitären Staat bedroht, eben weil der totalitäre Staat alle Ideen auslöscht. Es ging nicht um Sieg oder Niederlage. Die Niederlage war sowieso unvermeidlich. Es ging um mehr. Die Männer des 20. Juli haben die geschichtliche Grundlage unseres Lebens für Deutschland und für die Welt vor der Zerstörung durch die Tyrannis retten wollen. Es ging um mehr als um Volk, Macht, Staat. Es ging darum, dass das Leben seinen Sinn und Wert, dass der Mensch seine geistige und soziale Ordnung behält oder zurückgewinnt. Ohne Freiheit ist keine Kultur und auch kein wahrer Staat möglich. Und darum ging es diesen Männern, zu deren Andenken wir uns heute zusammengefunden haben.

Wir haben allen Grund, diese Toten zu feiern; und wir haben allen Grund, ihren geschichtlichen Auftrag unserem Volk zu übermitteln. Sie fanden sich unter schrecklichen Bedingungen zusammen. Die Diktatur war allmächtig, und der Polizeiapparat reichte in alle Kreise des Volkes. Welch eine Leistung, dass sie bis zum Tage des Attentats unentdeckt blieben! Schon die Abkehrung von Tyrannis war ein Wunder. Welche Leistung, dass dieses Attentat überhaupt möglich war und durchgeführt wurde. Ein ganzes Land, Frankreich, war in den Händen der Opposition. Es grenzt an Unwahrscheinlichkeit, dass man überhaupt so weit kam – das muss gesagt werden –, wo man im Grunde nicht mehr beherrschte als die Gebäude, in deren Schatten wir stehen. Wir wissen, kleine Zufälle, das Lächeln des weltpolitischen Glücks, hätte genügt, den mächtigsten Staat der Welt durch eine Handvoll Männer zu beseitigen. Es ging keinem der Beteiligten um die Macht, es ging keinem um die Durchsetzung einer Sonderidee. Es ging allen um die Rettung des Volkes vor der zerstörenden Dämonie eines Diktators.

Hier in diesem Hofe hat Graf Stauffenberg das erlösende Wort gesprochen als er rief: „Es lebe das heilige Deutschland!“ Das ist es, das allein: das ewige Deutschland, das ein Stück der ewigen geistigen Welt ist. Der Tod Hitlers hat diesen Männern niemals etwas anderes bedeutet als der Beginn einer geordneten Welt, in der die inneren und die sozialen Werte des Menschen ihre Bedeutung und Richtung bekommen. Was sie fürchteten, war das Chaos, dessen Sendbote der deutsche Tyrann war. Was sie fürchteten, war der Untergang aller geistigen und sittlichen Werte und die Orgie eines zerstörenden Machtrausches. Die Macht ist böse, wenn sie nichts weiter ist als inhaltlose Macht.

Wir wollen die Tragik dieser Männer nicht verschweigen. Sie waren ein kleiner Kreis und mussten stellvertretend für ein ganzes Volk handeln, allein, ohne die mitreißende Kraft der großen Masse. Sie wussten, wenn die Entscheidung gefallen war, dann stand der überwältigende Teil des Volkes hinter ihnen. Den Weg bis zur Entscheidung mussten sie völlig allein und einsam gehen. Wer eine solche Last vor der Geschichte zu tragen vermag, der hat Größe und übermenschlichen Mut, und der kann es nur im Einklang mit dem Weltgewissen oder mit Gott.

Die Männer des 20. Juli gaben sich keiner Illusion hin. Sie wussten, dass ihre Chancen gering waren; aber sie handelten nach Luthers Wort: „Ich hab’s gewagt!“ Dass es überhaupt Männer gab, die es wagten, das ist das Ungeheuerlichste. Sie nahmen ihren Tod als einen Tribut vor der Geschichte hin. Sie haben gewusst – und wir müssen uns das für alle Zeiten merken –, dass es in der Diktatur für Menschen von Wert nur einen einzigen Auftrag gibt: die Freiheit wieder zurückerobern. Darin lag ihr historischer Auftrag.

Die Menschen, derer wir heute in echter Bescheidenheit und Ehrfurcht gedenken, waren Männer des Schicksals. Sie wussten, dass sie ihre geschichtliche Mission erfüllen mussten. Keiner ist dem Verhängnis ausgewichen. Darin liegt ihre Größe. Sie waren Vollzieher des Willens einer Nation, auch wenn diese Nation durch den Terror der Despotie nicht existierte. Sie haben ein Zeitalter verkörpert, das von einer Tyrannis vorübergehend beseitigt war. Sie vertraten die großen und unzerstörbaren Werte des abendländischen Menschen, nicht einen einzigen Wert, sondern die Vielheit und Vielfalt, die das Abendland ausmacht. Ihr Verhängnis war, dass sie aus einer geordneten Welt heraus zu Rebellen werden mussten, weil sie nur auf diesem Weg dem Mann des Chaos, dem Luzifer der Geschichte, Adolf Hitler, die Macht entreißen konnten. Darin lagen ihr Sinn und ihr Auftrag. Wer sie anders sieht, schätzt sie zu gering. Bei ihnen, den Männern des 20. Juli, ist der höchste Gesichtspunkt auch der richtigste gewesen. Alles andere reicht nicht an sie heran. Sie haben wohl Programme entworfen; sie sind vergänglich. Unzerstörbar aber ist der Geist, der sie zur Tat trieb. Und dieser Geist wurzelte im Besten, was das deutsche Volk je der Geschichte gegeben hat.

Wir wissen alle, der 20. Juli war ein Versuch gegen das fast Unmögliche. Massendiktaturen sind ohne Aufstand der Massen kaum zu beseitigen. Der brüderliche Tag, der 17. Juni 1953, hat es wie ein Fanal wieder erneut gezeigt. Er ist ja ein späterer Bruder des 20. Juli. Das hat man gewusst. Alle wussten, dass es gewagt werden musste; denn der Untergang ist schmählich. Aber das Misslingen hat auch im Scheitern seine Ehre. Wir wissen, große Ereignisse gelingen nur, wenn das Glück der Weltgeschichte es zulässt. Das Schicksal hat es den Männern des 20. Juli versagt. Sie haben ihr Ziel nicht erreicht. Sie sind gescheitert. In der Geschichte aber hat auch der Unterlegene seinen Standort und seinen Sinn. Das Gescheiterte ist nicht vergeblich, schon darum, weil die bessere Sache in einer Stunde des Verhängnisses scheitern kann, um später in der Geschichte wieder lebensbestimmend aufzutauchen.

Die Männer des 20. Juli hatten zum Handeln kaum Bewegungsfreiheit. Eingesperrt in eine ungeheure geschichtliche Zwangslage haben sie getan, was überhaupt möglich war. Sie allein haben vor der Geschichte gerettet, was das Schicksal ihnen erlaubte. Sie haben der Welt und der kommenden Epoche gezeigt, dass die geistigen Kräfte in Deutschland weiterleben, und hier an diesem Orte wissen wir es ganz besonders: sie waren bereit, für ihre Idee in den Tod zu gehen. Ungeheuerliches haben sie auf diesem geschichtlichen Opfergang getan. Ein solcher Tod ist nicht umsonst. Die Geschichte wird diese tapferen Männer als die eigentlichen Träger des Deutschtums und als hohe Opfer einer guten Sache nennen.

Wir aber, die wir sie überlebt haben, unsere Freunde im gleichen Geist, wir verneigen uns in Ehrfurcht vor ihrer Tat, die noch in Jahrhunderten als eine Fackel inmitten von so viel Finsternis weiterleuchten wird.







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